Ein Tag im jüdischen Museum – ein Erlebnisbericht

Waren Sie schon Mal im „Jüdischen Museum“ in Frankfurt? Ja? Nein? Wenn nicht, dann möchte ich Sie motivieren, eine Reise dort hin einzuplanen. Und wenn Ja, dann laden Sie doch Freunde ein und fahren Sie noch Mal hin. Es lohnt sich wirklich!

Es folgt nun ein Bericht über meinen Besuch im Jüdischen Museum in Frankfurt – wie er auch für Sie ablaufen könnte und was Besuchern auf den drei verschiedenen Etagen begegnet. Lassen Sie sich einladen!

Das Museum umfasst im Wesentlichen drei Ausstellungen: Eine Dauerausstellung, das Museum in der Judengasse und eine Sonderausstellung. An dieser Stelle soll es um die Dauerausstellung des Museums gehen.

Ich hatte mir seit längerer Zeit vorgenommen, dem Jüdischen Museum einen Besuch abzustatten. In den Räumen des alten Rothschild Palais1Rothschild – Handelsfamilie in Frankfurt mitten in der Innenstadt spüren tausende Besucher jedes Jahr jüdischen Traditionen, jüdischem Leben in Frankfurt und vielen Berichten über einzelne Schicksale nach.

Das Jüdische Museum in Frankfurt wurde 1988, am 50. Jahrestag des Novemberpogroms, vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eröffnet. Es ist das älteste eigenständige Jüdische Museum in Deutschland. In Frankfurt wird an zwei unterschiedlichen Standorten über jüdische Geschichte berichtet und ausgestellt: Im Museum Judengasse wird unter Bezugnahme der Ruinen der Judengasse2Ort des ersten Ghettos in Deutschland von 1462- 1796 über Geschichte und Kultur der Juden in Frankfurt während der Frühen Neuzeit informiert, während die Dauerausstellung im Rothschild-Palais jüdische Geschichte ab ca. 1800 bis zur Gegenwart darstellt.

Als ich das Museum an einem ruhigen Werktag betrete, es ist nicht viel los auf Frankfurts Straßen, erwartet mich am Eingang des großen weißen Gebäudes ein freundlicher Mann, der mich anhält, meine Tasche zu öffnen und meine Wertsachen in eine kleine Box zu legen – Sicherheitscheck. Wie am Flughafen durchlaufe ich die Kontrolle.

Nach dem Durchlaufen dieses Prozesses und dem Eintreten ins helle Innere des Museums, spüre ich dem Ort die Dunkelheit ab, die um ihn herum einmal geherrscht haben muss und die er nun in Teilen versucht, den Menschen wieder in Erinnerung zu rufen. Ich merke, dass es auch hier, im heutigen Frankfurt, in einem Museum, das über die jüdische Religion und jüdisches Leben informiert, wichtig ist, sich vor Angriffen und Hass zu schützen.

Wendeltreppe im Museum.

Nachdem ich meine Sachen verstaut habe, geht es über eine schmale Wendeltreppe in den dritten Stock des großen Gebäudes, wo die Dauerausstellung des Museums beginnt. Bereits im Treppenhaus begegnen mir einzelne, an die Wände geschriebene Familiennamen, deren Bedeutung ich später noch genauer herausfinden werde.

Im dritten Stock des Museums wird man als Besucher durch verschiedene thematisch voneinander abgegrenzte Räume in das Leben einzelner Jüdinnen und Juden in Frankfurt – während und nach dem Nationalsozialismus – hineingenommen. So wird hier nicht nur neutral über geschichtliche Ereignisse informiert, man bekommt auch einen sehr persönlichen Einblick in Biographien und detailliert erzählte Geschichten, Videos auf Leinwand und einzelne Texte, alte Fotos und Ausstellungsstücke.

Oben angekommen, beginne ich mich in einzelne Texte der jüdischen Nachkriegsgeschichte und Gegenwart einzulesen. In einem zeitlichen Rundumschlag lese ich von Jüdinnen und Juden, die nach der Aufhebung der Ghettoisierung der Stadt Frankfurt3Unter „Ghettoisierung“ versteht man die zunehmende Bildung von Gettos oder Gettobildung. Ghettos waren Wohnbezirke, in denen bestimmte Menschengruppen isoliert vom Rest der Gesellschaft leben mussten. Das Ghetto wurde 1796 bei der Belagerung Frankfurts durch französische Truppen zerstört. begannen, hier das Leben mitzugestalten, höre davon, wie auch Kinder ihre Traditionen im Alltag leben und lerne Neues über die Zeit nach dem Nationalsozialismus, über den Fall des Anwaltes Fritz Bauer, der die Verantwortlichen der Geschehnisse in Auschwitz vor Gericht brachte und lese in einem Extra Raum von einzelnen Biographien, die sehr von der Zeit des Nationalsozialismus geprägt waren. Raum für Raum begegnen mir neue Menschen, die durch deren Geschichten für mich wieder lebendig werden, streifen mich andere Leben und deren Schicksale. Wissenschaftler, Ärzte, Rabbiner, Politiker, Fliehende – jeder dieser Menschen lebte und teilte jüdisches Leben auf seine oder ihre Art, lebte in einer anderen Zeit als der oder die jeweils andere und war davon unterschiedlich beeinflusst.

Meinen Besuch im dritten Stock rundet ein künstlerisch gestalteter Raum des Künstlers Samson Schames ab, dessen Arbeiten von seiner Zeit in Frankfurt, über das britische Exil bis hin zu seiner neuen Heimat New York ausgestellt sind.

Als ich im zweiten Stock des Museums ankomme, wird gerade eine Schulklasse durch diesen Teil des Museums geführt. In den Gängen herrscht ein ziemliches Durcheinander, aber ich höre zwischendurch dem Guide zu, der den Jugendlichen von jüdischen Traditionen, die auch bei den Juden in Frankfurt eine wichtige Rolle spielen, berichtet. Es geht um das Omer-Zählen, Chanukka und die Bedeutung wichtiger religiöser Gegenstände, wie den Gebetsriemen, dem siebenarmigen Leuchter oder dem Schofar-Horn.

Schnell schlängele ich mich durch die Menschenansammlung hindurch, beeindruckt von der Menge an Ausstellungsgegenständen, die im Museum mit großer Detailliebe und sehr abwechslungsreich erklärt werden. Hier ist alles zu finden, besondere Gewürze, siebenarmige Leuchter, der Aufbau einer Torah Rolle und vieles mehr. Das Museum legt in diesem Stockwerk Fokus auf den Wandel jüdischer Traditionen in der Moderne und ordnet einzelne Berichte über Rituale und die Exponate auch so ein.

Schließlich lande ich beim Gehen in einem ziemlich leeren Raum, in dem nur ein paar Sessel vor einer großen Leinwand platz finden. Ich stelle fest, dass es hier die Möglichkeit gibt, über ein Touchpad fünf Rabbinern und einer Rabbinerin besondere Fragen zu stellen, beispielsweise zu den Themen Religiösität, Beginn und Ende des Lebens und dem Umgang mit anderen Religionen. Mir gefällt, wie persönlich und authentisch die einzelnen, auf Video aufgezeichneten Antworten sind. Als Besucher wird man in jüdisches Denken mit hineingenommen und hat sogar die Möglichkeit, sich einige der Aufzeichnungen per Knopfdruck auf dem eigenen Handy zu speichern. Anschließend mache ich mich auf den Weg zur letzten Etage.

Als ich im ersten Obergeschoss des Museums lande, wird es noch einmal persönlicher. In diesen Räumen berichtet das Museum von verschiedenen jüdischen Familien in Frankfurt und davon, was deren Leben ausmachte. Diese Namen waren mir auch schon beim Betreten der Wendeltreppe an den Wänden aufgefallen. Das Museum betont, dass es in diesem Teil der Ausstellung um das familiäre Erbe gehe, und da gerade in der jüdischen Kultur ein Weitergeben von Traditionen innerhalb der Familie eine maßgebliche Rolle spielt, soll auch das in diesen Räumen zum Ausdruck kommen.

Die einzelnen Ausstellungsräume sind gefüllt mit Alltagsgegenständen der einzelnen Familien. Hier ist alles gesammelt von Kochrezepten, über Dias bis hin zu alten Pässen, die zum Teil Familienmitgliedern das Überleben während des Holocausts sicherten. Im ersten Raum, den ich betrete, empfängt mich die Geschichte der Familie Senger. Diese Familie hatte während des zweiten Weltkrieges abseits der Wahrnehmung der Nationalsozialisten gelebt, da sie durch gefälschte Papiere und mehrere „Zufälle“ unentdeckt bleiben konnte. Valentin Senger berichtet von seiner Geschichte in dem Buch „Kaiserhofstraße 12“. An den Wänden hängen mehrere Fotos der Familie, Kinder und Enkelkinder, die die Zeit dieser beeindruckenden Geschichte überdauert hatten.

Der nächste Raum ist geschmückt mit großen Gemälden – Portraits – hier sieht man die wichtigsten Gesichter der berühmten Bankiersfamilie Rothschild. In mehreren Abschnitten wird gezeigt, wie die Familie in Frankfurt lebte und agierte. Das, was mir hier besonders im Kopf bleibt, ist die Tatsache, dass der Rothschild Palais, das Gebäude, in dem sich das Museum bis heute befindet, vom zweiten Weltkrieg vollständig unversehrt geblieben und nun gefüllt ist mit den vielen Erinnerungen, die hier gezeigt werden.

Der Name, der den letzten Raum einleitet, kommt mir sehr bekannt vor. Hier wird die Geschichte der Familie Frank portraitiert, die über mehrere Generationen hinweg in Frankfurt gelebt hat. Die Geschichte dieser jüdischen Familie, der auch Anne Frank entstammt, deren Aufzeichnungen von 1942-1944 zur Weltliteratur zählen, reicht bis ins Frankfurt des 16. Jahrhunderts zurück.

Digitaler Stammbaum der Familie Frank.

Der Raum führt mit einer großen digitalen Tafel des Stammbaumes der Familie durch die Geschichte mehrerer Generationen. In einzelnen Vitrinen kann man durch ausgewählte Bilder und Texte die Menschen, die diese Familie mitgeprägt und ausgemacht haben besser verstehen lernen. Auch die Flucht der Familie nach Amsterdam, Basel, Paris und London im 20. Jahrhundert und die Deportation einzelner Mitglieder, auch der jungen Anne Frank und ihrer Schwester Helga, werden hier aufgeführt. Ich bin tief berührt von diesen Schicksalen, die mir eigentlich grundsätzlich bekannt sind, dennoch erschüttern sie mich wieder aufs Neue. Zum Ende des Raumes hin erweckt ein kleiner Bildschirm meine Aufmerksamkeit: Hier wird in einem Video aus der Nachkriegszeit der Vater der jungen Anne Frank interviewt. Otto Frank hatte das Leben seiner Tochter überdauert und damals auch ihre Tagebücher veröffentlicht. In dem Video spricht er davon, das Schicksal eines so jungen Mädchens von seinem loslösen zu müssen, um überhaupt darüber sprechen zu können. So sehr, wie er sich Mühe gibt, dieses Schicksal von sich fernzuhalten, so sehr muss ich mir Mühe geben, es an mich heranzulassen. Otto Frank spricht davon, dass er Annes Tagebuch aus humanistischen Bildungsgründen veröffentlichen musste. Es war ihm wichtig, an sie und ihre Geschichte zu erinnern.

Ich stehe da und denke, dass das eine gute Beschreibung des Ortes ist, an dem ich mich gerade befinde: Das Museum hatte mich den Tag über mit Texten, Videos und kreativen Beiträgen über so viele jüdische Traditionen, Geschichten, Biographien und Schicksale informiert, dass ich mich all diesen Menschen, deren Einstellungen und Lebensrealitäten, deren Auffassung von jüdisch-sein und Reflektieren ihrer eigenen Religion etwas näher fühle. Ich stelle mir die Frage, wie es wohl heute in Frankfurt aussehen würde, wären all die Dinge, die zu Zeiten der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft passiert sind, nie passiert. Wer würde wohl heute über die Straßen Frankfurts gehen, wie würden die Gebäude aussehen und wie wäre der interreligiöse Dialog – auch auf informativer Ebene in einem solchen Museum?

Die Antwort auf diese Fragen bleibt im Raum hängen, niemand kann sie beantworten, da sind nur die Räume der Ausstellung, wie sie jetzt sind und die Straßen und die Menschen auf ihnen. Ich denke, wie wertvoll ich die Arbeit eines solchen Museums auf historischer und religiöser Ebene finde. Die Menschen erhalten einen Einblick in die Lebenswelt der Jüdinnen und Juden heute und auch in deren persönliche Erfahrungen aus der Vergangenheit, so gut es eben geht. Und ich denke doch, dass man beim reinen „Sich-informieren“ nicht stehen bleiben darf. „Es reicht nicht, so wie ich heute durch die Räume zu gehen und sich berühren zu lassen,“ denke ich. Im Zuge meiner Recherche über das Museum stoße ich auf der Website auf deren „Mission Statement“, das meine Gedanken gut auffängt:

„Die Arbeit des Museums wird von der Überzeugung getragen, dass die Geschichte von Jüdinnen und Juden in der Diaspora einmalig und jüdische Kulturen von zentraler Bedeutung für die europäischen Gesellschaften sind. Die jüdische Erfahrung von Diskriminierung und Gewalt wie auch des Ringens um Gleichberechtigung und soziale Teilhabe ist von unverminderter Aktualität. Vor diesem Hintergrund wollen wir zu interkultureller Verständigung und zur Selbstreflexion anregen. Wir verstehen unsere Arbeit als vernetztes Handeln im digitalen und sozialen Raum und wirken darauf hin, dass in Europa offene, aufgeklärte und zivile Gesellschaften fortbestehen, in deren Mitte Jüdinnen und Juden weiterhin leben wollen und können.“

Ich verlasse das Museum mit vielen neuen Eindrücken und Gedanken, die es zu verarbeiten gilt. Ich nehme mir vor, bei meinem nächsten Besuch noch die Ausstellung in der Judengasse zu sehen.

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    Rothschild – Handelsfamilie in Frankfurt
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    Ort des ersten Ghettos in Deutschland von 1462- 1796
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    Unter „Ghettoisierung“ versteht man die zunehmende Bildung von Gettos oder Gettobildung. Ghettos waren Wohnbezirke, in denen bestimmte Menschengruppen isoliert vom Rest der Gesellschaft leben mussten. Das Ghetto wurde 1796 bei der Belagerung Frankfurts durch französische Truppen zerstört.

 

Zum Nachlesen:
https://www.juedischesmuseum.de/besuch/juedisches-museum-frankfurt/
https://www.juedischesmuseum.de/museum/beitrag/detail/unser-mission-statement/
https://www.annefrank.ch/de/tagebuch

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    Rothschild – Handelsfamilie in Frankfurt
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    Ort des ersten Ghettos in Deutschland von 1462- 1796
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    Unter „Ghettoisierung“ versteht man die zunehmende Bildung von Gettos oder Gettobildung. Ghettos waren Wohnbezirke, in denen bestimmte Menschengruppen isoliert vom Rest der Gesellschaft leben mussten. Das Ghetto wurde 1796 bei der Belagerung Frankfurts durch französische Truppen zerstört.