„Schalom Israel“ – Eindrücke und Erlebnisse während des 3. Israelkongresses auf dem Schönblick
Als Mitarbeiterin des Instituts für Israelogie bekam ich vor Kurzem die Möglichkeit, an einem ganz besonderen Event teilzunehmen: dem großen Israelkongress auf dem Anwesen des christlichen Zentrums Schönblick in Schwäbisch Gmünd, der vom 23.-26. September 2021 stattfand. Zuvor hatte ich noch nie eine Israel-Veranstaltung in Deutschland besucht. Das mag komisch klingen, wenn man vor vielen Jahren in Israel selbst zum Glauben gefunden hat, wenn man schon einige Male in dem jüdischen Staat war und seit Jahren für ein Israelinstitut arbeitet, doch aus verschiedenen Gründen war es einfach nie dazu gekommen. Als ich am Eröffnungstag des Kongresses das Gelände des Schönblicks betrat und ich sowohl das beeindruckende Anwesen des Zentrums sah als auch die Größe der Veranstaltung, kam mir jedoch unweigerlich die Frage in den Sinn, wie der Kongress, der schon zwei Mal vorher stattgefunden hatte, an mir vorbeigehen konnte.
Sehr dankbar hatte ich vor einigen Monaten das Angebot des Institutsleiters angenommen, als Mitarbeiterin am Kongress teilzunehmen. Wer freut sich in Zeiten des Homeoffice nicht, mal einen Tapetenwechsel zu haben? Hinzu kam natürlich noch das Thema: „Schalom Israel“. Durch meine Mitarbeit beim Institut beschäftige ich mich seit Jahren nicht nur mit dem Judentum, sondern auch immer wieder mit historischem, gesellschaftlichem und politischem Antisemitismus, Antijudaismus und Antizionismus in allen möglichen Gewändern. Die letzten Monate scheinen im Hinblick darauf einen unrühmlichen Rekord aufstellen zu wollen als diejenigen mit den meisten und herausragendsten Vorfälle in den letzten Jahren. So ist das Thema Schalom Israel oder „Friede für Israel“, wie es später auch von einem Moderator während des Kongresses frei übersetzt wird, natürlich ein höchst aktuelles und sehr bewegendes.
Als ich am Nachmittag des 23. September durch Tür des großen Forums, das zwischen dem wunderschönen Gästehaus und dem Seminaranbau liegt, trat, begrüßte mich ein freundlicher Mitarbeiter, der mich direkt mit meinem Namensschild und Infomaterial ausstattete. Wenige Minuten später betrat ich mit einem Kaffee in der Hand die Terrasse. Die Zeit bis zum Beginn der Begrüßungsveranstaltung nutzte ich, um einige Menschen kennen zu lernen. Ich führte die ersten von sehr zahlreichen spannenden Gesprächen und in den wenigen Pausen horchte ich auf die Stimmen der vielen anderen Teilnehmer um mich herum. Alle verband natürlich das Thema Israel und eine ganz eigene Beziehung zum jüdischen Volk. Viele kannten sich schon von anderen Veranstaltungen, aber einige waren auch das erste Mal auf diesem Kongress und so entstanden (ganz offensichtlich) lebendige Gespräche und Diskussionen, die sich alle um ein Thema drehten: das jüdische Volk und der Staat Israel.
Bald danach betrat ich mit den vielen anderen Teilnehmern den großen Veranstaltungssaal. Eine Band, die vorne auf der Bühne stand und uns durch die nächsten Tage begleiten sollte, eröffnete offiziell den Abend mit einem sehr passenden Lied: „Höre, Israel, der Herr ist Gott allein…“ Nachdem die Sängerin das jüdische Glaubensbekenntnis aus dem 5. Buch Mose (Dtn 6) paraphrasiert wiedergegeben hatte, begrüßten zwei Männer aus dem Leitungsteam des Kongresses die Menge: Daniel Funk, der Programmleiter im Zentrum Schönblick, und Martin Scheuermann, der Hausvater und Geschäftsführer der christlichen Einrichtung. Dieser Kongress, der bereits der dritte war, zu dem der Schönblick einlud, sei trotz der Pandemiesituation und den damit einhergehenden Einschränkungen der bisher am besten besuchte: Über 400 Teilnehmer hatten sich für die vier Veranstaltungstage angemeldet.
Ich ließ meinen Blick durch den Saal schweifen und sah die vielen, vielen Menschen, die hier zusammengekommen waren, um ihrer Solidarität zu Israel Ausdruck zu verleihen. In der Teilnehmerzahl ist ein besonderer und wichtiger Trend zu erkennen: Trotz allem wird Israel zu einem immer bedeutenderen Thema für Christen in Deutschland – trotz der aktuellen Pandemiesituation, die gesellschaftliches Leben in weiten Teilen für Monate lahmgelegt hat, trotz der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen, in denen steigender Antisemitismus um sich greift und sich in hässlichen Fratzen zeigt. Jeder Mensch, der mit mir im Saal saß, hat seine eigene Geschichte mit Gott und dem jüdischen Volk, und diese hat ihn an diesen Ort geführt. Der Gedanke berührte mich sehr angesichts meiner eigenen Geschichte, aber auch vor dem Hintergrund der Themen, mit denen ich mich durch meine Arbeit auseinandersetzen darf, sowie der außergewöhnlich heftigen antisemitischen Ausbrüche, die in der letzten Zeit durch entsprechende Schlagzeilen für Unruhe und Erschütterung sorgten.
Gerade erst am Vortag des Kongressbeginns hatte eine ganz gegensätzliche Veranstaltung stattgefunden: Trotz großem Protest war „Durban IV“ nicht abgesagt worden. Dabei hatte es sich um die Jubiläumsfeier des seit Kriegsende größten antisemitischen Ereignisses gehandelt, die im Rahmen der 76. UN-Generalversammlung mit der Unterzeichnung weiterer Abkommen begangen werden sollte. Im Vorhinein hatten viele Landesvertreter ihre Teilnahme an Durban IV abgesagt und am Tag des Kongressbeginns kursierten Bilder eines fast leeren UN-Versammlungsraum im Internet. Was für ein starkes Zeichen dagegen dieser volle Saal in Schwäbisch Gmünd mit 400 deutschen Israelfreunden war. Auf der Bühne stand ein riesiger beleuchteter Davidstern als Zeichen der Solidarität mit dem jüdischen Staat und seinen Menschen.
Nach einigen Stunden hatte ich bereits einige sehr gefragte Redner und renommierte Fachleute gesehen, die in den folgenden Tagen das Programm gestalten sollten: Jurek Schulz, der theologische Mitarbeiter der amzi, und Tobias Krämer von Christen an der Seite Israels (CSI), Guido Baltes, Dozent an verschiedenen Einrichtungen und gefragter Experte zu historischen Israelthemen, und Gottfried Bühler von der Internationalen Christlichen Botschaft in Jerusalem, waren nur die bekannteren Gesichter. Einige von ihnen erkannte ich nun im Publikum wieder, während Funk und Scheuermann uns zum Kongress begrüßten, der der erste Kongress im Schönblick seit dem zweiten Lockdown des vergangenen Novembers war. „Schalom Israel“ – der Titel des Kongresses war nicht einfach nur eine nette Floskel. Dabei gehe es um den Frieden, den nur der Gott Israels geben könne, und der, wie der jüdische Apostel Paulus vor langer Zeit schrieb, allen Verstand übersteigt (Phil 4,7). Da es um diesen Frieden für Israel ging, war es ein besonderes Highlight, dass Gäste aus Israel selbst dabei sein konnten. Bis kurz vor Beginn des Kongresses sei aufgrund der Pandemiesituation nicht hundertprozentig sicher gewesen, ob die israelischen Gäste einreisen könnten. Umso dankbarer schienen nun alle im Raum zu sein, dass die Einreise möglich war, sodass einige sehr bekannte jüdische und arabische Persönlichkeiten aus dem jüdischen Staat anreisen konnten: Darunter waren Dr. Erez Soref, Leiter von One for Israel und Präsident des dazugehörigen Israel Bible College, Mirjam Holmer als Journalistin aus Jerusalem, Mitarbeiter von Lifegate in Beit Jala sowie die Leiterin des Fellowship of Christian Students in Israel (FCSI) aus Nazareth.
Mit all dem begann dieser erste Abend des Kongresses sehr verheißungsvoll. „Schalom Israel“ umfasste vier Tage, gefüllt mit gutem und abwechslungsreichem Programm. Es gab Bibelarbeiten zum Thema Schalom und eine Podiumsdiskussion zur Frage „Alijah oder Diaspora?“, es wurden zahlreiche Seminare und Workshops angeboten, die von Fachleuten geleitet wurden, es gab ein Konzere und einen Kulturabend zum Jubiläum „1700 Jahre Judentum in Deutschland“, es wurden Projekte vorgestellt sowie Vorträge zu verschiedenen Themen rund um „Schalom Israel“ gehalten: von exegetischen Missverständnissen, die einen christlichen Antisemitismus befeuern können, über gesellschaftliche Entwicklungen und Judenverfolgung in Frankreich bis hin zur Situation der messianischen Gemeinde in Israel und die aktuelle politische Situation im Nahen Osten. In diesem bunten Programm war für jeden etwas dabei, egal ob schon langjähriger Israelfreund oder frisch Interessierter, jeder hat neue Bekanntschaften schließen und ermutigende, aufschlussreiche Erkenntnisse gewinnen können.
Abgeschlossen wurde „Schalom Israel“ am Sonntag mit einem bewegenden Gottesdienst: Dr. Erez Soref predigte über die aktuelle Erweckung in Israel. Dabei nahm er die Zuhörer mit hinein in die herausfordernde und überraschende Verheißung in Hes 37. Er erklärte die Prophetie in ihrem Kontext und gab einen Einblick, wie sie sich zu erfüllen begann. Mehrmals betonte er, dass wir zu einer „privilegierten Generation“ gehören würden, die Zeuge davon werden dürfe, wie Gott Seine Versprechen einlöse. Um das zu untermauern, zeigte er unter anderem ein Bild von Tel Aviv aus dem Jahr 1909, wo nur eine kleine Ansammlung von Bauten zu sehen war, und stellte dagegen ein aktuelles Bild von der Stadt, die nun zu einer modernen Metropole geworden ist. In der Geschichte gebe es nichts Vergleichbares, was der Entwicklung Israels allein in den letzten Jahrzehnten gleichkommen würde. Doch daneben stehe die geistliche Erneuerung: In den Medien würde davon nicht berichtet, aber immer mehr junge Israelis, arabisch und jüdisch, ließen sich taufen, weil sie Yeschua (Jesus) als Messias und Erlöser im Glauben angenommen haben. Während des ganzen Kongresses gab Soref immer wieder bewegende Beispiele aus seiner Arbeit bei One for Israel und aus der eigenen Familiengeschichte und gab so den deutschen Christen Zeugnis vom Wirken des Gottes Israels. Er entließ die Menge am Sonntag mit einem mahnenden Ausblick: Israel sei die Uhr Gottes für weltweite Ereignisse und man dürfe die Zeit nicht aus den Augen verlieren, sondern mit einer gewissen Dringlichkeit die Zeichen der Zeit erkennen.
Damit ging das reichhaltige Programm des Kongresses „Schalom Israel“ zu ende. Erfüllt, beflügelt und gleichzeitig mit einer gewissen Anspannung verließ ich die Halle und stieg in mein Auto, um in meinen Alltag zurückzukehren. In den Tagen auf dem Schönblick durfte ich viele besondere Menschen kennen lernen, zahlreiche spannende Gespräche führen, informativen Vorträgen und Diskussionen lauschen und vieles für mich persönlich und meine Arbeit mitnehmen. Aber sehr bald kam mit der dringliche Gedanke, dass es dabei nicht bleiben darf. Wenn man an die Offenbarung Gottes in der Bibel als dem Wort Gottes glaubt, dann weiß man, dass die Entwicklungen in und rund um Israel als Hinweise für unsere Zeit zu begreifen sind, wie uns Dr. Erez Soref am Ende mitgegeben hat. Ebenso ist es der massive Anstieg von antisemitischen Veranstaltungen, Meinungen und Straftaten, der uns wachrütteln sollte. Was also mache ich nun in meinem Alltag mit dem, was ich gehört, gesehen und erlebt habe? Es sollte nur beim Zuschauen und Zuhören stehen bleiben. Wie bei vielem, was den Glauben betrifft, sollten auch diese Impulse Früchte im Leben und Handeln nach sich ziehen. Vor dieser Herausforderung stehe ich nun mit den anderen 400 Teilnehmern und im Grunde mit jedem, der sich mit der Israelthematik auseinandersetzt.
Ein Seminar, das ich an einem Tag besuchen durfte, eröffnete der messianische Jude Jurek Schulz mit der Frage: Welche Rolle spielt Israel in Deiner Gemeinde? Schon das brachte mich ins Nachdenken, doch stellte er gleich eine ebenso dringliche Frage: Welche Rolle spielt Israel in Deiner politischen Gemeinde, in Deiner Stadt? Fragen, die angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und weltweit, angesichts der antisemitischen Tendenzen, angesichts gesellschaftlich anerkannter Phänomene wie Israelkritik und der an vielen Orten immer noch großen Distanz christlicher Gemeinden zu den jüdischen Wurzeln ihres Glaubens sowie einer erschreckend großen Gleichgültigkeit Israel gegenüber an Bedeutung gewinnen. Welche Bedeutung hat Israel für uns – und wie können wir uns für ein gesundes Verhältnis in unserem eigenen Leben, unserer Gemeinde, unserer Stadt und unserem Staat einsetzen? Schalom Israel – Friede für Israel. Wichtiger und aktueller könnte dieses Anliegen kaum sein.
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