Israels biblische Grundlagen – Anatoli Uschomirski
Israels biblische Grundlagen – Anatoli Uschomirski
Jüdisch-messianische Israelkonferenz Berlin
16. November 2012
Anatoli Uschomirski strahlt Weisheit aus, als er lächelnd das Rednerpult betritt. Sein Vortrag ist einer der wichtigsten dieser Konferenz, weil grundlegend für die gesamte messianische Theologie. Er beginnt, wie man das so macht, mit zwei provokativen Zitaten der Gegenseite, die bei der vom Bethlehem Bible College veranstalteten „Christ at the Checkpoint“-Konferenz im März 2012 fielen. Diese scheint er aus Videoaufnahmen herausgefiltert, übersetzt und gekürzt zu haben.
„Der Begriff ,Ersatztheologie‘ ist korrekt, wenn wir darunter verstehen, dass Jesus, der Messias, den Alten Bund mit dem Königreich Israel durch den Neuen Bund mit dem Reich Gottes oder Himmelreich ersetzt hat. Ein noch besserer Begriff als ,Ersatztheologie‘ wäre ,Erfüllungstheorie‘.“
(Manfred Kohl)
„Vielleicht sollten wir ,genug jetzt‘ zu Evangelikalen sagen, die die Bibel benutzen, um politische Punkte zu erreichen, statt einen Gott verherrlichenden Frieden. Mit einem Wort, christliches Denken hebt alle klassischen Identitätskategorien auf. Gemäß der Schrift schließt Abrahams Familie all diejenigen ein, die seinen Glauben teilen, die an Christus glauben, und dies beinhaltet auch die palästinensische Kirche hier in Israel, Palästina. Kurz gesagt, Christen sind Kinder Abrahams.
Ich glaube, ich bin hochgradig müde, zutiefst müde, christliche Geschwister aus meiner evangelikalen Familie zu treffen (…), die alle ihren Lieblingsvers aus Genesis 12 oder Römer 11 benutzen wollen, um ihre Interesse voranzubringen. Sie sagen: „Wegen dem, was ich bin oder dem, was sie [die Juden] sind, fordere ich, dass sie in diesem Land Privilegien bekommen.“ Ich hungere nach den tieferen Tugenden des christlichen Glaubens. Ich hungere danach, Evangelikale zu treffen, die in dieses Land kommen und Barmherzigkeit üben. Und Großzügigkeit. Und Vergebung. Und Demut.
In dieser ganzen Debatte über religiöse Volkszugehörigkeit und Privilegien, die im Nahen Osten wohlbekannt ist, ziehe ich es vor, Jesu Richtlinien zu folgen: ,Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden die Erde besitzen‘ (Mt 5,5).“
(Dr. Gary Burge, Wheaton College)
Während Uschomirski die Zitate vorliest, sind lautstarke Aufschreie des Entsetzens und des Unverständnisses aus dem Publikum zu hören. Vielleicht auch deshalb, weil die verkürzte Wiedergabe des Burge-Zitats es polemischer klingen ließ als es im Wortlaut erscheint. Es wurde wie folgt verlesen: „Es reicht allmählich mit diesen Evangelikalen, die die Bibel benutzen, um politische Punkte zu sammeln (mit Israel). Ich bin es leid, Christen zu treffen, die diesen oder jenen Vers benutzen, um für ihre Agenda zu weben und die behaupten, dass die Juden aufgrund dessen, wer sie sind, auf irgendetwas in diesem Land Anspruch hätten.“
Übersetzung hin oder her, dem Inhalt tut dies in der Tat keinen Abbruch. So war die Kernaussage von Dr. Burges Vortrag, wie der Videoaufnahme zu entnehmen ist, dass alle Gläubigen Kinder Abrahams sind und somit Erben der Verheißung, die Welt zu besitzen – und damit die Verheißung an die Juden, nur ein Land zu besitzen, nichtig geworden sei. Er bezieht sich auf Röm 4,13: „Denn die Verheißung, dass er der Erbe der Welt sein solle, ist Abraham oder seinen Nachkommen nicht zuteil geworden durchs Gesetz, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens.“
Es ist in jedem Fall empfehlenswert, sich die – mal mehr, mal weniger bedenklichen – Vorträge der viel kritisierten „Christ at the Checkpoint“-Konferenz einmal zu Gemüte zu führen, um sich ein Urteil zu bilden. (Hier sind die Beträge von Kohl und Burge in ihrer Gesamtlänge zu sehen. Aufschlussreich sind auch die Schlüsselzitate der Tagung.)
Mit diesem Start macht Anatoli Uschomirski das Ziel seines Vortrages deutlich: Eine solche Ersatztheologie will er widerlegen und zeigen, dass Israel bis heute biblische Grundlagen hat. Diese seien nicht „mystischer oder emotionaler Natur, sondern haben prophetisch-juristischen Charakter“. Und wenn er „Israel“ sagt, meint der messianische Jude stets Volk und Land, die für ihn untrennbar zusammenhängen. Er beginnt direkt nach der Lesung der Zitate mit dem für viele der hiesigen Redner aussagekräftigsten Argument: „Die Juden wurden Gottes Volk und werden es immer sein – weil es Gott gesagt hat.“ Applaus. Weil die Erwählung Israels Gottes freie Entscheidung war und Gott seine Entscheidungen nicht gereuen, müsse dies bis heute so sein.
Diese göttlichen Entscheidungen finden sich nun in der Heiligen Schrift. Deshalb gleicht die Berufung auf eben diese für die meisten Konferenzredner teilweise einem Totschlagargument. Doch weil sich auch ihre Gegener auf die Bibel beziehen und mitunter ein- und diesselbe Bibelstelle sehr unterschiedlich ausgelegt wird, ist es schade, dass niemand die den Thesen zugrunde liegenden hermeneutischen Prämissen erläutert. Stattdessen wird immer wieder betont, dass man dann bibeltreu sei, wenn man die Schlüsselstellen möglichst wörtlich nehme. So beruhigt Uschomirski sein Publikum: „Alle diese Aussagen [von Kohl, Burge u.ä.] sind bedeutungslos im Licht der folgenden Aussagen der allmächtigen Schrift“, und zählt dann Levitikus 25,23, Jesaja 14,25, Jeremia 2,7 und Hesekiel 38,16 auf, wo Gott Israel „mein Land“ nennt. Den göttlichen Anspruch auf das Land würden aber – im Gegensatz zum jüdischen – hoffentlich nur wenige Christen bezweifeln.
Es folgt eine ausführliche Darlegung der alttestamentlichen Bundesschlüsse, die für Uschomirski bis heute gelten. Zunächst der Abrahambund, dessen Grundlage in der Berufung Abrahams und der an ihn gerichteten Verheißung aus Gen 12,1-3 liegt. Ein Schlüsselvers ist für den messianischen Leiter Vers 7: „Deinen Nachkommen will ich dies Land geben.“ „Wenn das keine biblische Grundlage für Israel ist, was soll diese Aussage noch bedeuten?“ Nach der Lektüre von Genesis 17,2-8 formuliert Uschomirski ähnlich: „Eigentlich braucht man nichts mehr, es ist so klar und einfach. Wenn Gott es einmal gesagt hat, welche anderen Grundlagen braucht man noch?“
Was man brauchen könnte, wäre eine Erklärung, die auch das Neue Testament mit einbezieht. Doch leider geht der Redner zu kurz auf die Frage ein, inwiefern die oben genannten Verheißungen im Neuen Bund geistlich zu deuten sind. Sein Argument: Dualismus sei nicht biblisch, man könne das Geistliche nicht vom Materiellen trennen – im Gegenteil finde jede geistliche Handlung ihren Ausdruck im materiellen Bereich, so die Beschneidung und auch das Gelobte Land. Leider erläutert Uschomirski diese These nicht näher. Christen seien mit einem Dualismus aufgewachsen, der dem jüdischen Denken nicht entspreche. Allerdings findet sich das, was der messianische Jude „Dualismus“ nennt, nämlich die Betonung der geistlichen Dimension, des Öfteren im Neuen Testament, welches interessanterweise aus jüdischer Feder stammt.
Anatoli Uschomirski zitiert weiter. Anhand von Deuteronomium 6,17-19 macht er deutlich, dass das Land eine der ersten Prioritäten jedes Christen sein sollte und fragt seine Zuhörer: „Könnt ihr dazu ,Amen‘ sagen?“ Darum muss er nicht lange bitten. Doch gerade hier wäre es interessant gewesen zu hören, wie er und seine Kollegen gegenüber Ersatztheologen argumentieren würden, für die die Landesverheißung im Neuen Bund keine materielle Gültigkeit mehr hat. Es bleibt nur bei der bereits genannten Begründung: Es handele sich um einen ewigen Bund (Psalm 105,7-11), der durch Israels Ungehorsam niemals aufgehoben werden könne. Immer wieder formuliert Uschomirski Fragen wie „Würden sie so einem gott, mit kleinem Buchstaben geschrieben, glauben, der von heute auf morgen seine Meinung geändert hat?“
Für den messianischen Juden ist Ersatztheologie die Überzeugung, dass Gott sein Volk wegen dessen Untreue verworfen hat, was für ihn „eine reine Lüge“ ist – für das emotional involvierte Publikum ebenso. Was der Fairness halber an dieser Stelle hätte erwähnt werden können, ist die Position moderaterer Ersatztheologen, die nicht postulieren, dass Gott seine Verheißungen wegen Israels Schuld aufgehoben hat und von denen einige mit Stellen wie Römer 11,28-29 Israel immerhin noch einen reellen Platz in der Heilsgeschichte einräumen. Auch wird nie ganz klar gesagt, was man denn nun jemandem erwidern soll, der betont, dass Gott die Verheißungen des Alten Bundes – wie schon immer geplant – durch seinen Messias erfüllt hat und noch erfüllen wird. Wie würde ein messianischer Jude wie Uschomirski beispielsweise auf die folgende Gegenüberstellung von Manfred Kohl (aus dessen oben genanntem Vortrag, er zitiert Alex Awad) reagieren und wie würde er seinerseits die Errungenschaften des Neuen Bundes deuten?
„Im Alten Bund hatten wir Israel, das im Neuen Bund zu allen Gläubigen wird. Im Alten Bund hatten wir das verheißene Land, das im Neuen Bund das Reich Gottes ist. Im Alten Bund hatten wir die Stadt Jerusalem, im Neuen Bund das himmlische Jerusalem. Im Alten Bund hatten wir den Tempelberg, im Neuen Bund die Herzen der Gläubigen. Im Alten Bund hatten wir die aaronitische Priesterschaft und die Leviten, im Neuen Bund haben wir Christus und die Gläubigen. Im Alten Bund hatten wir Tieropfer, im Neuen Bund haben wir Jesus am Kreuz.“
Zum Neuen Testament und der wichtigen Frage, warum Jesus selbst so wenig über die materielle Wiederherstellung Israels spricht, zitiert der messianische Jude Matthäus 5,17: „Denkt nicht, dass ich gekommen bin, um das Gesetz abzuschaffen“, und postuliert: „Jeschua betrachtet die Wiederherstellung des Reiches nicht als überholt oder erledigt.“ Im Gegenteil, er erwähne „die Rückführung und Wiederherstellung des Reiches explizit.“ Als Beleg nennt er Apostelgeschichte 1,6-7, wo Jesus auf die Frage, wann diese geschehe, erwidert: „Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen“ und dann auf den Empfang des Heiligen Geistes hinweist. Sehr aussagekräftig ist gerade dieser Vers leider nicht.
Positiv hervorzuheben ist bei Uschomirski die Betonung, dass das Land Israel dem Volk nicht zum Selbstzweck gegeben wurde: „Gott hat nichts für Israel getan, was nicht die Errettung aller Menschen zum Ziel hatte.“
Es folgt nun eine kurze Darstellung des Sinaibundes: Dieser sei im Gegensatz zum abrahamitischen Bund zweiseitig und an Bedingungen geknüpft, die Israel bejahen musste. Es geht um Segen und Fluch, die vom Thoragehorsam abhängig sind (vgl. Deuteronomium 11,26-28 sowie Kapitel 28 und 30). In diesem Bund ist dem messianischen Leiter zufolge schon angekündigt, was in Römer 11,26-27 wiederholt wird, nämlich die geistliche Wiederherstellung Israels nach deren Rückführung in das Land (Deuteronomium 30,1-8). Andere beziehen diese alttestamentlichen Prophezeiung auf die Rückkehr aus dem babylonischen Exil.
Als letztes behandelt Uschomirski den davidischen Bund. Er präsentiert keine systematische Abhandlung, sondern reiht verschiedene Israel betreffende Aussagen aneinander. Israel wird ein König verheißen, und während das erste Kommen des Messias das Problem der Sünde beseitigen sollte, werde dieser bei seinem zweiten Kommen im tausendjährigen Reich als gerechter König regieren. Auch hier ist es wieder schade, dass keine abweichenden eschatologischen Meinungen erwähnt werden, was dem Publikum in der Auseinandersetzung mit Mitchristen sicher helfen würde.
Im Bund mit David schließlich werde das Realität, was im Sinaibund angekündigt wurde: Gott schickt Gericht und er – nicht der Teufel – benutzt die Feinde, um Israel zurechtzuweisen. Dabei sieht Uschomirski 722 v. Chr. (das assyrische Exil), 586 v. Chr. (das babylonische Exil) und auch 70 n. Chr. (die Zerstörung Jerusalems) als göttliche Strafen an. Das sei das Geheimnis des Landes, was sich im Laufe der Geschichte oft wiederholte: Wenn das jüdische Volk Gott nicht dient, kann und wird Gott es „hinauswerfen“. Doch seine Treue stehe über Israels Untreue und auch wenn es lange schien, als ob die Juden ihr Land nicht mehr besitzen würden – das Blatt der Geschichte wendete sich. Mit diesen Worten zeigt Uschomirski das Video der Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel und kommentiert begeistert: „Sind diese Aufnahmen nicht genial?!“
Ein Bund fehlt in Uschomirskis Darstellung: der Neue. Zwar erwähnt er zwischendurch, dass dieser durch Jeschua in Kraft gesetzt wurde, aber mehr als dass Israel physisch und geistlich wiederhergestellt wird (Jeremia 31,31f. und Hesekiel 36,26-28) erläutert er zu diesem nicht.
Nun kommt der Schwenker in die Gegenwart: Die heutige jüdisch-messianische Israelkonferenz sei die „Fortsetzung dessen, was Gott in seiner Geschichte mit seinem Volk tut. Wir gehören zu den Zeitzeugen, wir müssen uns bewusst werden, in welcher Zeit wir leben.“ Das heißt für Uschomirski konkret: „Der erste und entscheidende Auftrag der Christen ist es, Israel zu segnen und sie dadurch zur Eifersucht zu reizen.“ Offen bleibt die Frage, welche Bedeutung in dem Rahmen dem Missionsbefehl zukommt. Auch inwiefern die Ambition des Paulus, seine jüdischen Stammesverwandten zur Eifersucht zu reizen (Römer 11,14), als Aufforderung an alle Christen verstanden werden kann, müsste noch ein wenig erklärt werden.
Anatoli Uschomirski fasst zusammen:
1. Die biblischen Grundlagen Israels beruhen auf den Bündnissen. Sie wurden bestätigt durch die Propheten, beglaubigt durch Jeschua und werden im tausendjährigen Reich vollständig erfüllt werden.
2. Das jüdische Volk von heute und das biblische Israel stehen in einer ungebrochenen Identitätslinie.
3. Der Bund Gottes mit Abraham ist unauflösbar und gilt bis heute in allen Komponenten, weil er einseitig geschlossen wurde und nicht von Menschen abhängig ist.
4. Die Verheißung des Landes Israel für das Volk Israel ist ungebrochen.
„Amen“-Rufe erschallen aus dem Publikum, auch als der charismatische Redner sein Fazit formuliert, für welches er keine Begründung mehr benötigt: „Der Schlüssel zur Erweckung der nichtjüdischen Völkerwelt liegt nach wie vor und auch in der Zukunft in Israel – und in unserer Beziehung zu diesem Volk und Land!“
Wer sich für die Biographie von Uschomirski interessiert, kann diese hier nachlesen:
http://kolhesed.de/anatoli_uschomirski.html
(jp)
Interview mit Anatoli Uschomirski
Lieber Herr Uschomirski,
in Ihrem Vortrag erwähnten Sie die „Christ at the Checkpoint“-Konferenz, die vom 5.-9. März in Bethlehem stattfand. Hätten Sie diese besucht, wenn messianische Juden dort willkommen gewesen wären?
Ich würde diese Konferenz nicht besuchen, weil ich von Anfang an die Einstellung, die Ziele und die Theologie von den Leuten kenne, die die Konferenz veranstalteten.
Sind Sie mit Theologen, die die Ersatztheologie vertreten, in Kontakt bzw. im Gespräch?
Nicht offiziell. Aber immer wieder, im Zusammenhang mit meinen Vorträgen in den Kirchen und Gemeinden.
Was halten Sie von moderaten Vertretern der oben genannten Theologie, die davon ausgehen, dass die aus Juden und Christen bestehende Kirche das wahre Israel ist, das Israel „nach dem Fleisch“ (Röm 9,8) aber weiterhin eine Rolle in Gottes Heilsplan zukommt?
Die Sache ist die: Ich glaube nicht, dass Gott zwei auserwählte Völker, sprich Israel und die Gemeinde hat. Israel, sowohl das geistliche als auch das Israel „im Fleisch“, bleibt Gottes erwähltes Volk. Die Perspektive für das „Israel im Fleisch“ ist folgende: Sie müssen durch den Geist Gottes (aber auch durch das Zeugnis von messianischen Juden und Christen) aufgeweckt und in ihren eigenen Ölbaum wieder eingepfropft werden. Die Perspektive für die Christen: Sie gehören auch zum Volk Gottes, als Nachfolger Jesu aus den Nationen. Die zwei Größen (Israel und die Christen) begegnen sich aber nicht auf neutralem Boden. Die Christen aus den Nationen wurden zum Volk Israel hinzugetan. Das heißt, sie müssen die hebräisch-jüdische Wurzel ihres Glaubens anerkennen und schätzen lernen.
Sie sagten, Gott habe nichts für Israel getan, was nicht die Errettung aller Menschen zum Ziel hatte. War Israel also nur Mittel zum Zweck?
Der Zweck der Heilsgeschichte ist die Errettung aller Menschen. Wenn Gott mich dazu benutzt, um einen Menschen aus seinen Problemen zu retten, ist das in erster Linie ein Privileg für mich. Ich fühle mich geehrt. Jeder Prophet, den Gott als sein Sprachrohr benutzte, hat es zwar nicht leicht gehabt, aber hat auch die eigene Mission wahrgenommen.
Wie sind Aussagen wie Sacharja 2,15 und 1. Petrus 2,10 einzuordnen, wo (an Jeschua glaubende) Heiden als „Gottes Volk“ bezeichnet werden?
Ich bin nach wie vor der Meinung, das Volk Gottes ist Israel und alle, die an den Gott Israels glauben und zum Volk Israel hinzugetan wurden. Zum Beispiel sind mit den Israeliten aus Ägypten auch sehr viele andere Menschen geflohen. Viele von denen wurden später zu Israeliten. Der Bund war entscheidend und nicht die Volkszugehörigkeit. Im Neuen Bund gibt es diesselben Regeln. Die Bundesbeziehung macht einem Menschen zum Volk zugehörig.
Und diese Bundesbeziehung ist Ihres Erachtens nach Römer 4 (Abrahams Gerechtigkeit durch Glauben) mit dem Glauben gleichzusetzen?
Ja, das Mittel ist nach wie vor der Glaube. Ich würde gerne einen Israeliten zur Zeit von Mose sehen, der behaupten würde: „Ich glaube nicht an den Gott Israels, aber ich gehöre zum Volk.“ Das hieße, er betet Götzen an. Nach dem Talmud ist das eine der Sünden, wofür Menschen aus dem Volk ausgerottet werden sollten.
Was denken Sie, ist Gottes Anforderung an Israel, damit die Landesverheißung sich erfüllt? Gilt diese Anforderung jedem einzelnen Juden auf der Welt oder nur den politischen Repräsentanten des Volkes?
Alle Verheißungen, einschließlich der Landverheißung, gipfeln in Jesus. Das heißt, der Glaube an Jesus ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um das Land zu besitzen. Wenn nur die Politiker glauben, ist das Ziel immer noch nicht erreicht. Wobei ich denke, als Repräsentanten des Volkes spielen sie eine wichtige Rolle in diesem Prozess.
Was meint Jeschua, wenn er sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johahnnes 18,36)?
Kontext, Kontext, Kontext! Pilatus will eine politische Antwort. Jesus aber gibt ihm eine geistliche, um Rom nicht zu provozieren. Seine Antwort spricht aber nicht gegen das irdische Reich. Das Reich Israel ist ein materieller Ausdruck der inneren, geistlichen Reife des Volkes. Deuteronomium 28,13 ist das Ziel. Darauf zielt auch die Frage der Jünger in Apostelgeschichte 1,6, was Jesus nicht verurteilt, nur lediglich nicht für zeitgemäß erklärt.
Ist es Ihrer Meinung nach der erste Auftrag der Christen, das Evangelium weiterzusagen oder Israel zu segnen?
Das Eine widerspricht dem Anderen nicht.
Glauben Sie, dass israelfreundliche Christen und messianische Juden in der Gefahr stehen könnten, das Alte Testament zulasten des Neuen überzubetonen und die Bibel eher aus politischer Perspektive zu lesen statt auf ihre persönliches Leben (Heiligung) anzuwenden?
Nein! Diese Gefahr sehe ich nicht. Seit 2000 Jahren wurde die Bedeutung des sogenannten „Alten Testaments“ heruntergespielt. Man braucht nicht weniger als noch 2000 Jahre, um in eine solche Gefahrenzone zu kommen!
Weil den Juden das Gesetz anvertraut wurde und Kultur und Sprache der Bibel ihnen besonders vertraut sind, könnten viele Christen sicherlich von einer jüdisch-messianischen Auslegung der Schrift lernen. Wäre es denkbar, dass messianische Juden – z.B. im Rahmen einer Konferenz wie dieser – auch andere Themen (z.B. ethisch-apologetischer Art) vermehrt behandeln und so die christliche Theologie mit voranbringen?
Warum nicht? Aber für solche Themen brauchen wir ein entsprechendes Publikum. Die Lehrer und die Zuhörer sollen in der Lage sein, gemeinsam Theologie z treiben und voneinander zu lernen. Das ist schon ein gewisser Wachstum von einem Israelfan zu einem echten Talmid Jeschua (Jünger von Jesus).
Vielen herzlichen Dank für das Interview!
(jp)
Fotos: © privat
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