Mein Sommer in Beer Sheva

Johannes Appelt in Jerusalem

Wir schreiben den 10. September 2016, Samstag, Shabbat. Ich warte auf meinen Rückflug nach Deutschland, nachdem ich den Großteil des Sommers in Israel gewesen war. Gerade hatte ich alle Security Checks hinter mich gebracht, mein ganzes Handgepäck durchsuchen lassen und Fragen zu allen möglichen Dingen beantwortet. Als ich noch einmal vor die Tür ging um ein letztes Mal die warme Spätsommerluft zu genießen, fiel mir auf, dass ich mich schon an die Klimaanlage im Flughafengebäude gewöhnt hatte. Eines von vielen Dingen, die für mich in den letzten Wochen normal geworden waren.

Doch fangen wir vorne an. Begonnen hatte mein Abenteuer schon im April als das Israel Institut bekannt gab, wer ein Stipendium für die Sommeruniversität in Beer Sheva, im Süden Israels am Rand der Negev Wüste gelegen, gewonnen hatte. Mit Spannung wartete ich die Bekanntgabe ab. Genannt wurde nicht mein Name. Enttäuschung. Doch dann der Hoffnung schaffende Satz: “Da wir noch etwas Geld übrig haben, können wir noch einen Studenten nach Israel schicken: Johannes Appelt.” Begeisterung und Erleichterung. Einige Wochen später, Ende Juli, war es dann soweit: Ich flog nach Tel Aviv, Israel, und war gespannt was vor mir lag. Der Flyer und die Homepage hatten mir schon einen Überblick gegeben, doch es ist dann doch etwas anderes, wenn man es vor sich hat. Am 30. Juli, auch ein Samstag, morgens um 3:30 Uhr landete mein Flug. Das kann man besser planen. Die Uhrzeit ist zum einen natürlich nicht so angenehm (doch mit dem Vorteil von zügigen Security Checks), außerdem hatte ich die Bedeutung des Shabbat in Israel sehr unterschätzt. Kein Bus und keine Bahn fährt den Flughafen an, nur sehr teure Taxis. Erwartet hatte ich einen eingeschränkten Fahrplan wie es sonntags in Deutschland üblich ist. Die beste Lösung war ein sogenanntes Sheruth, ein Sammeltaxi, die für umgerechnet 15 Euro nach Jerusalem fahren. Abends, als die günstigen Linienbusse wieder fuhren, ging es dann weiter in den Süden nach Beer Sheva. Dort erwartete mich die nächste Überraschung. In Deutschland hatte ich oft gehört, dass es zwar sehr warm sei – tatsächlich hatten wir die nächsten Wochen jeden Tag um die 34 Grad – allerdings eine “trockene Hitze” und daher angenehm. Doch als ich an diesem Samstagabend um 23 Uhr aus dem Bus stieg, schlug mir eine schwül-warme Hitzewelle entgegen. Wie mir später von Israelis berichtet wurde, wird diese Schwüle auch durch die in der Vergangenheit errichteten Wasseranlagen in Tel Aviv begünstigt.

Die Ulpanklasse auf dem Universitätsgelände

Am nächsten Tag, Sonntag, bezog ich mein Zimmer für die nächsten Wochen in einem Studentenheim der Ben Gurion University of the Negev. Wie in den nächsten Wochen, merkte man die sehr gute Organisation und Begleitung durch die Mitarbeiter der Sommeruniversität. Die meisten sprachen deutsch, alle aber englisch. Im Allgemeinen sprechen die meisten Israelis gut englisch, was die Kommunikation auch ohne Ivrit Kenntnisse erleichtert. Die Zimmer sind in meist 4-Zimmer Wohnungen zusammengeschlossen. Dusche, Toilette, eine kleine Küche. Mein Zimmer, spärlich eingerichtet, nicht so sehr sauber, mit einem Bett, Schrank, Schreibtisch und Stuhl ausgestattet. Wie in jedem Zimmer gab es eine Klimaanlage. Ich war kein Fan von Klimaanlagen, weil ich mich schnell erkältete. Das Problem war, dass in Israel sehr viele Räume, ähnlich wie in den USA, klimatisiert sind.

Meine Mitbewohner waren zwei Amerikaner in den 40ern, die über ein Internationales Programm der Universität den Sommer in Beer Sheva verbrachten. Michael aus New York City und Joel aus Texas. In anderen Wohnungen teilten sich allerdings die Teilnehmer die Wohnungen auch mit israelischen Studenten. Diese schliefen allerdings meist tagsüber, weil sie nachts besser lernen konnten als tagsüber in der Hitze.

An diesem ersten Abend gab es eine kleine Willkommensparty für die Teilnehmer der Sommeruniversität. Dieses Programm war speziell für deutschsprachige Teilnehmer, weswegen es nur kleinere, durch die verschiedenen Dialekte verursachte, sprachliche Barrieren gab. In den folgenden Wochen begannen einige Freundschaften, was man sich am ersten Abend noch gar nicht vorstellen konnte. Allerdings blieb man, vereint durch die neue Sprache, meist unter sich und der Kontakt zu Israelis, obwohl jene sehr kontaktfreudig sind, eingeschränkt.

Vor dem Wohnheim in Beer Sheva

Am Montag, den 1. August, begann dann das Programm: von 9-12:30 gab es Ivritunterricht in verschiedenen, dem Sprachniveau gemäßen, Klassen. Die Lehrer/innen prägten durch ihre freundliche und kompetente Art eine gute Lernatmosphäre, auf den Einzelnen eingehend. Die Klassen waren gemischt von Deutschsprachigen (Teilnehmern der Sommeruniversität) und meist Englischsprachigen (meist Amerikanern, aber auch Franzosen, die an einem vergleichbaren internationalen Programm teilnahmen). Da die Klassen meist nicht größer als 17 Leuten waren, entwickelten sich auch in den Klassen in den folgenden 5 Wochen gute Freundschaften. Den Ivritunterricht habe ich sehr genossen. Ich hatte schon vorher einige Kurse besucht und angefangen Ivirt (das heute gesprochene Hebräisch) zu lernen, aber in diesem 6 wöchigen Intensivkurs habe ich sehr viel dazugelernt.
Auch die Vorträge (von 13 Uhr – 16/17 Uhr) haben meinen Horizont sehr erweitert. In den nächsten Wochen hörten wir viel vor allem über die Geschichte und Gesellschaft Israels. Am meisten beeindruckt und interessiert haben mich ein Psycholge, der über die psychischen Folgen der Kriege bei Israelis und Palestinänsern redete. Diese Dimension des Nahostkonflikts war neu für mich. Die Zerrissenheit der jüdischen Gesellschaft wurde besonders von einer Schauspielerin verdeutlicht, die erst in der Rolle einer orthodoxen Jüdin auftrat und dann mit wechselndem Outfit das breite Spektrum der Gesellschaft mit den jeweiligen Ansichten über den Staat, Armeedienst, Kibuzzim und allen möglichen Bereichen aufzeigte. Eine wirkliche Horizonterweiterung für mich.

Praktisch anschaulich wurde das Gesagte aus den Vorträgen dann bei den Ausflügen, die fast jeden Freitag angeboten wurden. Morgens um sieben starteten wir dann und fuhren mit einem Bus in die Regionen rund um Beer Sheva zu archäologischen Grabungen oder in die Wüste, was jeweils sehr beeindruckend war. Die frühe Abfahrtszeit wurde angesetzt, da um 15 Uhr das Land langsam ruhiger wurde und sich auf den Shabbat vorbereitete. Diesen (fast) totalen Stillstand zu erleben war mit das Schönste für mich in dieser gesamten Zeit. Ganz anders als unser Sonntag, wo Busse und Bahnen noch vereinzelt fahren, Geschäfte teilweise offen haben und die Straßen fast normal voll sind, kommt man in Israel von Freitagabend bis Samstagabend nur zu Fuß oder im eigenem Auto vorwärts. Die Straßen sind innerhalb von Stunden wie leergefegt. Wo vorher noch reges Treiben auf den Straßen und Märkten herrschte, sind jetzt nur noch vereinzelt Menschen anzutreffen. Vom Programm wurde außerdem angeboten mit Israelis den Shabbat zu feiern. Wer das noch nicht erlebt hat, sollte sich dieses Erlebnis nicht entgehen lassen.

Zwischendurch hatten wir, bedingt durch andere jüdische Feiertage, auch ein paar Tage frei, sodass privat organisierte längere Ausflüge möglich waren. Während einige nach Jerusalem fuhren, fuhr ich mit einigen anderen nach Ein Gedi ans Tote Meer und Massada, die bekannte Festung aus dem jüdischen Freiheitskampf, die 70 n. Chr. im Kampf gegen die Römer fiel und heute ein sehr beliebter und identifikationsstiftender Ort für Israelis ist.

Vieles mehr ließe sich berichten über sechs besondere Wochen in dieser interessanten Region der Welt. Einige Abenteuer wurden bestanden und neue Freunde gefunden. Was ich neben mehr Ivirtkentnissen und Informationen aus den Vorträgen mitnehme aus dieser Zeit, ist, dass eine Lösung des Nahostkonflikts keine einfache sein wird. Dass dieses verhältnismäßig kleine Land reich an unterschiedlichen Kulturen durch massive Einwanderung ist und an Vielfalt einige andere größere Länder übertrifft. Beeindruckt haben mich arabische und jüdische Israelis, die wirklich offen für Neues sind, sodass wir z.B. oft von verschiedenen auf dem großen Uni Campus angesprochen wurden. Gewöhnt habe ich mich an die vielen wilden Katzen, die in jeder Stadt das Bild prägen. An das viele Wasser trinken – 3 Liter pro Tag waren Pflicht – und die starke Abkühlungen durch Klimaanlagen. Die herzliche und persönliche Fürsorge durch die Mitarbeiter der Sommeruniversität bleiben mir in schöner Erinnerung sowie deren gute Organisation. Zu empfehlen ist ein Aufenthalt in Beer Sheva für alle, die in der Kürze der Zeit ihren Horizont erweitern und ihr Interesse für Israel und seine Bewohner und deren Sprache vertiefen wollen. Meine Zeit in Beer Sheva wird sicherlich nicht mein letztes Mal im Heiligen Land gewesen sein.

(Johannes Appelt)

Vergangene Erfahrungsberichte: Bert Görzen, Colin Bergen, Philipp Wiens, Markus Rehberg

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