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Das jüdische Ritual- oder Tauchbad – die Mikwe

Da kursiert ein Missverständnis

Manchmal hört man von Geschichten oder kleineren Erzählungen, bei denen es darum geht, dass auf Grund kultureller Traditionen oder Gegebenheiten Dinge falsch verstanden wurden. Diese Anekdoten enden meist ziemlich lustig und bieten einen gewissen Unterhaltungscharakter, da Unwissenheit peinlich bestraft wird.

Eine dieser Anekdoten ereignete sich im August 2023 in Jerusalem, als die Welt in Israel noch so normal schien und noch nicht durch Terror erschüttert worden war. Auf der Studienreise unseres Jahrgangs übernachteten wir in einem orthodoxen Hotel und wie es sich für interessierte Studenten gehört, recherchierten ein paar von uns bereits im Vorhinein, was es in dem Hotel zu unternehmen gab, um beispielsweise herauszufinden, dass das Hotel über einen Swimmingpool verfügt. Nach unserer Ankunft im besagten Hotel, machten es sich einige von uns zur Aufgabe, diesen Swimmingpool rasch ausfindig zu machen, um den Kommilitonen zuvorzukommen, die davon wohl noch nichts wussten. Wir schnappten uns also Badehose und Handtuch und begaben uns auf die Suche, jedoch ohne Erfolg. Wir konnten einfach keinen Pool ausfindig machen. Wir fingen also an, uns nach dem Swimmingpool durchzufragen beim Hebräisch sprechenden Personal. Und dabei fiel dann der Begriff „Mikwe“, mit dem wir erstmal nicht sehr viel anfangen konnten, doch scheinbar sollte das einem Swimmingpool ähnlich sein. Als wir dann auf die richtige Fährte kamen, begegneten uns zwei junge Männer in der Umkleide für die Mikwe, die das „kleine Schwimmbad“ gerade verließen. Wir versuchten uns auf Englisch mit ihnen zu verständigen, doch das gelang leider nicht. Bald mussten wir jedenfalls feststellen, dass diese „Mikwe“ ganz und gar nicht ein öffentlicher Swimmingpool ist. Die Überraschung war groß.

Was ist eine Mikwe?

Die Mikwe ist ein rituelles Reinigungsbad, wobei es sich ausschließlich um eine rituelle Reinigung handelt, denn Besucher haben sich bereits vorher körperlich gründlich gereinigt. Für die jüdische Gemeinschaft ist die Mikwe essenziell und hat eine große Bedeutung, eine Mikwe wird zum Beispiel laut Halacha bei einem Bau vor der Synagoge errichtet.

Ursprung

Das Baden und Waschen als religiöse Handlungen spielen in der Bibel eine bedeutende Rolle, nicht bloß als eine alltägliche hygienische Praxis, sondern auch mit einem tieferen religiösen Sinn. Diese rituellen Waschungen dienten dazu, die kultische Reinheit einer Person wiederherzustellen, damit sie vor Gott treten konnte, besonders nach Kontakt mit als unrein geltenden Substanzen oder Objekten. Das Gesetz im Alten Testament sah Reinigungsrituale vor, um den Kontakt mit Gott zu ermöglichen (siehe 3. Mose 11 und 15).

Mikwe- Bad , Der Jude steigt unrein hinab und geht kultisch-reingewaschen auf der anderen Seite hinauf.¹

Ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. wurden diese Reinigungsrituale in dafür errichteten Ritualbädern durchgeführt, bekannt als Mikwe. Archäologische Entdeckungen zeigen, dass zur Zeit des Neuen Testaments viele Privathäuser über eine Mikwe verfügten. Eine Mikwe hatte normalerweise zwei Eingänge: einen betrat man als unreine Person und einen anderen, durch den man als gereinigt wieder herausging. Spätestens in der Zeit des Neuen Testaments musste jeder, der den Tempel betreten wollte, sich zuvor in einer Mikwe rituell reinigen.

Eine Besonderheit der Mikwe ist, dass das Wasser einen natürlichen Ursprung haben muss. Dafür kann also Regenwasser, Grundwasser oder Flusswasser verwendet werden, jedoch darf die Mikwe auch mit zusätzlichem Wasser  aufgefüllt oder beheizt werden.

 

Wann geht man in die Mikwe?

Frauen besuchen die Mikwe, nachdem ihre Periode seit einigen Tagen vorüber ist oder wenn sie eine Entbindung hinter sich hatten. Der erste Besuch der Mikwe findet meistens allerdings erst am Abend vor der Hochzeit statt. Außerdem müssen alle weiblichen und männlichen Konvertiten, die zum Judentum übertreten wollen, in das Tauchbad der Mikwe. Für Männer gibt es ansonsten keine direkte Pflicht für den Besuch der Mikwe. Jedoch haben sich bei einigen ultraorthodoxen Männern die Bräuche entwickelt, vor jedem Schabbat oder Feiertag in die Mikwe zu gehen. Einige besuchen die Mikwe sogar täglich vor dem Morgengebet.

Ablauf des Besuchs

Eine Mikwe in Breslau ²

Nachdem man alles Körperfremde abgelegt hat, betritt man das Wasser und taucht unter, das Untertauchen wird meist dreimal wiederholt. Dabei geht man allein in das Wasser der Mikwe, nur eine weitere anwesende Person des gleichen Geschlechts bezeugt das regelkonforme Untertauchen. Der Aufenthalt im Wasser selbst dauert nicht lange, da man sich bereits vorher gereinigt hat und es nun auf die rituelle Reinigung ankommt. Normalerweise gehen Kinder nicht in die Mikwe, der erste Besuch findet vor der eigenen Hochzeit statt. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Geschirr wird in der Mikwe rituell gereinigt (gekaschert = koscher gemacht), wenn es entweder neu gekauft wurde oder rituell unrein geworden ist.

Nachtrag

Zurück zu unserer erlebten Episode im Hotel. Die beiden jungen Männer waren etwas überrascht über unsere Anwesenheit, sie vermuteten wohl ganz richtig, dass wir keine Juden sind. Doch es muss sie nicht weiter interessiert haben, denn sie verabschiedeten sich und ließen uns allein.

Da standen wir nun, drei Jungs in Badehose, die das mit dem Swimmingpool leider völlig falsch verstanden hatten. Wir schauten auf das kleine Becken, die ungewöhnliche Architektur und konnten rein gar nichts damit anfangen. Bestimmt hatten wir das Wort Mikwe irgendwo schonmal gehört oder gelesen, doch wir wussten nicht, worum es sich dabei genau handelte. Wir hatten ein paar Vermutungen, die sich auch teilweise bewahrheiteten, aber wirklich sicher waren wir uns nicht. Tatsächlich erzählte unser Reiseführer am nächsten Tag etwas mehr über die Tradition der Mikwe im alten Jerusalem und wir spitzten beschämt unsere Ohren.

Was wir daraus lernen können

Nun könnte man sich empört fragen, wie es denn sein könne, dass drei Theologiestudenten ein so wichtiges Element jüdischer Gemeinschaft nicht gekannt haben, das sei doch peinlich. Ja, vielleicht. Aber wäre das denn förderlich? Ich glaube nicht. Ich glaube diese kleine Geschichte lehrt uns viel mehr, dass es durchaus vorkommen kann, dass sich „kulturelle Andersartigkeit“ gar nicht so weit weg von uns befindet, wie wir manchmal denken. Vielleicht sind wir sogar öfter als wir denken, so nah dran, dass wir diese „kulturelle Andersartigkeit“ übersehen. In beiden Fällen sollten wir aber nicht dabei stehen bleiben, beschämt zu sein. Es geht an so einem Punkte viel mehr darum, mutig nachzuforschen (wie zum Beispiel auch hier auf der Seite des Israelinsituts) und aktiv Fragen zu stellen, um das „uns“ Unbekannte oder Fremde in der Religion der Juden besser verstehen zu können.

 

Quellen

 https://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/mittelalter/mikwe/faq/121762.html#slot_100_0

https://www.die-bibel.de/lightbox/basisbibel/sachwort/sachwort/anzeigen/details/baden-waschen/

https://www.zentralratderjuden.de/judentum/riten-und-gebraeuche/mikwa-ein-symbol-der-neugeburt/

https://de.wikipedia.org/wiki/Mikwe

https://www.juedische-allgemeine.de/religion/nicht-nur-sauber-sondern-rein/

11 „Mikwe- Bad , Der Jude steigt unrein hinab und geht kultisch-reingewaschen auf der anderen Seite hinauf -DSC_0259“ by Otto_Friedrich45 is licensed under CC BY-NC-SA 2.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/?ref=openverse.

22 „Mikwe Breslau Fotografin Isabelle Knispel“ by Isabelles Knowledge is licensed under CC BY-SA 4.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/?ref=openverse.

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