„Extreme Spannung zwischen Lebensentwürfen“ – eine kritische Rezension zur Netflix-Serie „UNORTHODOX (Teil II)

Kritische Würdigung

Abgesehen von einigen zu thematisierenden kritischen Aspekten muss „Unorthodox“ für seine herausragende filmische Inszenierung gewürdigt werden, die den Zuschauer von der ersten Szene an gedanklich fesselt und auch emotional mitnimmt. Hinter dieser international beachteten Serie steht die Produzentin Anna Winger (u. a. „Deutschland 83“, „Deutschland 86“ und „Deutschland 89“).

Exzellent ist nicht nur die israelische Schauspielerin Shira Haas in der Hauptrolle, die mit einer imposanten Mischung aus Zerbrechlichkeit und Trotz zu überzeugen weiß. Auch ihr Kollege Amit Rahav und der israelisch-deutsche Schauspieler Jeff Wilbusch, die die Rollen von Estys warmherzigen Ehemann Yanky und Yankys Cousin Moishe bekleideten, lieferten eine schauspielerische Leistung auf höchstem Niveau. Insbesondere Wilbusch, der selbst in einer ultra-orthodoxen Haredi-Gemeinde in Mea Shearim (Jerusalem) aufwuchs, präsentiert eine äußerst realistische Darstellung eines Mannes, der zwischen seinen religiösen Überzeugungen und seinen Süchten hin- und hergerissen ist.

Eine Besonderheit der Serie ist tatsächlich, dass die meisten der darin auftretenden Schauspieler jüdisch sind. Zu einem großen Teil wird diese nämlich auf Jiddisch gedreht, da die englische Sprache in der Satmarer-Gemeinschaft als zu „weltlich“ angesehen wird. „Eine jüdische Geschichte soll von Juden gespielt werden“ – dies war das Motto des Filmprojektteams mit Blick auf die Tatsache, dass Juden in deutschen Filmen bisher fast immer von nichtjüdischen Deutschen gespielt wurden. Diese wichtige Grundsatzentscheidung bietet dabei eine wertvolle Hilfe: Gerade deshalb, weil der Film von Jüdinnen und Juden gespielt wurde, von Menschen, die Sitten und Gebräuche kennen, die ein Gespür für die Nöte und Freuden einzelner religiöser Strömungen haben, verfällt dieser nicht in Versuchung, Klischees über das Judentum zu bedienen oder sich gar über die Gläubigen lustig zu machen. Einerseits wird die ultra-orthodoxe jüdische Gemeinde, untermalt in visuellen Beige- und Brauntönen, zwar zunehmend als beklemmende Belastung für Esty dargestellt; zugleich soll man dem Film nicht die Bemühung absprechen, auch die stimmungsvollen Momente der Gemeinschaft und Verbundenheit, der Rituale und Feste in dieser Gemeinschaft zu erfassen.

So erzählt „Unorthodox“ zwar die klassische Emanzipationsgeschichte des Kampfes einer jungen Frau, sich aus ihrer religiösen Zwangsjacke zu befreien, ist aber keineswegs eine Art endgültige Abrechnung mit der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinschaft. Der Film endet mit einer versöhnlichen Note, ohne jedoch die inneren Spannungen der Protagonisten aufzulösen. Die Sinn- und Antwortsuche scheinen über das Filmende weiterzugehen. Angesichts dieser offenen Frage ist es wenig verwunderlich, dass viele Zuschauer auf eine Fortsetzung der Serie drängen. Was wird Esty mit ihrer hart erkämpften Freiheit anstellen?

 

Extreme Spannung zwischen Lebensentwürfen

Trotz all des Lobes, auch von Seiten der Kritiker, sollen dennoch einige kritische Aspekte nicht verschwiegen werden. Zurecht merken einige Rezensenten an, dass ein verkitsches Bild von der deutschen Hauptstadt (Stichwort: Multikulti und Offenheit für alles und jedes) eine unreflektierte und idealisierte Berlinromantik fördert, die zugleich eine ideologisierte Instrumentalisierung vornimmt, wie ein angeblich „freier Lebensstil“ im Unterschied zur angeblichen „religiösen Unfreiheit“ sein soll, wobei ja in einer angeblich „offenen Gesellschaft“ auch der Lebensstil der Satmarer prinzipiell als „gültig“ zugelassen sein müsste.

Es sei – so einige Kritiker – gerade auch deswegen nicht angemessen, Berlin als ideale Zufluchtsort darzustellen, weil es hier in den vergangenen Jahren einen Anstieg antisemitischer Übergriffe gegeben hat. Auch wird die Sorge geäußert, der Film bediene antijüdische Stereotype wie Frauenfeindlichkeit, die zu falschen Schlüssen über das allgemeine Judentum verleiten könnte. Unbefriedigend ist es auch, dass das Trauma der jüdischen Gemeinschaft in Bezug auf den Holocaust nur in der Badesszene im Wannsee (gegenüber der Villa, in der 1942 die Vernichtung der Juden beschlossen wurde) in Verbindung mit der Emanzipationsmotivik kurze Erwähnung findet; eine ernsthafte Auseinandersetzung bleibt aus.

Auch wenn sich die Autorinnen sichtlich um eine angemessene Neutralität bemühen, handelt es sich bei der Miniserie „Unorthodox“ letztlich in der Gesamtperspektive doch um ein westlich-liberales Narrativ einer klassischen aufklärerischen Emanzipationsgeschichte, die stark einseitig aus einer weltanschaulich (linkspolitisch-)ideologisierten Sichtweise erzählt wird. Gewiss sind einige Aspekte der dargestellten jüdischen Gemeinschaft (z. B. arrangierte Ehe; allgemeine Geringachtung der Frauen) kritisch zu betrachten. Auf der anderen Seite verbirgt sich eine große Gefahr in der spezifischen Deutung der Geschichte: Diese kann vorschnell als Rechtfertigung dafür genutzt werden, den Universalitätsanspruch der angeblich befreienden, vernunftorientierten Aufklärung gegenüber allem Religiösen und Religionen zu erneuern oder unreflektiert und zu Unrecht zu zementieren.

Dennoch ist die Bemühung der Miniserie „Unorthodox“, einen ausgewogenen Weg zu finden, zu würdigen: Auf der Grundlage einer (auf die Zuschauer im Westen zugeschnittenen) Emanzipationsgeschichte gewährt sie uns einen sehr imposanten Einblick in das Paralleluniversum einer jüdischen ultraorthodoxen Gemeinschaft; sie malt uns das Spannungsverhältnis zwischen unterschiedlichen und auch disparaten, sich gegenseitig ausschließenden Lebensentwürfen in einer weltanschaulich pluralistischen Welt vor Augen. Aus diesem Grund ist „Unorthodox“ – durchaus mit einem kritischen Blick – wärmstens zu empfehlen.

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