Tischa beAv – Gedenken an die Zerstörung des Tempels
Jedes Jahr im Sommer findet der Tischa beAv (תשעה באב) statt, seit jeher ein Fasten- und Trauertag der jüdischen Gemeinde. An diesem Tag gedenken Juden weltweit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 unserer Zeitrechnung.
Der Name bedeutet einfach „der neunte Tag des Monats Av“. Av ist der elfte Monat des jüdischen Kalenders, und der 9. Av galt unter Juden schon immer als „Unheilstag“. Er bildet den Abschluss von drei Wochen der Trauer und ist neben Jom Kippur (dem Versöhnungstag) der einzige offiziell vorgeschriebene Fasttag.
Die Mischna (Taanijot IV,6a) erklärt, warum dieser Tag ein Trauertag ist:
„Am neunten Ab wurde über unsere Väter beschlossen, daß sie nicht in das Land einziehen dürften; und der Tempel wurde zum ersten und zum zweiten Mal zerstört; Better wurde eingenommen und die Stadt umgepflügt.“
Daraus werden fünf Gründe (die fünf Unglücke) dafür ersichtlich, dass der 9. Av ein besonderer Gedenktag ist:
– Am 9. Av kehrten die durch Mose gesandten Kundschafter aus dem Land Kanaan zurück und verschreckten das Volk Israel durch ihren negativen Bericht. Daraufhin ließ Gott die Israeliten noch 40 Jahre lang durch die Wüste ziehen.
– Am 9. Av (586 v. Chr.) fiel Jerusalem nach langer Belagerung; der Salomonische Tempel wurde zerstört, der babylonische König Nebukadnezar führte das Volk Juda ins Exil.
– Am 9. Av (70 n. Chr.) wurde auch der zweite Tempel durch die Römer zerstört und die Zerstreuung der Juden in alle Welt begann.
– Am 9. Av (135 n. Chr.) endete der Bar-Kochba-Aufstand in einem Blutbad: Die Festung Betar fiel den Römern in die Hände, der jüdische Anführer Simon bar Kochba wurde umgebracht.
– Am 9. Av (136 n. Chr.) wurden die Trümmer Jerusalems von den Römern „umgepflügt“, d.h. dem Erdboden gleichgemacht. Jerusalem wurde als eine hellenistische Stadt namens Aelia Capitolina wieder aufgebaut. Juden wurde der Zutritt unter Androhung der Todesstrafe verboten.
Jedes dieser fünf Ereignisse fand nach rabbinischer Tradition am 9. Av statt. Ob das historisch korrekt ist, scheint heute fraglich; dennoch ist dieser Tag als offizieller Trauer- und Gedenktag im Judentum allgemein anerkannt. Auch andere schlimme Ereignisse der jüdischen Geschichte werden auf den 9. Av datiert: der Beginn des ersten Kreuzzugs, mittelalterliche Pogrome gegen Juden in England, Spanien und Portugal, der Beginn des Ersten Weltkriegs, ein Bombenattentat gegen eine große argentinische Synagoge, …
Die Mischna gibt spezielle Regeln (halachot) für diesen Tag und die vorhergehenden drei Trauerwochen vor. In den Trauerwochen darf man demnach keinen Wein trinken und kein Fleisch essen, sich nicht die Haare schneiden, keine Musik hören und soll möglichst wenig aus dem Haus gehen. Kurz vor Beginn des Fastens am Tischa beAv isst man als letzte Mahlzeit ein hartgekochtes Ei mit Brot und Wasser – ein Trauermahl, das jeder für sich allein verzehren muss. In der Nacht findet ein Synagogengottesdienst statt, bei dem in schwachem Kerzenlicht die Klagelieder Jeremias verlesen werden, wobei die Gemeinde auf dem Boden sitzt. Nach einigen Trauerliedern (Qinot) verlassen die Teilnehmer grußlos und still die Synagoge. Der Tischa beAv ist ein Tag des absoluten Fastens. Neben Essen und Trinken sind auch Rasieren, Waschen, Heiraten, das Tragen von Lederschuhen und Geschlechtsverkehr verboten.
An diesem Tag soll man nur auf dem Boden sitzen und sich nicht gegenseitig grüßen. Jede Freude soll vermieden werden; der Tischa beAv ist ein Tag der Trauer und des Gedenkens.
Bis heute halten sich Juden in aller Welt an diese Regeln, um der fünf Unglücke zu gedenken. Zudem trauern sie um alles Unheil, was seitdem dem jüdischen Volk geschehen ist. Doch gibt es auch Trost und Hoffnung in allem Kummer: Die rabbinische Tradition besagt, dass der Messias am 9. Av geboren werden würde. Dann würde die Zeit der Trauer und des Klagens in ein Freudenfest verwandelt werden.
(sg)
Quellen:
Correns, Dietrich, Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung. II. Seder: Mo’ed. 9. Traktat: Taanijot, Berlin 1989
www.talmud.de/tlmd/tischa-beav-und-die-drei-vorausgehenden-wochen
de.wikipedia.org/wiki/Tischa_beAv
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