München feiert das 50. Jubiläum der Olympischen Spiele und erinnert an die israelischen Opfer des Attentats 1972

„Auf dem Weg in die Zukunft 1972–2022–2072“

Unter diesem Motto hat das Jahr 2022 eine besondere Bedeutung für die Stadt München: Vor 50 Jahren fanden die XX. Olympischen Sommerspiele in der Landeshauptstadt Bayern statt und sollten eine neue Zeit einläuten. Ursprünglich sollten die Spiele das Fest des Friedens sein, doch wurden sie zur wohl größten Tragödie in der Sportgeschichte. Es war erst das zweite Mal, dass Deutschland zum Gastgeber für das große Sportevent wurde und damit die Chance für eine Aufbesserung des Images bekam: 1936 hatte das damalige Deutschland unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zu den Olympischen Spielen eingeladen, drei Jahre bevor ebendieses Deutschland den brutalsten Krieg der bisherigen Menschheitsgeschichte entfesselte. 27 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges reiste die jüdische Mannschaft aus Israel nach München, darunter einige Holocaustüberlebende – viele sollten nicht mehr in ihr Heimatland zurückkehren. Denn am 5. September 1972 töteten palästinensische Terroristen insgesamt 12 Menschen in München.

Das Bild zeigt das Olympische Dorf Münchens in der Bauphase 1971.

Trotz der Tragik haben die Olympischen Sommerspiele des Jahres 1972 eine große Bedeutung für München. Deshalb will die Stadt in diesem Jahr mit einem besonderen Programm „an den demokratischen, ganzheitlichen und visionären Ansatz der Spiele“ erinnern und das durch vielfältigste Veranstaltungen und Ausstellungen zu den Themen Sport und Kultur, Design und Architektur sowie Erinnerungskultur und demokratischen Miteinander tun. Auch des Anschlags palästinensischer Attentäter auf die israelische Mannschaft soll angemessen gedacht werden.

 

Zur Vorgeschichte

Golda Meir war die Ministerpräsidentin des jüdischen Staats zur Zeit des Attentats.

Die XX. Olympischen Sommerspiele sollten vom 26. August bis zum 11. September im Olympischen Dorf in München stattfinden. Früh am Morgen des 5. September drangen acht Mitglieder der Terrorgruppe „Schwarzer September“1Der Schwarze September ging aus der terroristischen Arbeit PLO (Palestine Liberation Organization) und deren brutalen Folgen hervor. Mit dem ursprünglichen Ziel, das jordanische Königshaus sowie den jüdischen Staat Israel zu attackieren verübten die Mitglieder auch Anschläge im Ausland, so etwa bei den Olympischen Spielen 1972 in München. (Vgl. N.N., Der palästinensische Terror) in die Unterkunft der israelischen Sportler in der Conollystraße 31 ein. Sie waren schlicht über einen Zaun auf das Gelände gelangt. Ihnen gelang die Geiselnahme von insgesamt elf Israelis. Die Palästinenser griffen gezielt die Appartements 1und 3 an, da in Appartement 2 zwei Fechter, ein Geher und zwei Sportschützen, die ihre Waffen bei sich tragen durften, untergebracht waren; diesen gelang die Flucht. Vom gegenüberliegenden Quartier der Mannschaft der DDR aus beobachtete der Sportler Peter Larisch die Geiselnahme und wurde Zeuge, wie die Attentäter eine ermordete Geisel vor dem israelischen Quartier ablegen. Bei diesem ersten Opfer handelte es sich um den Ringer-Trainer Mosche Weinberg, den die Terroristen erschossen, als er versuchte zu fliehen. Der Gewichtheber Josef Romano erlag eigenen Schusswunden, da ihm ärztliche Behandlung während der Geiselnahme verweigert wurde. Larischs Kollege Klaus Langhoff beobachtete die Szenerie ebenfalls und machte sogar Fotos. Die Sportler sahen, wie der Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher mit den Terroristen vor Ort verhandelte und sogar eine Essenslieferung gebracht wurde. Die Terroristen hätten ihnen freundlich zugewunken; Langhoff vermutet später, dass die Palästinenser gewusst hätten, dass sie aus der DDR gewesen seien, die zu dem Zeitpunkt eine palästinafreundliche Politik führte und sich an die Seite der Attentäter stellte. So bezeichnete man das Geschehen als Tragödie und kommentierte im Fernsehen, „dass uns von den politischen Auffassungen der israelischen Regierung, von der aggressiven Politik, die sie im Nahen Osten betreibt, Welten trennen. Wir standen und wir stehen an der Seite des gerechten Kampfes der arabischen Völker.“2Zitiert nach Hufman/Unger, Olympische Spiele 1972.

Auf dem Flugplatz erinnert ein Denkmal an die Opfer der missglückten Befreiungsaktion: neun jüdische Männer und ein deutscher Polizist.

Mit der Geiselnahme ging die Forderung nach der Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischer Haft sowie nach der Entlassung der RAF-Mitglieder Andreas Baader und Ulrike Meinhof aus deutscher Haft einher. Die israelische Regierung unter Golda Meir3Golda Meir (1898-1978) war die vierte Ministerpräsidentin des jüdischen Staates und regierte von 1969 bis 1974. (Vgl. El, Golda Meir; N.N., Golda Meir) ließ die Ultimaten, die die Terroristen setzten, jedoch verstreichen – würde man nachgeben, würde das die Sicherheit aller Juden weltweit infrage stellen, so die Begründung. Die Verhandlungen mit dem Bundesinnenminister und dem Polizeipräsidenten zogen sich bis in den späten Abend und wurden im Fernsehen übertragen – da die Attentäter sie auch sahen, passten sie ihre Strategie an und forderten nun freies Geleit und eine Flugmöglichkeit, was ihnen wenig später zugestanden wurde. Am späten Abend verließen drei Hubschrauber zum Flugplatz in Fürstenfeldbruch. Von dort aus sollten die Attentäter und Geiseln nach Kairo ausgeflogen werden, doch hatte die Polizei eine Befreiungsaktion vorbereitet. Aufgrund der schlechten Vorbereitung und Ausrüstung der Einsatzkräfte sowie abreißender Funkverbindung lief die Aktion jedoch schief und mündete in einer Tragödie: Die Attentäter ermordeten die neun israelischen Geiseln sowie einen Polizisten, fünf der palästinensischen Terroristen starben ebenfalls. Der Mossad-Chef Zamir war während des Unglücks anwesend, da er kurz vorher eingeflogen worden war. Er selbst und die israelische Regierung übten harte Kritik am Vorgehen der deutschen Behörden.

Zuerst wurde im deutschen Fernsehen eine Falschmeldung durch den Regierungssprecher Konrad Ahlers abgegeben, in der er sagte, dass alle Israelis überlebt hätten; erst amerikanische Medien berichteten in der Nacht vom tragischen Ausgang des Geschehens. Drei der Attentäter konnten inhaftiert werden, doch wurde wenige Wochen später die Lufthansa-Maschine „Kiel“4Am 29. Oktober 1972 wurde die Maschine entführt. Die Geiselnehmer stellten die Forderung, dass die drei überlebenden Terroristen des Schwarzen Septembers frei gelassen werden sollen. Die deutsche Regierung geht ohne zu zögern darauf ein, was die israelische Regierung gemessen am Verhalten während des Anschlags am 5. September schockiert zurücklässt. (Vgl. Borgstede, Und niemand geht raus) entführt und so die Freilassung der Palästinenser erpresst.

 

Kampfgeist oder Angst?

Die schlichte Gedenktafel vor dem Quartier der israelischen Mannschaft trägt die Namen der ermordeten Juden.

War es wirklich nur Sportgeist, der die Veranstalter des IOC dazu bewegte, die Spiele bis in den Nachmittag jenes schicksalhaften Tages am 5. September 1972 weiterlaufen zu lassen, bis der damalige Präsident Avery Brundage sie schließlich doch unterbrechen musste? War es wirklich nur Kampfgeist, der ihn dazu veranlasste, die Spiele nach dem grausamen Attentat und seinem blutigen Ausgang fortzusetzen? Brundage sagte während der Trauerfeier am nächsten Tag die lapidaren Worte „The Games must go on“ – und ließ das Treiben am nächsten Tag wieder aufnehmen. Zumindest aus einer Perspektive der deutschen Geschichte heraus hinterlässt dieser Satz einen faden Nachgeschmack. War es wirklich nur eine sportliche Entscheidung – oder spielte, wie das IOC auf Nachfragen immer wieder andeutete, vielmehr die Angst vor der Reaktion arabischer Staaten und einem möglichen folgenden Boykott die entscheidende Rolle und so die Ablehnung eines richtigen Gedenkens auch in den Folgejahren begründete?

Dieses Denkmal für die Opfer des grausamen Attentats steht im Wald von Bet Shemen in Israel.

Erst nach 44 Jahren, in denen die Hinterbliebenen der Opfer beharrlich blieben, wurde das erste Mal bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro eine Schweigeminute für die israelischen Opfer und den ermordeten Polizisten gehalten. Am Ort des Geschehens selbst befand sich viele Jahre nur eine Eisenplatte, die dem Besucher von den Ereignissen aus dem Jahr 1972 erzählen sollte. 2017 wurde dann endlich eine Gedenkstätte eingerichtet: Im Olympiapark in München wird nun der Opfer, der israelischen Sportler ebenso wie des deutschen Polizisten gedacht.

Sicherheitspolitische Folgen hatte die Tragödie allemal. Aufgrund der schlechten Organisation des polizeilichen Eingreifens wurde am 26. September 1972 die Grenzschutzgruppe 9 der Bundespolizei gegründet. Auch in der israelischen Geschichte hinterließ das Geschehen maßgebliche Spuren: Der Mossad verfolgte in dem Vorhaben Operation Zorn Gottes die Mitglieder des Schwarzen Septembers.

 

Bunte Spiele im Jahr 2022

Seit dem 13. Januar dieses Jahres wird das 50. Jubiläum der Olympischen Spiele in München mit buntem Programm gefeiert, das von 33 Kooperationspartnern und zahlreichen Unterstützern und Anbietern der Stadt ermöglicht wird. Den kulturellen Höhepunkt des Jubiläumsjahres bildet das große Festival des Spiels, des Sports und der Kunst, das vom 1.-9. Juli am Olympiasee stattfinden soll. Das Programm mit insgesamt über 150 Veranstaltungen ist hier einsehbar.

Doch wird in diesem Jahr nicht nur gefeiert – es soll auch erstmals in einer großen Aktion der Opfer des Attentats von vor 50 Jahren gedacht werden. In jedem Monat des Jahres 2022 wird an eins der zwölf Opfer erinnert – hier finden Sie weitere Informationen dazu. Im Januar wurde des Lebens von David Berger gedacht, im Februar dem des getöteten Polizisten Anton Fliegerbauer und im März dem von Ze´ev Friedman.

Die aktuellen Veranstaltungen können immer auf der Website des Jubiläums eingesehen werden. Hier findet man auch eine kleine Mediathek mit Videos von Interviews, Pressekonferenz und Programmpunkten.

 

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    Der Schwarze September ging aus der terroristischen Arbeit PLO (Palestine Liberation Organization) und deren brutalen Folgen hervor. Mit dem ursprünglichen Ziel, das jordanische Königshaus sowie den jüdischen Staat Israel zu attackieren verübten die Mitglieder auch Anschläge im Ausland, so etwa bei den Olympischen Spielen 1972 in München. (Vgl. N.N., Der palästinensische Terror)
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    Zitiert nach Hufman/Unger, Olympische Spiele 1972.
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    Golda Meir (1898-1978) war die vierte Ministerpräsidentin des jüdischen Staates und regierte von 1969 bis 1974. (Vgl. El, Golda Meir; N.N., Golda Meir)
  • 4
    Am 29. Oktober 1972 wurde die Maschine entführt. Die Geiselnehmer stellten die Forderung, dass die drei überlebenden Terroristen des Schwarzen Septembers frei gelassen werden sollen. Die deutsche Regierung geht ohne zu zögern darauf ein, was die israelische Regierung gemessen am Verhalten während des Anschlags am 5. September schockiert zurücklässt. (Vgl. Borgstede, Und niemand geht raus)

 

Quellen:

Aßmann, Tim, Olympia-Attentat vor 45 Jahren. Eine Geschichte des Versagens, https://www.deutschlandfunk.de/olympia-attentat-vor-45-jahren-eine-geschichte-des-versagens-100.html (Stand 25.4.2022)

Borgstede, Michael, „Und niemand geht raus, um ihm zu helfen“, https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article108889170/Und-niemand-geht-raus-um-ihm-zu-helfen.html (Stand 27.4.2022)

El, Eugen, Golda Meir als Vorbild, https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/golda-meir-als-vorbild/ (Stand 27.4.2022)

Hufmann, Matthias/ Unger, Benjamin, Olympische Spiele 1972: Wie die DDR beim Terror zusah, https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Olympia-1972-Wie-die-DDR-beim-Attentat-in-Muenchen-zusah,olympiaattentat100.html (Stand 25.4.2022)

N.N., Der palästinensische Terror, https://www.km.bayern.de/lehrer/erziehung-und-bildung/erinnerungsort-olympia-attentat-muenchen-1972/vorgeschichte-und-kontexte/der-palaestinensische-terror.html (Stand 27.4.2022)

N.N., Golda Meir, https://www.britannica.com/biography/Golda-Meir (Stand 27.4.2022)

N.N., Olympia 1972: Geiselnahme der israelischen Olympia-Mannschaft, https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/143786/olympia-1972-geiselnahme-der-israelischen-olympia-mannschaft/ (Stand 25.4.2022)

N.N., Olympia 1972 in München: Terror zerstört die heiteren Spiele, https://tokio.sportschau.de/tokio2020/geschichte/Muenchen-1972-Terror-zerstoert-die-heiteren-Spiele,muenchen444.html(Stand 25.4.2022)

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    Der Schwarze September ging aus der terroristischen Arbeit PLO (Palestine Liberation Organization) und deren brutalen Folgen hervor. Mit dem ursprünglichen Ziel, das jordanische Königshaus sowie den jüdischen Staat Israel zu attackieren verübten die Mitglieder auch Anschläge im Ausland, so etwa bei den Olympischen Spielen 1972 in München. (Vgl. N.N., Der palästinensische Terror)
  • 2
    Zitiert nach Hufman/Unger, Olympische Spiele 1972.
  • 3
    Golda Meir (1898-1978) war die vierte Ministerpräsidentin des jüdischen Staates und regierte von 1969 bis 1974. (Vgl. El, Golda Meir; N.N., Golda Meir)
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    Am 29. Oktober 1972 wurde die Maschine entführt. Die Geiselnehmer stellten die Forderung, dass die drei überlebenden Terroristen des Schwarzen Septembers frei gelassen werden sollen. Die deutsche Regierung geht ohne zu zögern darauf ein, was die israelische Regierung gemessen am Verhalten während des Anschlags am 5. September schockiert zurücklässt. (Vgl. Borgstede, Und niemand geht raus)