Ein Tag im Museum Judengasse in Frankfurt – ein Erlebnisbericht

Wir schreiben das Jahr 1462. In der direkt dem Kaiser unterstehenden Stadt Frankfurt wird eine Gasse ausgewiesen, in der fortan alle Jüdinnen und Juden der Stadt wohnen sollen. An keinem anderen Ort in der Stadt ist es ihnen noch gestattet zu wohnen. Für rund 800 Jahre wird die schmale Gasse, der Dreh- und Angelpunkt allen jüdischen Lebens in Frankfurt sein. Was hat es mit der Judengasse in Frankfurt auf sich?

Im August des vergangenen Jahres war eine ehemalige Mitarbeiterin des Instituts im Jüdischen Museum Frankfurt; ihr Erlebnisbericht ist hier nachzulesen. Nun soll es das Museum über die Frankfurter Judengasse gehen, das Teil des Jüdischen Museums Frankfurt ist. Tauchen Sie ein in ein spannendes Kapitel jüdischer Geschichte in Frankfurt.

(Fast) Vergessene Geschichte

Proteste gegen die Bautätigkeiten der Stadt. Bild: Joshua Kissel (abfotografiert im Museum Judengasse Frankfurt).

Doch zunächst einen Schritt zurück. Am Börneplatz in Frankfurt soll 1987 ein neues Kundenzentrum der Stadtwerke entstehen. Es werden erste Arbeiten für die Fundamente durchgeführt, Erde wird ausgehoben. Die Bauarbeiter stoßen auf Jahrhunderte alte Mauerreste mehrerer Keller von Häusern, die hier einst standen. Schnell wird herausgefunden, dass es sich hier um Reste einer jüdischen Gasse handelt, deren zeitlicher Ursprung auf das spätmittelalterliche Frankfurt zu datieren ist. Im Frankfurter Stadtparlament spricht man sich dafür aus, dass die Reste dokumentiert und dann abgetragen werden. Ziel ist es, den Bau so schnell wie möglich zu Ende zu bringen. Doch die Stadt kann nicht ahnen, dass sich ein großer Protest seitens der Bürger zusammenbrauen wird. Hunderte Frankfurter Bürgerinnen und Bürger besichtigten die Baustelle und die offenliegenden Fundamente der alten Judengasse.

Auf Demonstrationen setzen sich viele für den Erhalt der Überreste und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Geschichte ein. Auf Bannern und Plakaten machen die Bürgerinnen und Bürger auf ihren Unmut aufmerksam: „Diskutieren statt betonieren“, die Vergangenheit bewahren, statt mit Baggern drüberfahren“, „macht Geschichte nicht zunichte“. Manche besetzen das Baugelände und Aktionsbündnisse gründen sich. Mit Erfolg: das Kundenzentrum wurde zwar errichtet, doch integrierte man ein Museum über der alten Judengasse das, neben einer vielfältigen Ausstellung, bis heute ermöglicht, die alten Kellerfundamente weniger Häuser direkt zu betreten. Im Laufe der Jahre wurde das Museum überarbeitet. Heute vereint das Museum die gesamte jüdische Geschichte, die mit dem Börneplatz verbunden ist. Außer der Judengasse gibt es auch Aufklärung und Wissenswertes über den ehemaligen nebenliegenden jüdischen Friedhof und eine frühere Synagoge. Denn beides, Friedhof und Gotteshaus, wurde durch die Nazis zerstört.

Leben auf engstem Raum

Die Judengasse ist unter anderem deshalb so besonders, weil sie innerhalb der Stadt Frankfurts eine Welt für sich darstellte. Als der Frankfurter Rat 1460 die Einrichtung des Ghettos beschloss, lebten die Juden fortan für sich und regierten sich auch weitestgehend selbst. Man richtete sich ein und baute Wohnhäusern, Synagogen, Ritualbäder und weitere Einrichtungen.

Historischer Stadtplan von Frankfurt. Die Lage der Judengasse an der östlichen Stadtmauer ist schwarz umrandet. Bild: Joshua Kissel (abfotografiert im Museum Judengasse Frankfurt).

Gebaut wurde die Judengasse entlang der östlichen Stadtmauer. Zutritt gewährten drei Tore, zwei an den jeweiligen Enden der Gasse und ein weiteres in der Stadtmauer. Alle Häuser bekamen eigene Namen, so wie es damals üblich war, denn es gab noch keine Hausnummern. Die im Museum gezeigten Fundamente gehörten zu den Häusern „Sperber“, „Roter Widder“ und Weißer Widder“. Außerdem ein Steinernes Haus und Überreste eines Hauses, das ein Bad beinhaltete. In der Judengasse benannte man die Häuser oft nach Tieren, Blumen oder Gegenständen. Auch Hauszeichen, Hauschilder oder spezielle Schlusssteine markierten die Häuser. Zeichen und Namen der Häuser fanden sich auch in den Namen der Bewohner wieder. So kam es zum Namen der Familie Rotes Schild – später Rothschild.

Ausstellungsfläche. Die begehbare Fundamente sind die einzigen Überreste weniger Häuser der ehemaligen Judengasse. Bild: Joshua Kissel.

Da sich Frankfurt trotz der Judengasse zu einem internationalen und attraktiven Wohnort entwickelte, bekamen die Juden in Frankfurt schnell Platzprobleme. Alle verfügbaren Bauplätze waren irgendwann bebaut, sodass manche Häuser geteilt wurden. So entstanden enge Häuser, die nicht sehr breit, aber sehr tief waren. Man lebte mit vielen Angehörigen auf engstem Raum.

 

Strenge Gesetze und besondere Rechte

Es galten spezielle Regeln für die Menschen in der Judengasse. Eine eigens verfasste rechtliche Anordnung, die „Stättigkeit“, die viele Einschränkungen vorsah. Zunächst, dass grundsätzlich alle Juden nur in der Judengasse wohnen durften. An christlichen und jüdischen Feiertagen wurde die Tore zur Judengasse geschlossen. Alle Juden mussten Kennzeichen tragen, die sie als Juden erkennbar machten. Auch von politischer Teilhabe waren alle Juden ausgeschlossen. Die meisten Handwerksberufe waren Juden verwehrt. Auch die Höhe ihrer steuerlichen Abgaben und die Anzahl maximaler Heiraten pro Jahr legte die Stättigkeit fest. Ambivalenter Weise schütze die Ordnung auch das Leben der Juden. Sie garantierte Ihnen das Aufenthaltsrecht in der Stadt und gab ihnen die Möglichkeit Bestimmungen einzuklagen. Schließlich genossen die Frankfurter Juden auch ein hohes Maß an Selbstständigkeit und vor allem Religionsfreiheit. Der Inhalt der Stättigkeit war über die Jahre immer wieder Streitpunkt zwischen der jüdischen Gesellschaft und dem Frankfurter Rat.

Dieses paradoxe Verhältnis zwischen Einschränkungen und Freiheiten drückte sich zusätzlich im Einsatz des Kaisers für die Juden aus. Als Freie Reichsstadt unterstand Frankfurt direkt dem Kaiser. Zwar beschränkte der Frankfurter Rat das Leben der Juden. Doch der Kaiser verstand sich auch als oberster Schutzherr für die Juden und griff immer wieder zu ihren Gunsten in die städtische Politik ein.

Auch zu den restlichen christlichen Bewohnern der Stadt hatten viele Juden gute Beziehungen. Trotz der räumlichen Begrenzung gab es vielerlei Kontakte, Handelsbeziehungen und Berührungspunkte. Es wurde einander zu Festen eingeladen, man traf sich in Wirtshäusern, einige Juden beauftragten christliche Handwerker für die Herstellung wichtiger jüdischer Gegenstände und christliche Theologen lernten Hebräisch bei jüdischen Lehrern. In vielen Häusern der Judengasse arbeiteten auch christliche Haushaltshilfen, um das Arbeitsverbot am Schabbat zu umgehen.

Lebendiges Judentum in der Judengasse und darüber hinaus

Rabbinische Schriften und Lehrmaterial aus der alten Judengasse. Bild: Joshua Kissel.

Ein großer Bestandteil des Lebens in der Judengasse wurde auch vom religiösen Leben bestimmt. Es gab viele Schulen für das Studium von Tora und Talmud. Das Haus „Warmes Bad“ beherbergte einst eine Klause, ein Lehrhaus, in dem Schüler unter Leitung des Rabbiners den Talmud studierten. Klausen wurde oftmals durch Stiftungen unterhalten. Der jüdische Kaufman Manasse Darmstädter stiftete die Frankfurter Klause. Als Kaufmann am Hof des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, nutze er seine guten Verbindungen zugunsten seiner jüdischen Freunde im Frankfurt. Aufgrund dieser Verbindung waren Klaus-Rabbiner gleichzeitig auch Landesrabbiner von Hessen-Darmstadt.

Des Weiteren gab es auch eine Talmud-Hochschule, die Jeschiwa. Die Frankfurter Jeschiwa war so berühmt für ihren guten Unterricht, dass Talmud-Studenten aus ganz Europa nach Frankfurt kamen. Ein damaliger Text beschreibt dies so: „[Sie] überwanden Berge und durchquerten Täler, dass man hier ihre blinden Augen öffne.“ Im Alter von 13-20 besuchten die jungen Männer die Talmud-Schule. Die meisten heirateten anschließend.

Ein Museum nicht nur über die Frankfurter Jugendgasse

Wie nun gezeigt, ist die Geschichte der Frankfurter Juden wirklich spannend. Doch das Museum am Börneplatz beleuchtet nicht nur die Judengasse, sondern im Allgemeinen jüdisches Leben aus jener Zeit. Dabei werden immer wieder auch grundlegende Begriffe erklärt und anschaulich gemacht. Neben dem Herzstück – den begehbaren Fundamenten der einzigen übrigen Häuser der damaligen Judengasse – gibt es unzählige Exponate, die dem Besucher die jüdische Kultur und das religiöse Leben erklären. Dabei ist das Museum auch mit Gegenständen aus der Region rund um Frankfurt ergänzt worden. Auch zum Thema Literatur und Musik beinhaltet das Museum interessante Einblicke. Interaktive Elemente, wie Videos, Booklets, Hörproben und Mitschnitte von Alltagsgesprächen lassen einen tief in die Welt der Judengasse und in allgemeines jüdisches Leben eintauchen. Wer auch immer mehr über früheres und aktuelles jüdisches Leben in Frankfurt kennenlernen möchte, der kommt in den Ausstellungsräumen des Museums über die Judengasse und im großen Jüdischen Museums in Frankfurt sehr auf seine Kosten.

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