Das Alte Testament und die Frage nach dem „Glück“

Was sagt das Alte Testament eigentlich zu der Frage nach dem „Glück“? Offensichtlich muss die Glückslehre des AT als Antithese zur gängigen Glücksfrage der griechischen Philosophie gelesen werden. Denn im Alten Testament erscheint die Gottesbeziehung als konstitutiv für das menschliche Glück, die Machbarkeit des persönlichen Glücks dagegen gerät aus dem Fokus.

Wie werde ich glücklich? Diese brandaktuelle Frage wurde schon von vielen Denkern der Weltgeschichte behandelt. Eine Antwort darauf zu finden war unter anderem ein Hauptanliegen der griechischen Philosophie. Die Glücksfrage wurde damals hauptsächlich unter dem Stichwort der Eudaimonie behandelt. Die Antworten auf diese menschliche Grundfrage reichten dabei von dem Ideal der absoluten Übereinstimmung mit der Natur – also für uns übertragen: Das Umarmen von Bäumen – bis hin zum Ideal der absoluten Bedürfnislosigkeit – also für uns übertragen: Das sich gehen lassende Leben in einer Tonne (vgl. Diogenes). Nach Platon ist die eudamonia „die Realisierung der besten dem Menschen innewohnenden Anlagen“. Glück ist also machbar. Es liegt an uns! In diese Kerbe schlägt auch die heute sehr zahlreich verbreitete Ratgeberliteratur zum Thema „Glück“ unter deren Masse ein jedes Bücherregal zusammenbrechen würde. Es werden Patentrezepte zum Glücklich-Werden angeboten, ganz nach dem Motto: „Zehn Schritte zu einem glücklichen Leben“. Die Frage nach dem Glück ist also scheinbar nicht nur brandaktuell, sondern auch zeitlos. Sie beschäftigt offensichtlich die gesamte Menschheit zu allen Zeiten.

Was sagt das Judentum und damit verbunden das Alte Testament eigentlich zum Thema „Glück“? Die schockierende Antwort, die einem auf den ersten Blick ins Auge springt ist, lautet: Nicht viel! Genauer gesagt: Gar nichts! Denn, wenn man einmal die griechische Übersetzung des Alten Testaments aus dem hellenistischen Judentum durchforstet, fällt auf: Das Wort das durchgängig in der griechischen Philosophie für Glück benutzt wurde (εὐδαιμονία) kommt im griechischen Alten Testament nicht ein einziges Mal vor. Das hellenistische Judentum und das Alte Testament scheinen sich also zu der Glücksfrage der alten Griechen nicht zu äußern.

Doch trifft diese Beobachtung nur auf den ersten Blick zu. Das Fehlen des begrifflichen Äquivalents für Glück kann nämlich zum einen interpretiert werden als die Abwesenheit einer Glückslehre im Alten Testament und im Judentum. Dadurch kämen das Judentum und das Alte Testament unter den Verdacht der übermäßigen Ernsthaftigkeit und fehlenden Lockerheit. Das Fehlen des Begriffs der Eudaimonie kann aber auch andererseits so interpretiert werden, dass sich im AT und im Judentum lediglich eine anders akzentuierte, sich gegen die griechische Lehre vom Glück abgrenzende, Glückslehre finden lässt. Nach dieser Interpretation würde die alttestamentliche Glückslehre also in Vokabeln artikuliert werden, die wir nicht mit „Glück“ ins Deutsche übersetzen, die unserem Glückkonzept aber nahe stehen. (Das Standardwörterbuch von Gesenius vermerkt 11 Begriffe die mit „Glück“ ins Deutsche übersetzt werden können. So z.B. die Begriffe tov(ah) „Gutes“, shalom „Heil, Friede“ oder auch berakhah „Segen“)

Letztere Alternative bietet sich alleine schon daher mehr an, weil es im AT und im Judentum mannigfache Formen von Weisheitsliteratur gibt, die sich mit dem Thema des gelingenden Lebens beschäftigen. Und auch die Geschichtsbücher des Alten Testaments können als Explikationen und als Mahnmahle in Bezug auf ein gelingendes Leben vor Gott geschildert werden. Denn die Geschichtsbücher des Alten Testaments sind nicht reine historiographische Zeugnisse der Geschehnisse vergangener Zeiten, sondern immer schon Interpretationen, die auf das gelebte Leben Bezug nehmen. Wenn man so will interpretieren sie die Geschichte vor dem Hintergrund einer glückenden bzw. scheiternden Gottesbeziehung.

Die Frage „Wie führe ich ein glückendes und gelingendes Leben?“ ist also im Alten Testament zu tiefst mit der Frage nach der Gottesbeziehung verbunden. Und genau an diesem Punkt wird ersichtlich warum das Alte Testament viel über Glück und ein gelingendes Leben redet, aber dazu nicht die griechische Terminologie der Eudaimonielehre benutzt: Der Grund findet sich im dominierenden Gottesbezug, der dem Gottesfürchtigen ein gelingendes Leben verheißt. Während die griechische Eudaimonielehre das Individuum in den Vordergrund stellt und somit die Selbstverwirklichung menschlicher Anlagen als Glück ansieht, ist im Alten Testament ein gelingendes Leben streng von Gott her gedacht. Kurz: Bei den Griechen macht der Mensch sein Glück selbst, im AT ist der Mensch in Bezug auf das Glück ein von Gott Empfangender.

Was der Mensch dabei als Glücksgüter empfängt ist im Alten Testament selten immateriell und jenseitig, sondern vielmehr diesseitig und materiell gedacht. Etwas zugespitzt könnte man sagen, dass Glück im AT anschaulich nachweisbar ist. So beispielsweise bei Hiob dessen Lebensphase nach seinem Leiden gesegneter war, eben weil er mehr Glücksgüter geschenkt bekam. Glücksgüter sind also: Schafe, Geld, Kindersegen und Lebenszeit. Dabei ist (zunächst einmal) nichts zu sehen von einer Jenseitsvertröstung. Jedoch muss hier vor dem Fehler gewarnt sein die Begriffe für (materiellen)„Segen“ und „Glück“ ineinander fallen zu lassen. Denn auch wenn sich Glück meist in Glücksgütern manifestiert ist es etwas anderes was für das Glück konstitutiv ist, nämlich der Gottesbezug.

Denn die Immanenz des Glücks ist nicht zufriedenstellend, da sie das Glück auf materiellen Besitz reduziert. Glück im Alten Testament hat – wie gesagt – stets einen unverzichtbaren Transzendenzbezug. Es geht nicht um das irdische Glück an sich, sondern um die Begegnung und die Gemeinschaft mit JHWH, dessen Liebe und Treue sich in irdischen Gütern manifestiert. Die Vorrangstellung dieses Transzendenzbezuges wird vor allem im Buch Hiob deutlich. Denn hier zeigt sich: Der Gottesfürchtige ist nicht immer mit Glücksgütern gesegnet, doch das ist kein Grund der Gottesbeziehung ein Ende zu setzen. Der vertrauende Gottesbezug lohnt sich auch, wenn er sich nicht in irdischen Glücksgütern manifestiert. Auch die Seligpreisungen Jesu reihen sich in diese Denklinie ein. Denn auch Jesus spricht hier den Menschen Glück zu, die gerade nicht durch Glücksgüter gesegnet sind. Die Pointe dieser alttestamentlichen Glückslehre scheint daher die folgende zu sein: Das irdische Glück ist dem Menschen letztlich unverfügbar und auch nicht durch das simple Befolgen göttlicher Regeln (Tun-Ergehen-Zusammenhang) herstellbar. Doch diese Unverfügbarkeit führt nicht zur Resignation, sondern zum Festhalten am Gottvertrauen und zur Gewinnung neuen Lebensmutes durch den Transendenzbezug.

Diese Linie des Redens von Glück ist von der griechischen Rede grundverschieden und machte letztendlich die radikale Glückslehre Jesu möglich. Diese fordert letztendlich nicht zur Selbstverwirklichung, sondern zur Selbstlosigkeit auf und veranschaulicht den Aspekt der Unverfügbarkeit des irdischen Glückes. Worauf es bei einem gelingenden irdischen Leben ankommt, so scheint es, ist der Gottesbezug. Um mit Jesus zu sprechen „Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.“ (Matthäus 16,25).

(tf)

Quellen:

Lauster, Jörg, Gott und das Glück – Das Schicksal des guten Lebens im Christentum, Gütersloh 2004.

Lang, Bernhard, Religion und menschliche Glückserfahrung: Zur alttestamentlichen Theorie des Glücks, in: Bellebaum, Alfred (Hrsg.), Vom Guten Leben – Glücksvorstellungen in den Hochkulturen, Berlin 1994.

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