„Eine bahnbrechende und geschichtsträchtige Aufgabe“ – zur Eröffnung der messianisch-jüdischen theologischen Akademie von Beit Sar Shalom

Eine messianisch-jüdische Akademie in Deutschland, die eine theologisch fundierte Ausbildung anbietet, schien lange Zeit ein bloßer Traum zu sein – und zu bleiben. Die messianisch-jüdische Bewegung in Deutschland ist noch verhältnismäßig jung und entsprechend klein. Zwar trifft sie in den verschiedenen christlichen Kreisen immer wieder auf Sympathie, aber die Unterstützung der verschiedenen Gemeinden und Projekte fällt doch eher gering aus. Die deutsche Geschichte hat die Gesellschaft und vor allem die kirchliche Landschaft geprägt: So herrscht seit einigen Jahren eine grundlegende Skepsis gegenüber jeder Art von Evangelisation, vor allem, wenn es um eine Evangelisation von christlich Gläubigen unter jüdischen Menschen geht. Auf diese Skepsis stößt man auch immer wieder in kirchlichem Umfeld, so etwa der EKD.

Nur allzu verständlich ist jede Zurückhaltung in Fragen rund um „christliche Mission unter Juden“, betrachtet man die Geschichte, vor allem die der letzten fast 100 Jahre: Die Wunden, die Nationalsozialismus und Holocaust in jüdischen Menschen, aber ganzen Gesellschaften geschlagen haben, brechen immer wieder auf. Zugleich sind an Christus gläubige Juden u.a. wegen mancher Missionsbemühungen ihrerseits sehr häufig Anfeindungen durch traditionell gläubige Juden ausgesetzt, die die messianische Bewegung als „anti-jüdisch“ oder sogar „judentumsfeindlich“ ansehen. Die Herausforderungen sind also groß. Und dennoch: Inmitten der Suche nach dem richtigen Umgang der verschiedenen Glaubensströmungen miteinander, inmitten der Suche nach Identität und Heimat, finden immer mehr jüdische Menschen zum Glauben an Jesus Christus.

Das Logo von Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst e.V. (Bild: Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst e.V., mit freundlicher Genehmigung)

Die messianisch-jüdische Bewegung wächst seit Jahren stetig an und bringt viel Frucht hervor. Der Beit Sar Shalom Evangeliusmdienst e.V. gehört neben einigen anderen Werken und Initiativen, die ähnliche Anliegen haben, zu den Hauptinitiatoren dieser Bewegung in Deutschland: Schon mehrere Gemeinden wurden in den letzten Jahrzehnten durch die Initiative von Beit Sar Shalom gegründet, denn das größte Anliegen der Organisation und ihrer Mitarbeiter ist die Verkündigung des Evangeliums unter Juden und nichtjüdischen Menschen. Doch mit dem Anstieg der Anzahl der Gemeinden und der Ausweitung und Professionalisierung der Arbeit ergab sich ein neues Problem: Aufgrund der Geschichte und des noch recht jungen Alters der messianischen Bewegung in Deutschland gab es im Grunde keine Möglichkeiten, sich fundiert in explizit messianisch-jüdischer Theologie ausbilden zu lassen, sodass als Folge oft gut ausgebildetes Leitungspersonal fehlte. Doch ist im vergangenen Herbst ein Grundstein gelegt worden: Nach Jahren des Hoffens und Planens gründete Beit Sar Shalom im Herbst 2019 die erste messianisch-jüdische theologische Akademie Deutschlands und sogar Europas. Ohne Frage ist es ein historischer Moment, dass dies gerade in dem Land geschieht, in dem vor wenigen Jahrzehnten noch jüdische Menschen systematisch verfolgt wurden. Dieser in jeder Hinsicht bemerkenswerte Vorstoß begann mit einem Traum.

 

Gründer und Leiter von Beit Sar Shalojm Evangeliumsdienst e.V. Wladimir Pikman (Bild: Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst e.V.), mit freundlicher Genehmigung)

Der Traum. Wladimir Pikman, gebürtig aus der Ukraine und Sohn jüdischer Eltern, bekehrte sich als junger Mann zum Glauben an Jesus Christus. Fortan wurde es sein größtes Anliegen, dass das jüdische Volk von seinem Messias Jeschua hört. Pikman erhielt die persönliche Berufung, diese Mission gerade in dem Land umzusetzen, von dem die größte Judenverfolgung in der Weltgeschichte ausging. Pikman zog mit seiner Frau Inna nach Deutschland, wo sie vor nunmehr 24 Jahren den Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst in der Hauptstadt Berlin gründeten. Mit der Zeit entwickelte Pikman die Idee einer messianisch-jüdischen Akademie, denn als Theologe und Gemeindeleiter kennt er selbst den Wert einer fundierten theologischen Ausbildung für die Gemeinden, die durch die Arbeit von Beit Sar Shalom gegründet werden sollen.

Im Zuge seines eigenen Studiums am Dallas Theological Seminary erstellte Pikman 2006 für ein Studienprojekt den Plan für die Gründung und Umsetzung einer solchen Akademie. Es sollte noch einige turbulente Jahre dauern, bis Beit Sar Shalom etabliert, verschiedenste Arbeitszweige entstanden und gefestigt und zahlreiche Gemeinden gegründet worden waren, aber endlich konnte sich ein Leitungsteam um Wladimir und Inna Pikman bilden und der Umsetzung des ersehnten Projekts widmen. Das Planen, Warten und die Mühen haben sich gelohnt: Nach über 13 Jahren, in denen Ideen gesammelt und weiterentwickelt, konkrete Pläne gemacht und Stück für Stück umgesetzt wurden, war im Herbst 2019 der Zeitpunkt für die Eröffnung der MJTA (messianisch-jüdische theologische Akademie) gekommen, und die ersten Studenten und Gasthörer nahmen ihr Fernstudium auf.

 

Kombination von selbständigem Lernen, fundierter Lehre und Praxis (Bild: Gerd Altmann, Quelle: www.pixabay.com)

Das Anliegen. Die messianische Bewegung in Deutschland ist noch sehr jung: Erst mit der Gründung von Organisationen wie Beit Sar Shalom in Deutschland vor kaum 25 Jahren formierte sich die Bewegung und bekam eine Grundlage. Seitdem ist der Bedarf an Arbeitern in diesem Bereich durch zahlreiche Zuwanderer aus Osteuropa oder auch Israelis, die in das sehr geschichtsträchtige Deutschland ziehen, immens gestiegen. So ist es das große Anliegen der Akademie, die messianisch-jüdische Bewegung in Deutschland und Europa zu unterstützen. Für die verschiedenen Projekte, seien es Gemeinden, Evangelisationen, Kurse und Seminare oder auch andere Dienste unter Juden, sind entsprechend ausgebildete Leiter wichtig, so Pikman in einem Gespräch mit dem Institut für Israelogie. Menschen, die leitend im messianisch-jüdischen Bereich tätig sein wollen, sollen durch die Akademie die Möglichkeit bekommen, als Theologen, aber auch Leitungspersönlichkeiten ausgebildet zu werden. Um eine ganzheitliche Ausbildung zu gewährleisten, basiert das Studium auf einem interaktiven Konzept: Dabei wird akademisches Lernen und selbständiges Arbeiten nicht nur durch Praktika ergänzt, sondern auch mit der Betreuung durch Mentoren kombiniert. Durch ein solches didaktisch ausgewogenes Programm sollen Menschen, die sich zu Leitungspositionen in der messianisch-jüdischen Bewegung berufen fühlen, zu verantwortungsvollen geistlichen Leitern ausgebildet werden, die den messianisch-jüdischen Glauben authentisch und relevant lehren, praktisch vermitteln und verkünden können.

 

Reihe der Theologischen Realenzyklopädie (Bild: Julia Schwab, Quelle: www.pixabay.com)

Das Studium. Um diese Ziele zu erreichen, ist eine umfassende theologische Bildung vorgesehen: Sowohl Tanach (das sog. Alte Testament) als auch Brit Chadascha (das sog. Neue Testament) werden in verschiedenen Kursen erforscht, wozu ein Erlernen der biblischen Sprachen gleich zu Beginn des Studiums angesetzt ist. Weiterhin werden alle theologischen Disziplinen im Lehrplan abgedeckt.

Für die Eigenarbeit steht den Studenten eine kleine Bibliothek in den Räumlichkeiten der Akademie zur Verfügung. Zusätzlich erhalten sie Zugang zur Bibliothek der Freien Universität Berlin. Um eine adäquate Unterstützung der Studenten an ihren jeweiligen Standorten zu gewährleisten, wird daran gearbeitet, eine Online-Bibliothek zu erstellen.

Die Persönlichkeit und Charakterbildung eines jeden Studenten sind ein zentrales Anliegen in der Ausbildung, weshalb ein Mentoren-Programm integriert wurde. Ein Leitsatz dabei lautet: „More is caught than taught!“. Die in Lehre und Dienst erfahrenen Mentoren sollen die Studenten in ihrem theologischen Lernen, Forschen und Arbeiten unterstützen, aber auch in persönlichen Gesprächen zur Selbstreflexion anleiten. Eine Weiterentwicklung im geistlichen Dienst durch ein Erkunden der Gaben sowie ein Arbeiten an möglichen Schwachpunkten in der eigenen Persönlichkeit ist das Ziel dieser persönlichen Betreuung, ebenso wie ein Wachsen im eigenen geistlichen Leben.

Das gesamte Studium steht im Dienst der Praxis, weshalb es als nebenberufliche Ausbildung konzipiert ist: Auf ungefähr vier Jahre ist das Studium angelegt, sodass es begleitend zum Beruf und/oder zur Mitarbeit in Gemeinde, im Missionswerk oder in anderen Projekten absolviert werden kann. Zusammengefasst ist das Ziel der Akademie, so Pikman, den Studenten nicht nur ein dienst-, sondern wirklich lebensbegleitendes Studium zu bieten.

Nach einem erfolgreichen Studium erhalten die Absolventen einen Abschluss in Jewish Studies an der Akademie – bisher handelt es sich jedoch nur um einen internen Abschluss. Doch arbeitet das Leitungsteam der MJTA an der Weiterentwicklung des Studiengangs mit internationalen akademischen Partnern, damit in Zukunft ein international anerkannter Masterabschluss in Jewish Studies erworben werden kann. Für solche Studenten, die ganz konkret die Leitung einer messianisch-jüdischen Gemeinde anstreben, besteht auch die Möglichkeit einer Weiterführung des Studiums, sodass man den Titel des messianischen Rabbiners (Smicha) über die Union of Messianic Jewish Congregations erhalten kann.

Blick auf eine Torah-Rolle (Bild: nellyaltenburger, Quelle: www.pixabay.com)

Ein Ausblick. Um Anliegen und Ziel des Studiums gerecht zu werden, soll die Akademie auch in Zukunft verhältnismäßig klein gehalten werden. Denn Anliegen der Akademie ist nicht die bloße Weiterbildung von Interessierten, sondern ausschließlich die Ausbildung von Menschen, die sich zum Dienst in der messianisch-jüdischen Bewegung berufen sehen. Voraussetzung für eine Aufnahme als Student an der MJTA ist also die Berufung zu Leitungsaufgaben in der messianisch-jüdischen Bewegung, aber auch die bereits vorhandene aktive Mitarbeit in einer Gemeinde oder in einem entsprechenden Projekt. Durch Beit Sar Shalom ist die Akademie verbunden mit der Evangelischen Allianz und einem weiten Netzwerk von messianisch-jüdischen Gemeinden und Organisationen in Deutschland, sodass eine befruchtende Kommunikation und Zusammenarbeit möglich ist. Sie ist des Weiteren Mitglied im European Council for Theological Education (ECTE), was eine stetige Weiterentwicklung des Studienprogramms ermöglicht.

 

Die Anzeige der MJTA (Bild: Beit Sar Shalom Evangeliumsdienst e.V., mit freundlicher Genehmigung)

Mit der Ausbildung von Leitungspersönlichkeiten, die mitten im Leben und der Welt stehen, möchte die MJTA ihren Beitrag dazu leisten, dass das Evangelium Jesu Christi unter Juden und nichtjüdischen Menschen verkündet wird und dass verantwortungsvolle Arbeit in der messianisch-jüdischen Bewegung in Deutschland und Europa stattfindet. Als erste Akademie dieser Art ist die Eröffnung der MJTA ohne Frage ein bedeutender Schritt, auch wenn das Projekt noch in den Kinderschuhen steckt: Bisher wird das Studium ohne einen anerkannten Masterabschluss angeboten, doch wird das Programm stetig weiterentwickelt und ausgefeilt und die akademische Ausstattung soll entsprechend vergrößert werden. Pikman schrieb dazu in einem Newsletter, der die Eröffnung der MJTA ankündigte: „Wir fangen klein an – aber wir fangen an! Preis dem Herrn! Die Pionierarbeit für diese Schule ist in der Tat eine bahnbrechende und geschichtsträchtige Aufgabe! Wir sind begeistert.“ Die Verwirklichung des Traums hat begonnen.

 

 

Die Informationen sind Gesprächen mit Wladimir Pikman sowie folgenden Quellen entnommen:

www.mjta.de

www.beitsarshalom.org

 

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