Juden in Marokko: Zwischen Stolz, Unsichtbarkeit und Unsicherheit

Die jüdische Gemeinschaft in Marokko blickt auf eine mehr als 2000-jährige Geschichte zurück. Als älteste jüdische Gemeinschaft der arabischen Welt war sie lange Zeit ein fester Bestandteil der marokkanischen Gesellschaft und Kultur.1https://www.dw.com/de/marokkos-jüdisches-erbe/a-55938443 Doch während das Königshaus bis heute das jüdische Erbe offiziell schützt, wie durch eine Vertragsreform von 2011, hat sich das Leben der wenigen verbliebenen Juden stark verändert.

Das jüdische Leben in Marokko reicht bis in die Antike zurück. Doch besonders im 15. Jahrhundert kam es durch die Vertreibung sefardischer Juden aus Spanien zu einem starken Zuzug. Diese Gemeinschaft bereicherte Marokkos Kultur und Wirtschaft nachhaltig. Juden nahmen teilweise zentrale Rollen als Kaufleute oder Berater des Sultans ein. Noch in den 1940er-Jahren umfasste die jüdische Bevölkerung rund zehn Prozent der marokkanischen Gesellschaft. Doch nach der Gründung Israels 1948 und zunehmenden antisemitischen Spannungen wanderte die Mehrheit aus. Heute leben weniger als 3000 Juden in Marokko.

Die jüdische Gemeinschaft in Marokko genoss stets Anerkennung und einen gewissen Schutz durch das Königshaus. Diese Beziehung wurde in den letzten Jahrzehnten weiter gestärkt, etwa durch die Verfassungsreform von 2011, die das jüdische Erbe als Bestandteil der nationalen Identität anerkannte. Zahlreiche Synagogen und jüdische Friedhöfe wurden restauriert. In Marrakesch wurde 2022 sogar eine neue Synagoge eingeweiht, was einen außergewöhnlichen Schritt in der arabischen Welt darstellt.
Auch die diplomatische Annäherung an Israel ab 2020 im Rahmen der Abraham-Abkommen zeugt von der Zusammenarbeit. Wirtschaftliche und wissenschaftliche Kooperationen sollten intensiviert werden, auch Marokkos König Mohammed VI. betonte die historische Verbundenheit von Juden mit der marokkanischen Bevölkerung.

Die Hassan-II.-Moschee in Casablanca beeindruckt mit dem höchsten Minarett der Welt (210 m) - Bild von Hans-Juergen Weinhardt auf Pixabay

Die Hassan-II.-Moschee in Casablanca beeindruckt mit dem zweithöchstem Minarett der Welt (210 m) – Bild von Hans-Juergen Weinhardt auf Pixabay

Jedoch hat sich die Situation der jüdischen Minderheit durch die politischen Spannungen im Nahen Osten weiter verschärft. Besonders seit dem Gaza-Krieg im Oktober 2023 ist die Lage besonders angespannt. Antisemitische Demonstrationen und Parolen haben zugenommen. Diese Stimmung bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die jüdische Gemeinschaft in Marokko, die sich zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurückzieht. Das bedeutet, dass das jüdische Leben in Marokko heute von Vorsicht und Zurückhaltung geprägt ist. Synagogen wie die Beth-El-Synagoge in Casablanca oder das einzige jüdische Museum der arabischen Welt sind hinter hohen Mauern versteckt und werden rund um die Uhr von Polizisten bewacht. Während muslimische Haushalte oft mit religiösen Symbolen geschmückt sind, bleibt jüdisches Leben bewusst unauffällig. Viele Juden verzichten darauf, in der Öffentlichkeit eine Kippa zu tragen oder verdecken sie mit einem Hut. Rabbi Hazout aus Casablanca sagt dazu: „Dass wir niemanden stören, ist eine Frage des Respekts.“ Doch die Realität zeigt, dass dieser „Respekt“ weniger freiwillig ist. Vielmehr scheint es eine notwendige Strategie, um antisemitische Angriffe zu vermeiden. Veranstaltungen und religiöse Feierlichkeiten der jüdischen Gemeinschaft finden fast immer unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. In Casablanca wurden Kinder aus jüdischen Schulen nach dem Unterricht von der Polizei nach Hause eskortiert. Ein jüdisches Altersheim ist nicht nur durch hohe Mauern, sondern durch Metallbarrieren und Sicherheitspersonal geschützt. Diese Maßnahmen zeugen von der tiefsitzenden Angst vor Übergriffen, die trotz staatlicher Unterstützung spürbar bleibt.

Die Situation bleibt weiterhin angespannt und trotz der Lichtblicke aus den vergangenen Jahren, wie der Restauration von Synagogen und jüdischen Friedhöfen, und der Verfassungsreform von 2011, die das jüdische Erbe als festen Bestandteil der marokkanischen Identität anerkannte, bleibt die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft fragil. Die marokkanischen Behörden setzen sich zwar aktiv für den Schutz jüdischen Lebens ein, doch das wachsende Misstrauen in der Gesellschaft und die verstärkten Spannungen im Nahen Osten belasten das Erbe der marokkanischen Juden.

Diese eigentlich sehr vorbildliche Situation einer Minderheit von Juden in einem religiös mehrheitlich islamischen Land, zeigt an, wie exemplarisch positive Grundhaltungen Juden gegenüber ins Wanken geraten. An Marokkos Lage im Land kann man exemplarisch gut erkennen, wie schnell ein antijüdischer Stimmungswechsel in einer bisher mehrheitlich neutralen politischen Situation ins Negative umschlagen kann. Das soll uns allen eine Warnung sein, wachsam die zunehmenden antisemitischen Tendenzen in westlichen Demokratien und darüber hinaus ernstzunehmen.

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