Die frühen Judenchristen der ersten Jahrhunderte nach Christus
Juden, die Jesus von Nazareth als ihren lang ersehnten Messias anerkennen; Dieses Phänomen tritt nicht nur heute im Rahmen der messianisch-jüdischen Bewegung auf. Vielmehr gründete sich das Christentum auf Juden, die an Jesus den Messias als ihren Herrn und Erlöser glaubten. In der Bibel wird im Neuen Testament zwischen solchen Menschen unterschieden, die als Juden an Jesus als ihren Retter und Herrn gläubig geworden sind, und solchen, die aus nicht-jüdischen Nationen an Jesus gläubig geworden sind. Somit wird zwischen „Juden-“ und „Heidenchristen“ unterschieden. Doch was ist mit den sogenannten Judenchristen nach diesen ersten Anfängen geschehen? Wie lassen sie sich geschichtlich einordnen? Dieser kurze Artikel behandelt in groben Zügen die Geschichte der frühen Judenchristen.
Nach seinem Wirken auf Erden ließ Jesus eine kleine Gruppe von Juden zurück, die an ihn als den vorhergesagten und erwarteten Messias glaubten und auf seine Rückkehr warteten. Diese Gruppe, bestehend aus seinen engsten Freunden, einigen Familienmitgliedern und anderen Anhängern (um die 120 Personen – Apg. 1,15 und ca. 500 Augenzeugen des Auferstandenen – 1Kor. 15,6; dann schließlich dreitausend auf den Namen Jesu getaufte Juden – Apg. 2,41), zog nach Jerusalem und ließ sich dort in der Erwartung seiner baldigen Wiederkunft nieder. Das Pfingstereignis (Apg. 2) löste schließlich eine regelrechte Bewegung der Verkündigung der frohen Botschaft unter den Juden und „Gottesfürchtigen“ aus. Zunächst wurde die Weitergabe des Evangeliums weitgehend noch auf jüdische Menschen in Israel beschränkt. Die ersten Christen, also an Jesus zum Glauben gekommene Juden, führten ihren jüdischen Lebensstil fort. So gingen sie z.B. weiterhin in den Tempel, ließen ihre neu geborenen Jungen beschneiden und hielten sich an mosaische und rabbinische Gesetze.
Doch die Taufe im Namen Jesu Christi bzw. im Namen des Vaters, Sohnes und Geistes (Mt. 28,18-20), wie auch die Auferstehung des Gekreuzigten, der als HERR anzurufen war, und anderes mehr unterschieden diese Christus-gläubigen Juden von der jüdischen Tempelgemeinschaft. So trafen sie sich zusätzlich zum Essen und zum Herren- oder Abendmahl, dass das Passah-Mahl in Erinnerung an die Errettung durch Gott vom Kreuzesgeschehen her neu deutete, um auf diese Weise miteinander Gemeinschaft zu haben.
Anfangs stellte der Jesus-Glaube also einen innerjüdischen Zweig dar, wie es andere zur gleichen Zeit auch gab (Sadduzäer, Zeloten, Pharisäer, Essener usw.). Judenchristen waren mit ihrem Glauben von der religiös-jüdischen Führung zwar nicht gern gesehen und akzeptiert, allerdings sprachen sie ihnen ihre jüdische Identität deshalb nicht ab.
Als Petrus eine göttliche Vision empfing und infolgedessen der römische Hauptmann Kornelius als erster Nicht-Jude auf den Namen Jesus getauft wurde (Apg 10), verbreitete sich der Jesus-Glaube schließlich auch unter anderen Völkern und der Apostel Paulus wurde ausdrücklich zum „Völkerapostel“ (Apg. 9) berufen.
Eine brisante Frage ergab sich seitdem: Wie soll mit diesen Heidenchristen nun verfahren werden? Müssen sie zunächst zum Judentum übertreten, um Jesus als ihren Messias annehmen zu können? Ende der 40er Jahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. fand aufgrund dieser Fragen ein wegweisendes Apostelkonzil in Jerusalem statt (Apg 15). Dieses Apostelkonzil verkörperte in gewisser Weise die Autorität der Urgemeinde in Jerusalem, welche ausschließlich aus Judenchristen bestand. Es wurde beschlossen, dass Jesus-Gläubige aus den Heiden nicht erst zum Judentum konvertieren mussten, um den Jesus-Glauben annehmen zu können.
Trotz dieses Beschlusses ergaben sich dennoch immer wieder Konflikte im Zusammenleben von Juden- und Heidenchristen. Schon zur Zeit des Apostels Paulus erscheinen zwei grundlegend verschiedene Gruppen von Judenchristen. Die eine Gruppe lebte bewusst ihren jüdischen Lebensstil aus, ohne jedoch diesen den Heidenchristen aufzudrängen. Die andere Gruppe allerdings versuchte, den Heidenchristen – dem Beschluss des Apostelkonzils zuwider – einen tora-abservanten Lebensstil aufzuzwingen. Diese Gruppe, unter den Kirchenvätern später meist als Ebioniten bezeichnet, lehnte zudem die Jungfrauengeburt und die Göttlichkeit Jesu ab. In den meisten Briefen warnt Paulus vor der Gruppe dieser Judaisierer. Auf der anderen Seite gilt es zu beachten, dass Paulus an keiner Stelle die Judenchristen dazu auffordert, ihre jüdische Identität preiszugeben. Er richtet sich also gezielt gegen die Gruppe der Judaisierer (bzw. gegen die Auffassung der sog. Ebioniten), die zum Glauben an Jesus jüdische Rituale als verbindliche Normen hinzufügen wollten (Beschneidung, Speisegebote, Feiertage usw.).
Kurz vor dem Jahre 70 n.Chr., als sich die politische Situation zwischen den Römern und den Juden immer weiter verschärfte, flohen etliche Judenchristen aufgrund der Prophezeiungen Jesu (vgl. Lk 21,20-24) nach Pella im Gebiet der Dekapolis, östlich des Jordans. Von den anderen Juden wurden sie als Verräter angesehen, da sie, anstatt Widerstand gegen die Römer zu leisten, einfach geflohen waren (vgl. [2], S.5, Z.1 ff. und [3], S.22, Z.20 ff.)
Nach der Zerstörung des jüdischen Tempels im Jahre 70 n.Chr. kehrten Juden, wie auch vereinzelt Judenchristen zurück nach Jerusalem. Weiterhin blieben sie ein Zweig der jüdischen Gesellschaft, obwohl ihnen wenig Vertrauen entgegengebracht wurde und diese Christus gläubigen Juden ihre eigenen wöchentlichen Versammlungen und Riten pflegten. Mit der Formierung des rabbinischen Judentums wurde es für die Judenchristen allerdings zunehmend schwieriger. 90 n.Chr. wurde dem Hauptgebet, dem sog. „18-Bitten-Gebet“, von Rabban Gamliel II aus Jabne das „Birkat HaMinim“ (ברכת המינים) – eine Verfluchung der Häretiker, welche insbesondere den Judenchristen galt – hinzugefügt. Dadurch wurden Judenchristen faktisch aus dem Synagogenleben ausgeschlossen. Gleichzeitig wuchs auch das Unverständnis und die Ablehnung des stark wachsenden heidnischen Teils der Christenheit gegenüber den Judenchristen, sofern diese auf die Einhaltung der jüdischen Gesetze wertlegten. Durch die Ausgrenzung der Juden auf der einen und der Skepsis der Heidenchristen auf der anderen Seite, verloren die exklusiv judenchristlichen Gemeinden zunehmend an Bedeutung. Mischformen von Jesus-Gläubigen aus Juden und Heiden bildeten zunehmend die übliche Struktur der christlichen Gemeinden.
Der Bar-Kochba-Aufstand gegen die römische Besatzermacht in den Jahren 132-135 n.Chr. bildete einen weiteren unrühmlichen Höhepunkt in der Geschichte der jüdischen Jesus-Gläubigen. Viele von ihnen kämpften zunächst noch mit ihren jüdischen Volksgenossen gegen die Römer und leisteten Widerstand. Diese anfängliche Solidarität löste sich allerdings auf, als aus der national-politischen Bewegung eine religiöse wurde. Nachdem Rabbi Akiba den militärischen Anführer Bar Kochba, zum Messias erklärt hatte, zogen sich die Judenchristen vom Wiederstand zurück. Der Aufstand vertiefte den bereits vorhandenen Graben zwischen den traditionellen, rabbinischen Juden und den Judenchristen, sodass Judenchristen fortan mehr denn von dem Judentum ausgegrenzt wurden.
Nach 135 n. Chr. waren Judenchristen zahlenmäßig immer noch eine beachtliche Gruppe, allerdings wurden sie nun von den Juden vom Ansehen her sogar den Heiden und Nichtjuden untergestellt. Auf nichtjüdischer Seite fanden Judenchristen ebenso immer weniger Verständnis. Gekoppelt mit einer wachsenden feindseligen Haltung zwischen Juden und (Heiden-) Christen, hatten sie es immer schwerer, Anerkennung zu finden.
Theologiegeschichtlich wie historisch nahmen in den christlichen Gemeinden anti-jüdische Einflüsse zu, beispielsweise aufgrund des Vorwurfs, dass Juden Gottesmörder seien. Die Zerstörung des Tempels wurde dementsprechend als Gottes Zeichen der endgültigen Verwerfung des Volkes Israels angesehen und die sog. „Ersetzungs-“ oder „Substitutionstheologie“ fand ihren Anfang.
Während im 2. Jh. n.Chr. Justin der Märtyrer das Einhalten der jüdischen Gesetze noch wohlwollend akzeptieren konnte, solange sie nicht aufgezwungen werden, wurde von anderen die Meinung vertreten, dass dadurch der Zugang zum Heil verhindert würde.
Als „Meilenstein“ der Entfremdung zwischen den beiden Parteien in der Christenheit wird das Konzil von Cäsarea im Jahr 196 n.Chr. gesehen, an welchem der Ostertag vom jüdischen Passa auf den Sonntag nach dem ersten Vollmond nach Frühlingsanfang gelegt wurde. 341 n.Chr. kam es beim Konzil von Antiochien sogar so weit, dass diejenigen, die diesen festgelegten Termin nicht einhielten, exkommuniziert, also aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen wurden. Im vierten Jahrhundert verschwindet das Judenchristentum, weil schlicht und einfach kaum mehr Juden zum Glauben gefunden haben. Fortan mussten Juden, die zum Christentum konvertieren wollten, ihre jüdische Identität verfluchen und durften keinen Kontakt mehr mit anderen Juden haben. Spätestens das sechste Jahrhundert wird mit der arabisch-muslimischen Invasion das Ende des jüdisch-christlichen Lebens in Palästina mit sich gebracht haben.
Von den Judenchristen aus den ersten Jahrhunderten gibt es keine direkte Verbindung zu den heutigen Messianischen Juden. Modernes Messianisches Judentum, welches zwar ebenfalls jüdische Bräuche trotz des Glaubens an Jesus Christus weiterführt und damit seine jüdische Identität bis zu einem gewissen Grad bewahren möchte, hat religions-soziologisch geurteilt seine Ursprünge im 19. Jahrhundert.
Literatur:
[1] Fruchtenbaum, Dr. Arnold G., Hebrew Christianity: Its Theology, History & Philosophy
[2] Hornung, Andreas, Messianische Juden zwischen Kirche und Volk Israel
[3] Kjaer-Hansen, Kai, Messianische Juden – Judenchristen in Israel
[4] Schonfield, Hugh J., The history of Jewish Christianity
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