Mittelalterlicher Codex versteigert

Für die theologische Forschung und Altphilologie sind sie von besonderer Bedeutung: Die mittelalterlichen Codices, handgefertigte Abschriften der Schriften des Alten Testaments. Sie zeigen uns nicht nur die Entwicklung des antiken Hebräisch und seinen Gebrauch im mittelalterlichen Judentum, sondern auch den Vorgang der Tradierung dieser Schriften im Judentum über weit mehr als ein Jahrtausend und der Vokalisierung des bis dato unvokalisierten antiken Hebräisch. Die berühmtesten dieser Codices sind wohl der Codex Aleppo und der Codex Cairensis. Sehr selten nur in der Geschichte kommt es vor, dass manche dieser Codices zum Verkauf geboten werden. Genau das war nun das Schicksal des Codex Sassoon.

David Salomon Sassoon war ein Liebhaber jüdischer Tradition und alter Judaica.

Der Codex Sasson (auch Codex Sasson 1053) ist eines der bedeutendsten mittelalterlichen Manuskripte des Alten Testaments, denn es umfasst vollständig alle Bücher des Tanach (Schriften des Alten Testaments) mit nur wenigen sehr kleinen Lücken. Da Angaben zu Zeit und Urheber der Abfassung fehlen, wurden die Radiocarbon-Methode sowie die paläographische angewandt, um die Datierung zu sichern. Alles deutet auf eine Abfassung im 9 oder 10. Jahrhundert hin. Die Geschichte des Codex ist bewegt: Er wurde in einer Synagoge im heutigen Syrien verwahrt und kam nach deren Zerstörung im 13./14. Jhdt. In die Hände eines Gemeindemitglieds. Dazwischen liegt eine große Lücke, bis er in die Hände seines Namensgebers kam: David Salomon Sassoon (1880-1942), der in Groß Britannien lebende und sehr wohlhabende Sohn einer bekannten jüdischen Familie aus Baghdad, erwarb das Stück für seine Judaica-Sammlung. Doch war David Salomon nicht nur ein wohlhabender Sammler von antiken Judaica und bedeutenden Schriften seiner Religion: Ihm lag sein Volk sehr am Herzen. So engagierte er sich sozial, unterhielt eine Synagoge auf seinem Anwesen und half noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges jüdischen Menschen, aus Nazi-Deutschland zu fliehen. Manche kamen bei ihm vorerst unter. Als Österreich Nazi-Deutschland im Jahr 1938 angeschlossen wurde, begann Sassoon, einige seiner wertvollsten Schriften in Sicherheit zu bringen. Nur ein Jahr später wurde sein Haus von den ersten deutschen Bomben, die auf London fielen, in Mitleidenschaft gezogen. Bald zog die Familie in ein Landhaus einige Kilometer nördlich von London, wo Sassoon bis zu seinem Tod 1942 lebte.

Der Codex Sassoon ist ein bedeutendes Schriftzeugnis. Hier sieht man den Beginn des Psalters.

Zurück in die Gegenwart: Bei einer Versteigerung im Auktionshaus Sotheby in New York ging das mittelalterliche Manuskript Codex Sassoon 1053 am 17. Mai 2023 für 38 Millionen Dollar (zur Zeit ca. 35 Millionen Euro) an den neuen Besitzer. Damit ist es das bisher am teuersten versteigerte Manuskript ebenso wie das am teuersten versteigerte religiös-jüdische Stück der Geschichte, berichtet die Jüdische Allgemeine. Doch wem die Versteigerung eines jüdischen Manuskripts mit einer solch bewegten Geschichte kritisch gegenüber steht, darf beruhigt sein: Der glückliche neue Besitzer ist ein Unterstützerverein des ANU Museums des Jüdischen Volkes (ANU Museum oft he jewish people) in Tel Aviv, ein sehr modernes Museum, dass die Geschichte, Identität und historische sowie moderne jüdische Kultur vermittelt. Hier soll das Schriftstück nun auch ausgestellt werden. Einen Besuch dürfte das Museum für Liebhaber also in jedem Fall wert sein.

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