Eindrücke aus Israel, die so nicht im Reiseführer stehen

IMG_3299Auch in diesem Jahr konnte das Institut für Israelogie einem Theologiestudenten die Reise zum sechswöchigen Kultur- und Sprachprogramm in der Wüstenstadt Beer Sheva ermöglichen. Im letzten Jahr musste diese leider aufgrund des Krieges kurzfristig abgesagt werden. Der Stipendiat Markus Rehberg erzählt:
„Die israelische und arabische Kultur war mir nicht ganz unbekannt, da ich vor fünf Jahren meinen „Anderen Dienst im Ausland“ für ein Jahr in der Nähe von Tel Aviv in einem jüdischen Altenheim absolvierte.
IMG_3307Was mich genau am Sprachkurs der Sommer-Uni in Beer Sheva erwarten würde, war mir nicht bekannt. Nachdem ich meinen schriftlichen Spracheinstufungstest von Deutschland aus nach Israel gesandt hatte und der mündliche Einstufungstest am ersten Tag des Sprachkurses von einer Lehrerin mit mir durchgeführt wurde, stand fest, ich könne in die fortgeschrittene „Dalet-Klasse“. An der Sommer-Uni gibt es fünf verschiedene Sprachniveaus (Aleph-א, Aleph+, Beth-ב, Gimmel-ג, Dalet-ד). Diese Kategorien sind mit den Anfangsbuchstaben des hebräischen Alphabets gekennzeichnet, die die Sprachniveaus der Studierenden einteilen, die also zugleich auch eine Zahlenbedeutung haben, anfangend mit Aleph-א, mit der Zahlenbedeutung „eins“ bis Dalet-ד. Somit durfte ich in der am meisten fortgeschrittenen „Dalet-Klasse“ mitmachen. Eine große Herausforderung, aber auch sehr ermutigend und bereichernd für mich.
Unsere Klasse bestand aus neun Schülern, zwei muslimisch-arabischen Israelis, vier amerikanischen Juden, einer Schweizerin und aus zwei Deutschen, einschließlich mir. Irit, unsere Lehrerin, war eine gebürtige ungarische Jüdin, die schon in jungen Jahren mit ihrer Familie nach Israel auswanderte. Sie übt diesen Beruf schon seit über 30 Jahren aus und hatte sehr ausgefeilte didaktische Fähigkeiten. Das Hauptziel unserer Lehrerin war es, dass das Hebräisch, das wir bereits „beherrschten“, präsenter für uns wird und die neuen Wörter, die wir erlernen, nicht nur im Kopf sind, sondern auch ins Herz rutschen. Somit lag der Schwerpunkt unserer Klasse auf der aktiven Anwendung, auf dem Reden.
IMG_3377Jeden Tag musste eine andere Person unseres Kurses ein Referat halten. Dabei ging es um ethische, politische oder gesellschaftliche Themen, die wir uns selber aussuchen durften. Einmal in der Woche sahen wir uns einen Film an, über den wir uns dann im Nachhinein austauschten, zu dem wir die Charaktere schriftlich beschreiben mussten oder wir einen Teil des Films genauer erläutern sollten. Wir sprachen über Dinge, die wir so im Alltag nach der Sprachschule erlebten. Wir lernten dabei viele neue Wörter kennen, die uns unsere Lehrerin beibrachte. Unsere Lehrerin betonte häufig, dass wir als Sprachklasse nun eine Familie seien, dass wir alles miteinander teilten und dass Ausreden, ein Thema sei zu privat, deshalb nicht zugelassen wäre ;) Auch wurden uns in diesem Zusammenhang wichtige Feinheiten der hebräischen Grammatik beigebracht. Um diese und die neu gelernten Worte zu überprüfen, wurden mehrere Teste und dann auch eine Abschlussprüfung geschrieben. Die Sommer-Uni war ja auch kein „Urlaub“, sondern schon auch mit intensivem Lernen verbunden. Und das war auch für das Sprachelernen gut so.
IMG_3476Wir lasen (auf Hebräisch!) Texte über die Geschichte des Tees und dessen Herstellung, über die Produktion von Olivenprodukten und über vieles andere mehr. Während der gesamten Kommunikation, war es in der Klasse verboten, Englisch zu reden. Das war eine ziemliche Herausforderung, aber auch total lohnenswert, weil wir wirklich viel gelernt haben.
Zu meinen Erlebnissen in der Klasse und im Land neben der Sprache gibt es aber auch sonst noch so manches zu erzählen. Es war sehr beeindruckend, wenn wir in unserer Klasse über ethische Themen diskutierten, beispielsweise darüber, ob es fördernd und gut sei, wenn in Jerusalem eine „Schwulenparade“ stattfindet. Dadurch, dass jeder von uns so unterschiedlich geprägt war, hinsichtlich der jeweiligen Gesellschaft, Kultur und Herkunft, bereicherten mich die Diskussionen sehr. Wir diskutierten über Charles Darwin, über die Frage des Tragens von religiösen Symbolen an Schulen, darüber, ob unsere Schulform in Klassen in unserer heutigen modern-digitalen Gesellschaft überhaupt noch Sinn macht, ob es sinnvoll ist, deutsches Bier zu trinken, wenn damit soziale Projekte gefördert werden, oder auch darüber, was die genaue Problematik von Beduinen in Israel ist, ob es sinnvoll ist, Agrarwirtschaft in Israel zu betreiben oder ob das Ganze nur politisch motiviert und inszeniert ist. Wir debattierten auch darüber, wie wir über die Waffengesetze in den USA denken, was die Ursachen der Wirbelstürme der USA sind und wie wir weltweit mit der Flüchtlingsfrage umzugehen haben. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Themenpalette, die wir miteinander diskutiert haben. Meine Auswahl soll verdeutlichen, wie vielschichtig und aufregend unsere Diskussionen in der Klasse gewesen sind, die im Anschluss nach dem Unterricht oftmals unter den ungefähr 45 deutschsprachigen Teilnehmern der Sommer-Uni fortgeführt wurden.
IMG_3488Über die sonstigen Vorlesungen, die nachmittags angeboten wurden, oder auch über die Exkursionen, die freitags in umliegende Gebiete von Beer Sheva von der Sommer-Uni aus für uns organisiert und durchgeführt wurden, möchte ich nichts schreiben. Dies alles kann in den vorherigen Berichten von Stipendiaten des Israelinstituts nachgelesen werden, da es sich mit dem, was ich erlebt habe, gut vergleichen lässt (Bert Görzen, Colin Bergen, Philipp Wiens). Was ich allerdings nun versuchen möchte, ist, an Einzelbeispielen zu skizieren, wie ich Israel und das dortige Leben im Alltag erlebt habe und kennen lernen durfte.
Ein Erlebnis beim Einkaufen: Eines Tages bin ich am Nachmittag in ein größeres Einkaufsgeschäft gegangen, um einige Dinge zu besorgen. Eine Frau mittleren Alters bemerkte an der Kasse, dass der ausgeschriebene Preis der Gurken ein anderer war, als sie dachte. Als sie sich beim Informationsposten lautstark darüber beschwerte, dass der Preis falsch ausgezeichnet wäre, und die dortige Person ihr zu versuchen erklärte, dass bei der Preisausschreibung unten noch etwas kleingeschrieben sei, das den höheren Preis erklärt, wurde sie immer lauter. Sie suchte schließlich nach Brillen im Supermarkt und rief den Leuten sinngemäß zu: „Wenn ihr hier Gurken kaufen wollt, dann kauft euch auch gleich eine Brille, sonst werdet ihr hier hinters Licht geführt!“ Naja, es ist für mich einfach eine etwas ungewohnte „kulturelle“ Art und Weise, mit Enttäuschungen umzugehen. Aber auch das ist Israel.
IMG_3469An der Kasse eines Supermarktes oder Geschäfts angekommen, war ich jedes Mal erneut verwundert, mit welch einer Seelenruhe, beinahe gemütlich-gelassen gearbeitet wurde. Nirgends kam auch nur annähernd das Gefühl auf, dass es jemand eilig haben könnte. Wenn eine Person, einen Einkauf tätigte, für eine vielleicht sechsköpfige Familie, wurde erst einmal alles in Kunststofftüten verpackt, alles in den Einkaufswagen gelegt und erst danach bezahlt, während die Menschen in der Warteschlange voller Geduld darauf warteten, selbst an der Reihe zu sein. Es ist einfach „anders“ als bei bekannten Supermarktketten hier zu Lande, wo man eher Angst haben muss, dass die Kassierer einem aufgrund der Hektik, schnell weiterkassieren zu müssen, das Geld beinahe aus dem Portmonee reißen.
IMG_3471Als ich dann nach dem Einkauf in der Hitze meine restlichen Sachen vom Einkaufswagen in meinen Rucksack verstaute, kam ein sephardisch-dunkelhäutig aussehender Angestellter auf mich zu, der dafür verantwortlich war, dass die Einkaufswägen an Ort und Stelle zurückgeschoben werden, damit es außerhalb des Ladens ordentlich aussieht. Er meinte: „Mein Lieber, ist alles gut bei dir? Kann ich dir irgendwie helfen?“ Vermutlich wunderte er sich, dass ich meine restlichen Sachen in der Hitze einpackte. Ich sagte ihm, dass alles gut sei und bedankte mich für seine Hilfe. Worauf er erwiderte: „Bleibe gesund, und Dir noch einen schönen Tag!“ Ich finde, dass gerade solche Erlebnisse dieses Land auszeichnen, eben diese kleinen, aber doch wertvollen Momente, die ich in solcher oder ähnlicher Form wirklich äußerst selten, wenn denn überhaupt, in Deutschland erlebt habe. Israel ist anders. Und das war für mich oft sehr bereichernd!
IMG_3491Für mich stehen diese Erlebnisse sinnbildlich für einzelne Gesichtspunkte der Mentalität in der israelischen Gesellschaft. Israelis sind sehr direkt, und mitunter kommunizieren sie Probleme recht lautstark und direkt vor Ort. Sie lassen sich dennoch nicht so schnell stressen, wie ich das bei uns in Deutschland kenne. Vermutlich hat das bei den Angestellten auch etwas mit den niedrigen Löhnen zu tun, nicht mehr zu machen, als nötig. Alle sind jedenfalls meiner Erfahrung nach meistens sehr nett und hilfsbereit.
Die letzte Woche meines siebenwöchigen Aufenthaltes in Israel verbrachte ich im Beit Skandinavia, einem Haus in Haifa, das von norwegischen Christen geleitet wird. Dort hatte ich viele intensive Gespräche mit Christen und Juden aus Israel und von anderen Kontinenten der Welt. Vor allem ging es dabei um Politik, Religion und die kulturellen Unterschiede der einzelnen Länder. Auch war es mir möglich, in Haifa an einem Gottesdienst einer messianisch-jüdischen Gemeinde teilzunehmen. Alle diese vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse waren so wertvoll für mich, ich möchte sie auf keinen Fall missen!
IMG_3609Ich bedanke mich herzlichst bei den Personen vom Israelinstitut in Gießen (www.israelogie.de), die mir das Stipendium zur Teilnahme an der Sommer-Universität 2015 in Beer Sheva ermöglicht haben! Dadurch konnte ich u.a. mein aktiv gesprochenes Hebräisch auffrischen und viel Neues über Israel und Israelis dazulernen. Mein Horizont in Bezug auf andere Kulturen und Denkweisen wurde außerdem stark erweitert und hier und da sogar konstruktiv korrigiert, insbesondere in Bezug auf die in Israel lebenden Minderheiten.
„Nächstes Jahr in Jerusalem?!“ – also, soweit es mich betrifft, ich bin jederzeit zu einem Israel-Trip wieder bereit! Und jeder, der Israel noch nicht kennt, dem empfehle ich, dieses Land der Bibel mit seiner heutigen multikulturellen Prägung, auch im politisch-religiösen Spannungsfeld des sog. „Nah-Ost-Konflikts“ zwischen Juden und Muslimen, unbedingt vor Ort kennenzulernen!“

(mr)

Bilder: privat@mr

Zurück