Ein Gespräch mit Prof. Dr. Helmuth Pehlke zu theologischen Fragen
Zur Person: Helmuth Pehlke studierte von 1975 bis 1978 Theologie am Dallas Theological Seminary in Dallas (TX) mit den Schwerpunkten Altes Testament, Semitistik und Altorientalistik, wo er 1985 auch promoviert wurde. Pehlke lehrte an der Bibelschule Bergstraße Altes und Neues Testament, sowie Evangelistik, bevor er für weitere Studien in die USA ausreiste. Nach seinem Studium in Texas widmete er sich verschiedenen Lehrtätigkeiten an der Freien Theologischen Akademie in Gießen und dem Bibelseminar in Bonn. Er bereiste nicht weniger als achtmal das Heilige Land. Seit 2004 ist Helmuth Pehlke Professor für Altes Testament am Southwestern Baptist Theological Seminary/Texas. In diesem Jahr beendete er seine Lehrtätigkeit an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen und widmet sich nun als Emeritus anderen Herausforderungen.
- Institut: „Es ist offensichtlich, dass die geographische Region im Gebiet des heutigen Israel eine hohe Relevanz für die christliche Theologie hat, weil sich ein großer Teil der Geschichtsoffenbarung an ausgewählte Menschen gerichtet dort ereignet hat. Was unterscheidet dieses Land kategorisch, nicht nur graduell von Griechenland oder von der Türkei, wo sich ja ebenfalls ein erheblicher Teil der Offenbarungen Gottes in der Geschichte ereignet haben?“
Pehlke: „Griechenland oder die Türkei wurden nie durch eine göttliche Verheißung einem bestimmten Volk zugesprochen. In Griechenland und in der Türkei hat sich sehr viel ereignet, aber die Landbesitzverheißung ist der Hauptunterschied zwischen Griechenland, der Türkei und Israel.
Gott verheißt durch den Abrahambund ihm und seinen Nachkommen das Land Kanaan. Der Bund ist durch die Zusagen Gottes ewig gültig. Immer dann, wenn die Nachkommen Abrahams ins Ausland gingen, wurde die Landverheißung erneuert. An Jakob wurde die Verheißung erneuert, bevor er nach Mesopotamien ging bzw. später dann nach Ägypten zog. Die Landverheißung wird für die Verheißungsträger immer wieder erneuert.“
- Institut: „Inwiefern gibt es für das jüdische Volk zukünftig noch ausstehende Verheißungen, außer der „Erlösungsverheißung“ unter Juden in eschatologischer Zukunft (Röm. 11,25ff.)?“
Pehlke: „Durch den Sinaibund wurde das Volk Israel zu einer Nation. Aber dieser Bund ist zeitlich begrenzt und möchte zwei Dinge regeln: zum Einen das Verhältnis Gottes zu seinem erwählten Volk Israel, d.h. wie kann das Volk mit dem heiligen Gott in seiner Mitte leben. Das zweite ist das Verhältnis zwischen den Bundesgenossen (Israeliten) untereinander zu regeln. Deshalb haben wir im sinaitischen Bund diese beiden Hauptkomponenten.
Zum Beispiel konnte man an Ausländer ein verendetes Tier verkaufen, an israelitische Volksgenossen durfte man das nicht. Auch durfte man von Ausländern Zinsen für Entliehenes nehmen. Den Volksgenossen hingegen musste man ein zinsloses Darlehen geben. Dieser Sinaitische Bund ist durch Jesus erfüllt (Mt 5, 17). Er ist das Ende des Gesetzes (Röm 10,4). Aber durch den Bund mit Abraham bleibt das Volk Israel sein erwähltes Volk, das zum Segen für alle Völker werden soll (1Mo 12,2-3). Auch die Landverheißung an Abraham und seinen Nachkommen bleibt für ewig bestehen (1Mo 13, 15).“
- Institut: „Gibt es biblisch-theologische Gründe (also nicht völkerrechtliche), die untermauern, dass Juden das geographische Land Israel zusteht?“
Pehlke: „Zu klären wäre die Frag: wer ist Jude? Das gesamte AT unterscheidet in Israel zwischen Gottesfürchtigen und den Personen, die nur nominell Juden sind. Der Prophet Jesaja impliziert mit dem Ausdruck „der Rest“ die Gottesfürchtigen. Der Gedanke, wer denn überhaupt Jude ist, wird insbesondere im Römerbrief aufgegriffen. Und Röm 3 kommt zu der Schlussfolgerung, dass alle Menschen – Juden wie Nicht-Juden – unter dem Zorn Gottes stehen und alle auf gleicher Ebene die Erlösung Christi benötigen.“
Institut: „Wer ist für Sie ein Jude?“
Pehlke: „Für mich wäre ein Jude, deren Vater und Mutter Juden sind. Sie haben ein Anrecht auf dieses Land. Aber in der gesamten dritten Fragestellung spielen auch andere Komponenten eine Rolle. Nach dem heutigen jüdischen Gesetz, ist der ein Jude, dessen Mutter Jude ist; der Vater spielt dabei keine Rolle.“
Institut: „Inwiefern bestehen bei den heutigen Landesgrenzen Israels Parallelen zu den Grenzen aus dem Pentateuch?“
Pehlke: „Die Grenzen des Landes Israels sind in den biblischen Zeugnissen ganz unterschiedlich gezogen worden, sie sind jedenfalls nicht überall gleich. Die Grenzbeschreibung ist an für sich nur im Westen und Osten eindeutig, vom Mittelmeer bis zum Jordan. Im Norden und Süden hingegen bleiben die Grenzen unklar. Beispielsweise wird die Formulierung mit der hebräischen Präposition „ad“ in diesem Kontext häufig missverstanden. „Ad“ kann bedeuten „bis“ oder aber „in Richtung“. Sieht man die Nordgrenze unter diesem Gesichtspunkt, dann könnte die Nordgrenze bedeuten: „in Richtung zum Strom Euphrat“. Die Landesgrenze muss demnach aber nicht zwingend bis an den Strom Euphrat reichen. Im Südwesten ist die Grenze der Wadi-el `Arisch. Demnach würde die heutige israelische Landesgrenze vom Gazastreifen bis nach Eilat in den Süden der biblischen Landgrenze entsprechen. Das Land, das Abraham in Gen 15 verheißen wurde, hatte allerdings eine andere Größe, als das, was im Buch Josua erwähnt wird. Zweieinhalb Stämme, die im Buch Josua erwähnt werden, siedelten jenseits des Jordans, also nicht auf dem Territorium des verheißenen Landes.“
Institut: „Wie sah die Situation damals mit dem Philisterland aus? Befanden sich die Philister auf dem Gebiet des von Gott verheißenen Landes für Israel?“
Pehlke: „Es kommt darauf an, welche Grenzen man für das verheißenen Land annimmt. Zur Zeit der Könige haben wir den Ausdruck von Dan bis Beer Sheva, also Dan im Norden und Beer Sheva im Süden. Die Südgrenze geht zur Zeit der Könige nicht bis nach Eilat, sondern lediglich bis Beer Sheva. Das Land unter David und Salomon hatte schon die Dimension eines Imperiums, denn es reichte im Norden über Dan hinaus und im Süden weiter als bis Beer-Sheva. Das Ostjordanland, die Aramäer im Norden und die Stämme im Süden wurden tributpflichtig gemacht.
Die Philister kamen erst nachdem Israel bereits im Land war und siedelten an der Mittelmeerküste. Ursprünglich gehörte dieses Gebiet den Stämmen Juda, Ephraim und Manasse, die aber zu schwach waren um dieses Gebiet gegen den philistäischen Ansturm zu halten.“
Institut: „Wie sollen wir heute mit der Landverheißung umgehen?“
Pehlke: „Ich würde da pragmatisch vorgehen, wie es wohl auch die gegenwärtige Situation verlangt: der Gazastreifen und das Westjordanland sollte den Palästinensern zustehen und von ihnen bewohnt werden dürfen. In der heutigen Situation würde ich mich vom Pragmatismus leiten lassen. Die Frage sollte lauten: was kann ich als Ministerpräsident tun, um Frieden zu bekommen? Demnach sollte den Palästinensern ihr Land zustehen. Das war auch das Anliegen von Yitzhak Rabbin. Jüdische Siedlungen innerhalb des palästinischen Territoriums sind deshalb nicht richtig, weil sie zusätzlich Animositäten zwischen Juden und „Palästinensern“ hervorrufen. Abgesehen von den Grenzen des verheißenen Landes im Alten Testament sollten wir heute pragmatisch vorgehen. Besonders in den Ländern des Nahen Ostens und auch zurzeit in Deutschland, sehen wir, dass rationales Abwägen und Überlegen bei gewissen Dingen nicht sattfindet, sondern Emotionen eine primäre Rolle spielen. Emotionen können wir jedoch allein mit Rationalität nicht in den Griff bekommen. Genau dieses Phänomen findet momentan in Israel statt. Wenn man generell Frieden in Israel haben will, dann ist nicht der springende Punkt, dass Ostjerusalem heute zu Israel gehört, sondern der, wie die Bewohner Ostjerusalems behandelt werden und wie die Bewohner Ostjerusalems die Juden behandeln. Ich würde zwischen dem unterscheiden, was biblisch-theologisch gesichert ist, und dem, was pragmatisch nötig ist um Frieden zu bekommen.
Demnach gibt es zwei Hauptfragen: wer von den heutigen ‚jüdischen‘ Einwanderern, die nach Israel aus der Diaspora kommen, sind wirklich nach Maßstäben der Bibel jüdisch? Und, wie sollen wir heute mit den Palästinensern und Israelischen-Arabern in Israel umgehen?“
- Institut: „Das Alte Testament kann ein strenges, zorniges und brutales Gottesbild vermitteln. Sehen Sie einen großen Unterscheid im Bezug auf das Gottesbild zwischen AT und NT?“
Pehlke: „Ich sehe keinen Unterschied in Bezug auf das Gottesbild im Alten und dem Neuen Testament. Gott übt im Alten Testament Barmherzigkeit. Verhalten wir uns fehl, so kommt es laut dem Propheten Jesaja zur Anklage, zu einem gerechten Gerichtsprozess. In diesem Gerichtsprozess kann ich mich verteidigen; danach kommt es aber auch zu einem Urteilsspruch. Doch das Urteil wird nicht vollzogen – das ist Barmherzigkeit Gottes. Unsere Vorstellung von der Barmherzigkeit Gottes ist häufig: „Gott, jetzt sei doch mal barmherzig und hilf mir, drück doch mal beide Augen zu, sehe das doch nicht so eng“. Jesaja bringt deutlich zum Ausdruck, dass es nach Fehlverhalten zum Gerichtsprozess und Schuldspruch kommt. Doch Gott dann seine Barmherzigkeit erweist.“
Institut: „Warum spricht das AT so häufig von ‚Gesetzen‘ und ‚Ordnungen‘, besonders im Buch Levitikus?“
Pehlke: „Meiner Ansicht nach ist das Buch Levitikus kein Handbuch für die Priester. Vielmehr verdeutlichen auch die einzelnen Ausführungen in diesem Buch, dass es für das Volk geschrieben wurde, damit das Volk die Priester „kontrollieren“ konnte, ob sie richtig handeln. Die einzelnen Opfer, die in Levitikus 1-7 beschrieben werden, sagen wenig über den Opfervorgang aus. Wie kann sich ein Priester dann sicher sein, dass er ein Opfer richtig darbringt? Im Anfang des Buches Levitikus werden grobe Linien gezeichnet, wodurch das jüdische Volk verstehen kann, was die einzelnen Opfer für eine Bedeutung haben.
Für die Schächtung der Opfertiere waren nicht die Priester im AT zuständig. Die Schächtung des Tieres wurde vom Eigentümer selbst durchgeführt. Die Aufgabe des Priesters war der Vollzug des Blutritus.
Wir dürfen die „Gesetze“ im AT nicht so verstehen wie unsere heutigen Gesetzesbücher. Die Gesetze und Ordnungen sollten immer im Zusammenhang mit dem sinaitischen Bund gesehen werden. Es sind Vertragsbestimmungen, die das Verhältnis zwischen dem Volk Israel und Gott und zwischen den einzelnen Israeliten regeln wollten.“
Institut: „Kann Gott Menschen hassen?“
Pehlke: „Der hebräische Ausdruck für ‚Hass‘, bedeutet im Bundeskontext, die Bundessatzung nicht zu erfüllen. Es hat nichts damit zu tun, wie wir heute Hass verstehen. ‚Hass‘ und ‚Liebe‘ verstehen wir heute häufig rein emotional. Das war im AT ganz anders. Es ist auf jeden Fall kein Begriff, der auf der Gefühlsebene oder emotional zu verstehen ist.“
- Institut: „Weshalb hat Gott gerade das jüdische Volk und den Nahen Osten für sein Offenbarungshandeln in der Geschichte ausgewählt? Warum überhaupt die Erwählung eines Volkes? Gibt es darauf im AT weiterführende Antworten?“
Pehlke: „In Deuteronomium sagt Gott: „Ich habe dich auserwählt, weil du das Geringste unter allen Völkern bist“. Das bringt den Gedanken mit sich, dass die Erwählung für Gott geschehen ist und nicht für den Menschen. Das scheint der Primärgedanke im Offenbarungshandeln Gottes zu sein. Durch den Propheten Jesaja sagt Gott: „Ich vergebe euch eure Sünden, um meinetwillen“. Wir denken bei Sündenvergebung häufig an uns, um unsertwillen. Ich möchte Sündenvergebung um meinetwillen, damit ich ein reines Gewissen habe. Dem ist aber nicht so. Das ist ein entscheidender Punkt, der meist falsch verstanden wird. Es geht in unserer Beziehung mit Gott nicht darum, dass wir sündfrei leben; das wird ja auch nie passieren. Würden wir sündfrei leben können, wären wir auf derselben Stufe, wie Jesus. Deshalb sollte unser Grundinteresse darin bestehen, die eigene persönliche Verbindung mit Gott weise zu gestalten und sich zu überlegen, wie diese gepflegt werden kann. Im AT dienten die verschiedenen Opfer der Bundespflege. Dazu wurde auch immer die ganze Gemeinde eingeladen.“
- Institut: „Weshalb ist im AT so häufig von „Gesetzen und Ordnungen“ die Rede? Im NT hört man nur selten von Gesetzen und Geboten. Das Gebot der Liebe wird immer wieder besonders betont und es wird verdeutlicht, dass die Gebote uns dienen und nicht wir ihnen. Steht darin möglicherweise das NT im Widerspruch zum AT? Oder wie erklären Sie den inneren Zusammenhang?“
Pehlke: „Wenn ich mutwillig gegen Gott sündige, ist das die Sünde mit erhobener Hand. Es wird im AT zwischen willentlichen und unbewussten Übertretungen und Unterlassungen unterschieden. Dazu gibt es verschiedene Opfervorschriften im Buch Levitikus. Die Gesetze und Ordnungen muss man immer innerhalb des Bundes zwischen Gott und seinem Volk sehen, nie getrennt davon. Die Gesetze und Ordnungen, die wir im AT vorfinden, betreffen nicht jedes Gebiet des menschlichen Lebens. Es sind allgemeine Richtlinien. Jesus sagt im NT im Johannesevangelium: „Wer mich liebt, der hält meine Gebote“. Wenn wir den Ausdruck ‚Liebe‘ als den Ausdruck für ‚Bundestreue‘ nehmen und die ‚Gebote‘ für ‚Bundessatzungen‘, dann ist das vollkommen im Einklang mit dem, was im AT steht. Wir machen aber fast immer einen Unterschied, wir gehen mit unserem heutigen Verständnis von Gesetzen, Ordnungen, Liebe, Hass, Barmherzigkeit und Gnade aus, suchen uns einige Verse in der Bibel und bilden uns durch diese unsere Theologie für die gesamte Bibel.
Gesetze und Ordnungen kommen aus dem Sinaitischen Bund und sie tragen den Namen ‚Bundesgesetze‘. Der Galaterbrief setzt sich mit den Gesetzen des ATs auseinander. Paulus berichtet dort im 5. Kapitel über die Frucht des Geistes und über die Frucht des Fleisches. Die Frucht des Fleisches stößt sich an den Gesetzen und Ordnungen. Die Frucht des Geistes: „gegen die es kein Gesetz und keine Ordnung gibt“ (Gal 5,23). Das heißt, es geht wiederum um gelebte Beziehung.“
Institut: „Wie ist das orthodoxe Judentum heute zu verstehen, so wie es die jüdische Gottesfürchtigkeit heute lebt? Besteht überhaupt eine Parallele zwischen der heutigen Glaubenspraxis der Juden und dem was Gott im AT verdeutlichen möchte?“
Pehlke: „Nein, die heutige jüdische Glaubenspraxis ist rein mechanisch zu verstehen.
Ich habe in Jerusalem eine Diskussion mit einer amerikanischen Jüdin geführt, die sich für den Wiederaufbau des dritten Tempels einsetzt und dazu einen Vortrag hielt. Nach dem guten Vortrag fragte ich diese Frau: „Worum geht es bei dem Vorhaben eigentlich, geht es um ein Gebäude und die Wiedereinführung von Tieropfern oder geht es um das Verhältnis zu Gott, das Sie und ich haben sollten?“ Daraufhin schaute sie mich vollkommen entgeistert an. Das Problem haben wir Christen auch sehr häufig. Es geht uns nicht um eine Beziehung mit Gott, sondern häufig viel mehr um das Einhalten von Ordnungen und Gesetzen. Aber das Alte und das Neue Testament machen es sehr deutlich: Es geht um die Beziehung zu Gott und den Mitmenschen. Das sogenannte Doppelgebot der Liebe (Mat 22, 37+39) kommt ja bereits im Alten Testament vor (5Mo 6,5; 3Mo 19,18). Das zeigt, dass es in beiden Testamenten um Beziehungen geht.“
Institut: Vielen Dank, Herr Prof. Pehlke, für Ihre weiterführenden Antworten in diesem Interview.
(mr)
Bild: Höhle: amira_a@flickr
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