Israels Zukunft – Wladimir Pikman
Israels Zukunft – Wladimir Pikman
Jüdisch-messianische Israelkonferenz Berlin
17. November 2012
Er ist sympathisch, dieser junge messianische Leiter, mit seiner Mischung aus ernsthafter Leidenschaft und spitzbübischem Humor. Wladimir Pikmans Vortrag über die Zukunft Israel wurde gespannt erwartet, schließlich ist es das, worum sich letztendlich alles dreht: Welche alttestamentlichen Verheißungen werden wann auf welche Weise erfüllt werden? Wie können wir die abendliche Tagesschau deuten? Dies sind wichtige Fragen und wir müssen vielleicht zugeben, dass ohne solch eschatologisch-mathematischen Spekulationen womöglich der ein oder andere israelfreundliche Christ – zumindest ein bisschen – seinen Spaß an der Sache verlieren würde.
Pikman geht auf solche Detailfragen nicht ein, aber enttäuscht sein Publikum dennoch nicht. Er beginnt provokativ, indem er zunächst – wie viele auf dieser Konferenz vor ihm – einige entscheidende die Landesverheißung betreffende Texte an die Wand projiziert:
Nun Pikmans Erläuterung: Die im ersten Text genannten Völker leben heute in Ägypten, Libanon, Syrien und großen Teilen der Türkei, des Irak und Saudi-Arabiens. Den im zweiten Text enthaltenen Hinweis auf das schwer zu lokalisierende Schilfmeer bezieht Pikman auf die arabische Halbinsel. Hier finden Sie die von Pikman in dem Zuge gezeigte Landkarte. Das Problem dieser Landesgrenzen: „Hier fehlt mir die Türkei – die mag ich auch“. Eine letzte Lösung kommt mit einer Karte der in Deuteronomium 11,24 beschriebenen Grenzen (Karte hier), welche Pikmans Interpretation zufolge die gesamte arabische Halbinsel einschließt, darunter Saudi-Arabien, Jemen und die Vereinige Arabische Emirate. Sein Kommentar: „Dort passen wir alle rein und so soll es auch sein!“ Das Publikum ist begeistert. Und wenn Gott die Grenzen so weit ausweitet, könne dies letztendlich vielleicht sogar Deutschland einschließen, mutmaßt Pikman gegen Ende seines Vortrages weiter, und schiebt angesichts des lachenden Publikums nach: „Ich finde das auch lustig und amüsant!“
Sofort greift der messianische Leiter den möglichen Einwand auf, die genannten Prophezeiungen hätten sich unter König Salomo bereits erfüllt. Nein, Israel habe noch nie über all diese Gebiete die Kontrolle gehabt. Ein Grund dafür sei der Ungehorsam des Volkes nach Deuteronomium 19,8-9. Deswegen finde man auch so unterschiedliche bzw. widersprüchliche Beschreibungen der Grenzen – es lohne sich nicht darüber zu streiten, weil sie flexibel und abhängig vom Verhalten der Juden seien. Dementsprechend schmal seien die Grenzen Israels heute. Sicher ist jedoch: „Das Land ist den Juden für immer und ewig versprochen, und denen, die von ihnen abstammen!“
Nach diesem ersten, sehr deutlichen Punkt, bringt der charismatische Redner einen zweiten, aber nicht minder überraschenden. Mit Hesekiel 47,21-23 verkündet er, dass auch die Araber das Recht hätten in Israel zu leben: „… so sollt ihr die Fremdlinge, die bei euch wohnen und Kinder unter euch zeugen, halten wie die Einheimischen unter den Israeliten; mit euch sollen sie ihren Erbbesitz erhalten unter den Stämmen Israels, und ihr sollt auch ihnen ihren Anteil am Lande geben, jedem bei dem Stamm, bei dem er wohnt“. Die Begeisterung des Publikums hält sich diesmal in Grenzen. Damit hatte keiner gerechnet. Doch Pikman führt fort: „Biblisch gesehen sollten wir uns eher bemühen, sie zu Gott zu führen, als sie aus dem Land zu vertreiben!“ Eine erfreuliche Aussage, die allerdings angesichts des christlichen Gebots der Nächstenliebe, der Rechte der Fremdlinge im AT u.a. selbstverständliche sein sollte. Alles andere – etwa die Forderung nach der Vertreibung der Palästinenser, die in christlich-zionistischen Kreisen ab und zu zu verlauten ist – wäre deplaziert gewesen.
Leider geht der gebürtige Ukrainer nicht näher auf die Bedingungen für dieses Zusammenleben ein, doch scheint für ihn relativ klar zu sein, dass der Glaube an den Gott Israels und die Anerkennung seines Messias die grundlegenden Voraussetzungen für diese Einladung sind. Denn es wird unseres Erachtens in der Thora zweierlei deutlich: Erstens, der Schutz des Fremden, der nicht unterdrückt, sondern geliebt werden soll – weil das Volk Israel selbst in der Fremde war (vgl. Exodus 22,20; 23,9; Deuteronomium 10,18-19 u.a.). Zweitens die Einschließung der Fremdlinge in einen Großteil der Gesetzesvorschriften (vgl. 12,19; 43ff.; Levitikus 17,10ff.; Numeri 15,26ff. uva.), was zwangsläufig Gehorsam gegenüber dem Gott Israels bedeutete. So wurde die Lästerung des Namens Jahwes mit dem Tod bestraft (Levitikus 24,16). Für Juden wie Araber gelten laut Pikman die gleichen Bedingungen. Und er betont deshalb: „Wir sollten nicht xenophobisch werden“, sondern „die Arme weit ausstrecken“. Das ist in der Tat eine Mahnung, die angesichts der manchmal zu polemischen Zwischenrufe seitens des Publikums fast notwendig erscheint.
Es folgt eine Aneinanderreihung von Bibelversen, mit denen der messianische Leiter möglicherweise doch ein wenig erläutern will, wie man sich die bevorstehende Endzeit vorzustellen hat, doch bleibt er bezüglich eines chronologischen Ablaufs vorsichtig – vielleicht ist dies gut so. Pikman hebt in jedem Fall hervor, dass in der Zeit, in der die Juden aus der Zerstreuung in Israel gesammelt sind und der Messias von dort aus regieren wird (Jeremia 30,10), dieser das Land und seine Bewohner inmitten von Kriegen und Katastrophen beschützen werde (Hesekiel 20,41f.; 39,28; Joel 3,16f.; Sacharja 12,8; Matthäus 24 – wobei hier der Bezug unklar bleibt). Aber hier kommt es wieder: „Diese Zukunft gehört nicht nur den Juden allein!“ Hoffentlich hatte nie jemand im Saal etwas anderes erwartet.
Pikman schließt: „Zurück in die Zukunft“, so sollte unser Motto lauten. „Wenn wir“ – damit meint er die Juden – „zurück zu ihm kommen, blicken wir in die Zukunft. Die Zukunft gehört uns. In Jeschua Hamaschiach, in Jesus Christus.“ Er erläutert bedauerlicherweise nicht, inwiefern die Zukunft den Juden gehört. Schade auch, dass eine der herausforderndsten und umstrittensten Fragen, die der Deutung von Römer 11,26 („dann wird ganz Israel gerettet werden“), in Pikmans Vortrag nicht behandelt wird. Auch bei ihm lag der Schwerpunkt auf den materiell greifbaren – und vielleicht deshalb so verführerischen und interessanteren? – Verheißungen Gottes.
(jp)
Interview mit Wladimir Pikman
Wie empfandest du die Konferenz bis jetzt?
„Sehr gut. Mit Gottes Gnade erreichen wir unser Ziel.“
Was ist denn das Ziel der Konferenz?
„Erstens, dass die Konferenz nicht nur für uns allein ist, sondern auch für andere. Zweitens wollten wir unsere Position Israel gegenüber zeigen. Drittens wollten wir in unserer Einheit auch ein Beispiel sein, das bei der Welt ein Zeugnis bewirkt.
Also wurden diese Ziele deiner Meinung nach erreicht?
Ja, es ist uns gelungen, das alles in harmonischer Einheit zu machen als messianische Leiter, ohne Konflikte, mit Liebe und Respekt zueinander: Unsere Botschaft, unsere Vorträge, unsere Workshops, unser Lobpreis haben Resonanz in den Herzen der Menschen gefunden. Und die Heidenchristen fühlen sich hier bei dieser Konferenz zuhause. Und das, obwohl es eine jüdisch-messianische Konferenz ist. Unser Ziel war nicht, es Menschen hier gemütlich zu machen, aber es geschieht einfach.
Wurden die Gemeinden aus dem Berliner Umkreis auch eingeladen?
Ja, wir haben nicht alle, aber viele Berliner Gemeinden und Werke aus ganz Deutschland eingeladen. Ich habe hunderte von Briefen von Hand unterschrieben. Einige haben zurückgeschrieben und sich entschuldigt, dass sie nicht kommen. Aber ich bin natürlich traurig, dass nur ein paar aus dieser Gemeinde hier gekommen sind. Wir haben sogar eine persönliche Einladung an die meisten Rabbiner geschickt. Es ist keiner gekommen, aber gleichzeitig kamen auch keine negative Reaktionen.
Denkst du, auch wenn man die Teilnehmer dieser Konferenz betrachtet, dass Pfingst- oder charismatische Gemeinden offener für messianische Juden sind?
Ja, aber nicht nur charismatische und Pfingstgemeinden, sondern auch charismatische Erneuerungen in der evangelischen oder in der katholischen Kirche. Egal welche Kirche, charismatische Erneuerungen sind offener. Und dabei sehe ich auch einen geistlichen Hintergrund. Wenn Menschen erneuert sind, wenn man Gott tatsächlich neu erlebt hat, wird man offen dafür.
Auf der Konferenz war viel von der Ersatztheologie die Rede. Kennst du und wenn ja, was hältst du von moderaten Vertretern, die beispielsweise Israel nach wie vor eine Rolle in Gottes Heilsplan einordnen, aber auch die Kirche als neues Gottesvolk sehen?
Meine Position ist: Die Kirche oder Gemeinde besteht aus Juden, die an Jesus glauben, und allen anderen, die sich ihnen angeschlossen haben. Aber die Kirche ist nicht das neue Israel. Die Juden kommen in der Endzeit einfach zum Messias, und fangen an ihn anzubeten, und ihnen schließen sich alle anderen Völker an.
Du meinst, dass nach Epheser 2,14 der Zaun zwischen Juden und Heiden gebrochen ist?
Ja, wobei sich die Christen diesen Zaun oder diese Mauer so denken: Die Juden waren auf der einen und die Völker auf der anderen Seite. Dann ist die Mauer gefallen und die Juden kamen raus und bildeten mit den anderen Völkern einen neuen Menschen. Das ist aber nicht das, was in Epheser geschrieben steht. Die Mauer ist gefallen, damit andere Völker reinkommen können. Wir treffen uns im neuen Jerusalem, und dabei unterstreiche ich „Jerusalem“. Es ist wie in dem Gleichnis vom Ölbaum: Es ist kein neuer Baum, es ist ein uralter Baum. Und deswegen ist kein Ersatz möglich.
Was denkst du also, muss angesichts der letzten 2000 Jahre an Versöhnung zwischen Juden und Christen noch geschehen?
Es ist nichts Menschliches. Niemand kommt durch pure Logik zum Glauben, es ist immer ein Aha-Moment, jeder muss das erleben. Wenn man das nicht erlebt, ist es viel schwieriger. Aber es ist ein Werk Gottes. Und so geschieht es: Historisch gesehen ist das Problem, dass die Christen ihre Wurzeln verlassen und die Juden ihren Messias losgelassen haben. Die Christen müssen also zurück zu den Wurzeln des Baumes gehen und die Juden müssen wieder Anspruch auf ihren Messias erheben.
Ist deiner Meinung nach ein notwendiger Schritt für die Kirche, von dem „griechischen Denken“ Abstand zu nehmen und sich neu auf das „jüdische Denken“ zu besinnen?
Ja, dieses griechische Denken… Ich habe so viele charismatische Vorträge darüber gehört. Es ist zu spekulativ. Was versteht man unter „griechischem Denken“ und „jüdischem Denken“? Viele Juden damals waren ziemlich griechisch in ihren Gedanken, haben zum Beispiel Philo gelesen. Nein, man muss sich nicht in erster Linie vom griechischen Denken verabschieden. Man muss zurück zu den Wurzeln finden. Und da geht es nicht um das Denken in erster Linie, es geht um unsere Einstellung. In der westlichen Welt denkt man, dass alles im Denken ist – das ist falsch. Zuerst muss man sagen: „Wir gehören zu den jüdischen Wurzeln.“ Und dann: „Was heißt das eigentlich? Was sollen wir für uns entdecken? Juden sind in gewisser Weise auch unser Volk. Wir tragen eine gewisse Verantwortung dafür.“ Es ist nicht unbedingt geboten, jüdische Feste zu feiern, aber zumindest Bescheid darüber zu wissen – in Vorbereitung für das, was dann kommt.
Würdest du sagen, dass das messianische Judentum versucht, sich auf das Urchristentum zurückzubesinnen?
Nicht in jeder Hinsicht. Wir wissen nicht genau, wie man damals lebte, wir können nicht so leben wie damals und wir wollen nicht so leben wie damals. Ich genieße die Medizin von heute, das Licht von heute, die Kultur von heute in vielerlei Hinsicht, wo es nicht der Bibel widerspricht. Wir können es nicht, wir wollen es nicht, aber wo wir zum Urchristentum zurückkehren wollen, ist, dass wir als Juden Jesus in den Mittelpunkt stellen. Für die Kirche von damals war Jesus im Mittelpunkt. Und heute, wenn man die Kirche in Deutschland nimmt – lieber Gott! Man hört „Jesus“ nicht so oft.
Kritiker sagen, dass das messianische Judentum im Grunde orthodoxes Judentum mit Bezug auf Jeschua ist. Stimmt das oder versucht ihr, eure eigenen Traditionen zu finden?
Na ja, wir haben versucht, unsere eigenen Traditionen zu finden, aber es ist uns nicht gut gelungen. Auf der anderen Seite können wir auch nicht alle orthodoxen Traditionen übernehmen, auch deswegen, weil nicht viele von uns glauben, dass wir es machen müssen. Wir sind auf der Suche. Aber natürlich gab es Zeiten, in denen Judenchristen oder messianischen Juden sich vom rabbinischen Judentum abgrenzen und Zeiten, in denen sie sich ihm annähern wollten. Deswegen finde ich folgende Definition für uns angemessen: Ein messianischer Jude ist ein Jude, der an Jesus, d. h. den Messias Israels glaubt, und sich dabei als Teil des jüdischen Volkes und seiner Traditionen versteht. Ich kann deshalb nicht sagen, dass das rabbinische Judentum Blödsinn ist – es ist Teil meines Erbes, es ist auch Teil meiner Traditionen. Aber ich habe auch nicht genug Beziehung zu ihm, um es voll zu übernehmen.
So wird zum Teil kritisiert, dass manche jüdischen Traditionen anti-messianisch sind, wie zum Beispiel einige Gebete.
Ja, es gibt Gebete, die ich nicht mit gutem Gewissen beten kann – dann bete ich sie nicht. Unser Volk hat viel Gutes aufgebaut – traditionell, rabbinisch oder geistlich. Aber wir haben auch viele Schwachpunkte dabei. Und das ist menschlich.
Die messianische Bewegung in Deutschland ist etwas Besonderes. Könntest du kurz ihre Geschichte skizzieren?
Es kamen hunderttausende Juden nach Deutschland, hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion, weil Deutschland sie eingeladen hat. Es kamen auch viele Israelis nach Deutschland, mehr und mehr. So besteht die jüdische Bevölkerung in Deutschland zu mehr als 80% aus Migranten. Und das hat die messianische Bewegung hier in Deutschland beeinflusst und gewaltig verändert. Und dann kam es zu einer Erweckung…
Woher kam diese deiner Meinung nach? Von der geistlichen Leere, die der Kommunismus hinterlassen hatte?
Was hat man in Ostdeutschland damals unterrichtet? Atheismus pur. Und dann kam die Wende. Und jetzt sagt man immer noch, dass Ostdeutschland das atheistischste Land der Welt ist. Mit der Leere der Vergangenheit hat das also überhaupt nichts zu tun. 8 von 100 Ostdeutschen glauben an einen persönlichen Gott – und die Wende hat daran nichts geändert. Die Erweckung hat also nichts mit der Wende zu tun. Es ist eine Offenbarung Gottes. Man kann es nicht systematisieren, man kann es nicht logisch erklären. Damals kamen Menschen in Strömen zu uns, weil sie sich bekehren wollten. Wir fragten uns wie damals bei Petrus: „Was sollen wir tun?“
Ist die Tendenz immer noch steigend?
Nein, seit zehn Jahren nicht mehr. Die Erweckung unter russischsprachigen Juden ist jetzt vorbei, jetzt ist harte evangelistische Arbeit an der Reihe. Es kommen Leute zum Glauben, aber nicht in so gewaltigen Mengen. Das heißt nicht, dass wir unseren Dienst aufhören sollen – es ist wie beim Surfen oder Skilaufen. Man fährt runter – und dann muss man wieder hoch. Jetzt spricht man allerdings von einer Erweckung unter Israelis in Israel. Von dort könnte es wieder nach Deutschland kommen. Ich kann mir vorstellen, dass bald mehrere messianische Gemeinden statt Russisch Hebräisch sprechen.
Wie viele messianische Juden gibt es denn heute in Deutschland?
Man spricht von bis zu 1000 Juden, die zu messianischen Gemeinden gehören. Aber es gibt viele an Jesus glaubende Juden, die sich weiterhin als Juden identifizieren und die in verschiedenen Kirchen und Freikirchen zuhause sind.
Und wie viele Juden gibt es ungefähr in Deutschland?
Das kann ich nicht genau sagen. Es kamen 300.000 oder mehr aus der ehemaligen Sowjetunion, dazu gibt es zehntausende Israelis, Juden, die schon vorher hier in Deutschland waren und welche, die aus Amerika oder anderen Ländern stammen. Dazu kommt die Frage, wie man einen Juden definiert. Über die jüdische Mutter allein? Wenn auch der jüdische Vater zählt, vergrößert sich die Zahl. Wenn jeder, der von einer jüdischen Mutter oder von einem jüdischen Vater stammt, Jude ist, dann kommen wir leicht auf 300.000 Juden in Deutschland. Und es gibt Gentests, die besagen, dass jeder zehnte Deutsche jüdisches Blut hat. Man kann nachlesen, dass sich allein in Berlin in 200 Jahren (von ca. 1650 bis 1830) mehr als 1 Million Juden taufen ließen (aus dem Buch: How Jews became Germans). Ich kenne viele Deutsche, die vor einiger Zeit erst erfahren haben, dass sie jüdisches Blut haben, weil die Großeltern nie darüber sprechen wollten. Deswegen gibt es viele Faktoren.
Was können messianische Juden und nichtjüdische Christen voneinander lernen?
Christen können von messianischen Juden lernen, Jesus als König der Juden in den Mittelpunkt zu stellen, in Vorbereitung des Reiches; auch viel über ihre jüdische Wurzeln, um die Bibel zu verstehen. Es erfrischt das geistliche Leben, wenn man das entdeckt.
Was wir als messianische Juden von Christen lernen können, ist Hingabe. Wenn man hier auf der Konferenz das Gebet für Israel betrachtet, gibt es kaum messianische Juden, sondern fast nur Christen. Diese Geistlichkeit, die altchristliche Hingabe im Gebet, müssen wir noch von euch lernen bzw. hier ergänzen wir uns. Wir sind jung, wir sind schwach, wir sind immer noch im Wandel, was unsere Identität betrifft, wir haben Probleme mit Minderwertigkeitskomplexen, und damit, dass wir von allen Seiten abgelehnt werden. Christen scheinen normalerweise stabiler, und diese Stabilität hält uns und da können wir von Christen lernen. Aber natürlich von Christen, die sich hingeben.
Und was denkst du, wie wird die Beziehung zwischen Juden und Christen aussehen, wenn Jesus wiederkommt? Werden die Differenzen komplett aufgehoben werden? Hast du eine Idee?
Nein, keine Idee, für die ich meine Hand ins Feuer legen würde. Aber wir werden zusammen herrschen und es gibt Bibelstellen, die darauf hinweisen, dass es sogar möglich ist, dass Menschen aus anderen Völkern zu Leviten und Priestern werden. Aber lassen wir uns überraschen. Doch natürlich wird es keine Menschen zweiter Klasse geben. Wir werden alle gleich sein. Dennoch wird es sicher verschiedene Sprachen, Kulturen und ethnische Gruppen geben. Die Völker verschwinden nicht alle in einem Topf. Das Reich Gottes wird bunt, nicht eine Farbe. Ich glaube, dass es nicht nur eine Sprache, das Hebräische, geben wird, sondern verschiedene Zungen und Sprachen, die ihn bekennen. Ich sehe unsere Einheit in der Vielfalt von unseren Gaben und Berufungen.
Und was sind, wenn wir über die Zukunft Israels sprechen, deine konkreten eschatologischen Vorstellungen in Bezug auf die Offenbarung?
Ich habe am Dallas Theological Seminary studiert, aber natürlich muss ich nicht alle ihre Ansichten teilen. Ich würde automatisch immer noch sagen, es gibt ein tausendjähriges Reich und dann geht es weiter. Aber grundsätzlich weiß ich es nicht mehr so genau. Wir lesen von einem neuen Himmel und einer neuen Erde in der Offenbarung. Wir lesen auch von der Grenze zwischen den 1000 Jahren und was danach kommt. Es kann sein, dass die 1000 Jahre schon die Ewigkeit bedeuten. Ich bin mir überhaupt nicht sicher, aber ich werde auf keinen Fall enttäuscht werden. In meinem Leben ändert das nicht viel. Ich meine, ob es ein 1000-jähriges Reich gibt, und es dann weitergeht, oder ob es kein 1000-jähriges Reich gibt und es gleich weitergeht, das ändert an meinem Leben heutzutage nichts! Am besten ist es, wenn wir Theologie mit praktischen Auswirkungen betreiben. Auch was die Entrückung der Gemeinde betrifft, gibt es verschiedene Ansichten – das könnte vielleicht schon praktischer werden.
Glaubst du, dass messianische Juden in der Gefahr stehen, die Bibel zu sehr auf politische Ereignisse, z. B. in Israel, zu beziehen, statt auf ihr persönliches geistliches Leben?
Das ist unterschiedlich. Es gibt natürlich viele, die so sind. Aber Juden sind, auch was Israel betrifft, viel weniger politisiert, als viele Christen. Christen haben eher politische Meinungen dazu, sie sind entweder pro oder contra. Messianische Juden in Deutschland sind nicht so stark politisiert. Wir sind zionistisch, aber nicht politisch zionistisch. Wir unterstützen Israel, wir sind biblisch fundiert, aber nicht politisiert. Wenn wir für Frieden in Israel beten, dann schließen wir selbstverständlich auch die Araber mit ein. Das versteht man in christlich-zionistisch Kreisen nicht so deutlich. Aber wir sind politisch gesehen viel offener als Christen.
Hast du Kontakte zu Arabern oder Moslems?
Christliche Araber, klar.
Wie ist deren Beziehung zu messianischen Juden?
Es gibt nur wenige, die nicht anti-israelisch sind. Meistens sind sie sehr indoktriniert. Die messianischen Juden sind oft viel toleranter und offener als arabische Christen.
Dein Statement war klar: Auch die Araber bzw. wer auch immer in dem Land lebt, gehört dazu. Ist die Voraussetzung dafür die Versöhnung?
Die Voraussetzung ist nicht die Versöhnung, die Voraussetzung ist Jesus, und Hingabe, Glauben an ihn, Leben mit ihm. Versöhnung ist die Konsequenz, eine Wirkung davon, aber sie ist nicht das Ziel.
Wenn du sagst, dass die Grenzen und der Gehorsam zusammenhängen, wie ist das mit der Gnadenlehre in Einklang zu bringen, nach der uns Gottes Gnade vom Gesetz befreit hat?
Die Gnade Gottes hat uns nicht vom Gesetz befreit, sondern vom Fluch der Sünde. Was heißt das denn, dass wir frei vom Gesetz sind? Das ist irgendwie verwirrend. Sagen wir: „Danke, Herr, du hast mich endlich freigemacht, Schweinefleisch zu essen?“ Jesus ist nicht gestorben, damit ich Schweinefleisch essen kann oder damit ich nicht mehr als Jude lebe. „Was für eine Freiheit! Ich habe mein ganzes Leben lang davon geträumt, Schweinefleisch zu essen!“ Ich habe 27 Jahre meines Lebens alles gegessen, und dann als messianischer Jude aufgehört, alles zu essen – und habe damit erst meine Freiheit gefunden. Vorher war ich ein Sklave davon.
Würdest du also sagen, dass Israel zum Glauben an Jesus kommt und dann dadurch die verheißenen Landesgrenzen erhält, weil es gehorsam ist?
Ja. Das Land gehört Israel. Aber die Grenze ist damit verbunden, wie Israel lebt, wie die Juden leben, von unserem Gehorsam – nicht von Gottes Gnade. Auch Fremdlinge dürfen im Land leben, aber die Bedingungen gelten für Araber wie auch für Juden. Die Juden haben heute noch Anspruch darauf, in Israel zu leben. Es gibt Christen, die zum Beispiel bei der „Christ at the Checkpoint“-Konferenz involviert sind, die sagen: „Ja, es war versprochen, aber Israel ist sündig und die Juden haben nur das Recht dort zu leben, wenn sie gerecht und ohne Sünde sind.“ Nein, Juden haben auch heute das Recht, dort zu leben, aber über zwei Sachen dürfen sie nicht klagen: Erstens, dass die Grenzen zu schmal sind und zweitens, dass es keinen Frieden gibt. Die beiden Sachen werden bleiben, bis die Juden zurück zu Gott kommen.
Würdest du sagen, dass der politische und soziale Unfrieden eine Konsequenz aus ihrem Handeln ist, und dass Gott sie bestraft, um sie zu ihm zurückzuführen?
Sagen wir so: Es ist eine Strafe Gottes. Ich weiß nicht, ob um sie zu ihm zurückzuführen, um Gnade zu zeigen oder was auch immer. Wie heute während des Gottesdienstes gesagt: Daniel hat begriffen, was in der Thora beschrieben wurde. Es ist eine Strafe – leider. Auch der Holocaust ist eine Strafe. Es ist dramatisch, es ist traurig, es tut weh. Aber mit Gott macht man keine Witze.
Und was bedeutet dann „ganz Israel“ (Römer 11,26) für dich? Wer genau wird gerettet werden?
Es geht um Israel. Paulus zitiert Jesaja, es geht in Römer 9-11 um die Juden nach dem Fleisch. Wenn Jeschua zurückkommt, gießt Gott seinen Geist auf die Juden und sie werden gläubig. Aber „ganz Israel“ schließt nicht alle Juden aller Zeiten ein, sondern nur die Juden, die in der Zeit leben werden.
Du hast in deinem Vortrag viele alttestamentliche Stellen zitiert. Wieso spricht deiner Meinung nach Jesus weniger von materiellen Verheißungen? Was meint er mit „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johahnnes 18,36)?
Ich trenne nicht zwischen Materiellem und Spirituellem. Es vermischt sich, wie bei unserem Geist und Körper: Wenn wir krank sind und Fieber haben, ist auch unser Geist betroffen. Wenn unser Geist bedrückt ist, erhöht sich die Chance, dass auch unser Körper krank wird. Ich finde das nicht biblisch, eigentlich eher griechisch, das Geistliche vom Irdischen oder Physischen zu trennen. Ich trenne das nicht. Wir müssen unseren Geist, aber auch unseren Körper pflegen. Wir müssen geistig die Erde verändern, aber auch physisch die Erde verbessern.
Vielen Dank für das Interview!
(bs/jp)
Fotos: © privat
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