Die Katastrophe des Holocaust niemals vergessen

„Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft!“

Dieses zum Nachdenken anregende Zitat stammt von Elie Wiesel, einem Überlebenden des Holocausts, der als Publizist viele Artikel und Romane über den Kampf gegen den Antisemitismus veröffentlichte.

Nicht nur er, als einer, der Geschichte der Juden bewusst wachhält, reflektierte über die Vergangenheit. Das Erinnern an die Vergangenheit gehört zu jedem menschlichen Leben dazu – einerseits durch ganz persönliche Erinnerungen an eigene Erfahrungen, andererseits aber auch Erinnerungen im Blick auf das größere Bild der menschlichen Geschichte. Schon in der Schule wird einem überall auf der Welt beigebracht, über die politische, soziale und wirtschaftliche Vergangenheit eines Volkes oder Kulturkreises nachzudenken, sie sich sozusagen in Erinnerung zu rufen.

Man lernt die Geschichte eines Landes kennen, um seine Gegenwart zu verstehen.
Denn das, was eine Nation früher erlebt hat, prägt häufig auch ihre Identität der Neuzeit und prägt den Weg in die Zukunft der nachfolgenden Generationen. Das Erinnern scheint somit eine Disziplin zu sein, die erst wahre Zukunft ermöglicht, wie schon Elie Wiesel feststellte.

 

Das gilt zum einen für positive Ereignisse der Menschheitsgeschichte, wie zum Beispiel das der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990, an das jährlich am 3. Oktober erinnert wird.

Allerdings gilt dies auch für die Schattenseiten der Geschichte. Die tiefeinschneidenden Jahre des Nationalsozialismus und des damit verbundenen Holocausts markieren einen Tiefpunkt der deutschen Geschichte und somit auch der deutsch-israelischen Beziehung. Dennoch darf das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten. Daran muss erinnert werden, so schmerzhaft das oft auch sein mag.

Die Vergangenheit der Deutschen im Umgang mit Juden verankerte den Begriff „Erinnerungskultur“ fest im deutschen Sprachgebrauch. Wie diesbezüglich der Einzelne, wie auch eine ganze Gesellschaft eine Kultur der Erinnerung an diese tragische Geschichte schafft, bleibt eine Herausforderung an alle Bürger.1https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungskultur Diese Erinnerungsnotwendigkeit muss stets wachgehalten werden.
Solche Überlegungen, sich an vergangene Schlüsselereignisse zu erinnern, sind allerdings nicht neu, denn das Nachsinnen über die Vergangenheit lässt sich Jahrtausende der Kulturgeschichte zurückverfolgen.

 

Vor allem die Theologie hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich zu erinnern.

Aber nicht erst seit dem Holocaust gehört eine „Erinnerungskultur“ zum theologischen Grundstock. Sie ist eine theologische Disziplin, die tief in der DNA des Judentums und auch des Christentums verankert ist. Die Prinzipien der Religionen sind sogar erst nachvollziehbar durch die zum Teil gemeinsame „erlebte“ Geschichte.

Das Alte Testament berichtet von unterschiedlichen heilsgeschichtlichen Ereignissen des Handeln Gottes im Volk Gottes. Immer wieder gilt der Appell, sich an das Erlebte und die damit verbundene Güte des israelischen Gottes zu erinnern. So wird, beschreibend für den Duktus des Alten Testaments, 169-mal das hebräische Wort „Sachor“ verwendet. Es bedeutet so viel wie „Gedenke!“2https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis

 

Die biblische Aufforderung, sich an die ‚großen Taten‘ Gottes zu erinnern, ist somit ein Appell, ihm selbst in seiner Geschichte zu begegnen.

Dabei ergeht dieser Befehl zunächst an die Stammväter Abraham, Isaak und Jakob, später aber an das ganze Volk. Damit sind auch die heutigen Juden und Christen gemeint. Die Kultur der Erinnerung lebte damals wie heute.

Diese Notwendigkeit des Erinnerns wird im Judentum insbesondere durch Feste und Rituale sichtbar. Das Feiern von besonderen Schlüsselerlebnissen bildet eine spezielle Form der Erinnerung. So ist beispielsweise Chanukka, das jüdische Lichterfest, ein Gedenken an die Befreiungsgeschichte des Volkes Israels. Und auch wöchentlich gilt die Aufforderung des Gedenkens: Am Schabbat zum Beispiel soll an die Schöpfung Gottes (Ex 20,11) gedacht werden und auch an den Auszug aus Ägypten (Dtn 5,15).

Das Judentum betont, dass das Erinnern an vergangene Taten Gottes gleichsam einer Vergegenwärtigung des Vergangenen entspricht, und man sich dadurch in die damalige Situation hineinversetzt. Diese Identifikation mit den vergangenen Generationen und Erlebnissen ist es, was die Identität der Juden bis heute prägt. Es gehört zum jüdischen Selbstverständnis, die Geschichte der Vorfahren immer wieder im Gedächtnis aufleben zu lassen, insbesondere als ein Ausdruck des Vertrauens zu Gott, der einst der Handelnde war und heute noch immer ist.3https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis

Dieses Erinnern dient aber nicht nur einem nostalgisch-oberflächlichen Gedenken an alte Zeiten, sondern es bringt eine tiefgehende Verantwortung mit sich und appelliert an den Umgang mit der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft. Es bietet Orientierung, sowohl religiöser Natur als auch in moralischem Sinne. Die Wurzeln der jüdischen Ethik liegen in der Vergangenheit, die immer wieder erinnert und weitergegeben werden an die nachfolgenden Generationen.

 

Vergegenwärtigt man sich solche Prinzipien der Erinnerungskultur, sieht man heutzutage vieles mit anderen Augen.

Die jüngere Geschichte Israels ist maßgeblich geprägt vom Holocaust und dessen katatrophalen Folgen. Die biblische Aufforderung, Erlebtes des Volkes Israels im Gedächtnis zu behalten, gilt auch hier und betrifft das enorme Ausmaß von Pogromen und Leiderfahrungen unter Juden.

Derzeit gibt es noch Überlebende der Generation, die selbst Teil der Geschichte waren, die sie uns heute erzählen. Der Ägyptologe Jan Assman hat dafür den Begriff „kommunikatives Gedächtnis“ geprägt. Aber die Zeugen des Holocausts sind hochbetagt und werden nicht mehr lange die persönlichen Erinnerungen für unsere gegenwärtige Kultur weitergeben und hervorheben können.4https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis Zum Glück ist aber mittlerweile vieles sehr gut dokumentiert, was dazu beiträgt, das der Holocaust niemals in Vergessenheit gerät (die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem usw.).

 

Unser „kulturelles Gedächtnis“ muss wachgehalten werden, also die Erinnerungskultur, die wir bis dahin auf unterschiedlichen Ebenen etabliert haben.

Obwohl viel getan wurde und wird, um den Holocaust mahnend in Erinnerung zu behalten, bleibt die Frage, wie man diese wichtigen Erinnerungen aktiv bewahren möchte in Israel, aber natürlich auch in Deutschland.

Die Ergebnisse einer Studie der Berthelsmann Stiftung von 2021 untersuchten die derzeitige Haltung von Deutschen und Israelis zum Umgang mit der Erinnerung an den Holocaust.

Beide Nationen empfinden die gemeinsame Vergangenheit als immer noch prägend für die Gegenwart. Allerdings gibt es stark auseinandergehende Meinungen, was die Wichtigkeit des Erinnerns an die NS-Zeit und den Holocaust angeht. Vor allem in Deutschland wird diskutiert, ob es nicht an der Zeit wäre, einen „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit zu ziehen, zumindest im öffentlichen Diskurs. Ganze 49% der befragten Deutschen stimmten mit dieser These überein. Allerdings fällt dabei die jüngere Generation (18–29-Jährige) auf, in der jeder zweite der Forderung nach einem Schlussstrich widerspricht.

In Israel, vor allem unter den jüdischen Bürgern, begegnet man einer völlig anderen Perspektive: 72% der jüdischen Israelis lehnt es ab, die Vergangenheit nicht mehr zum Gegenstand der Zukunft zu machen.5https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/deutschland-und-israel-heute-zwischen-verbundenheit-und-entfremdung

Diese Ergebnisse zeigen, dass der Wert der Erinnerung nicht überall eine Rolle spielt. Vor allem in Deutschland scheint eine Ablösung von der Vergangenheit im Blick auf den Umgang mit dem Holocaust im Trend zu liegen.

Erfreulich ist wiederum, dass vor allem in der jüngeren Generation ein neues Bewusstsein für die Vergangenheit mit deren Gegenwartsbezug hoch im Kurs liegt. Die Generation arbeitet an einer neuen „Erinnerungskultur“, die es zu etablieren gilt.

 

Die Zukunft kommt eben doch nicht ohne die Erinnerung aus.

Der Holocaust bleibt somit Teil der deutschen, ja, der globalen Erinnerungskultur. Sie wird dadurch auch das Handeln der folgenden Generationen mit beeinflussen. Gedenktage und Gedenkorte sowie eine respektvolle, bilaterale Verständigung zwischen Israel und Deutschland bilden die Grundlagen für eine würdige und gewürdigte Erinnerungskultur.

Wenn also Alte und Junge, Deutsche und Israelis, Juden und Christen, gemeinsam gedenken und sich ihrer, mitunter auch schrecklichen Geschichte erinnernd annehmen, kann es auch in Zukunft eine gute, friedvolle und neue gemeinsame Geschichte geben. Denn das Gedenken an die Vergangenheit macht sie zu unserer Vergangenheit und es hilft dabei, miteinander Gegenwart und Zukunft positiv zu gestalten.

 

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungskultur

https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/deutschland-und-israel-heute-zwischen-verbundenheit-und-entfremdung

Zurück
  • 1
    https://de.wikipedia.org/wiki/Erinnerungskultur
  • 2
    https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis
  • 3
    https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis
  • 4
    https://www.nostra-aetate.uni-bonn.de/erinnerung-als-theologische-basiskategorie/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis/sachor-gedenke-der-zukunft-ein-gedaechtnis
  • 5
    https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/deutschland-und-israel-heute-zwischen-verbundenheit-und-entfremdung