Der Steinmetz aus Haifa

Es gibt Situationen, mit denen man nicht rechnet. Situationen die zeigen, wie klein doch die Welt ist. Eine solche Situation hatten wir diesen Sommer in Israel: wir lernten einen israelischen Steinmetz kennen, der seine Ausbildung in der bayerischen Kleinstadt  gemacht hat, in der wir beide aufgewachsen sind.

Doch fangen wir am besten am Anfang an. Nachdem mein Mann und ich für unsere „Flittermonate“ sieben Monate in Israel verbracht hatten, packten wir in den letzten Semesterferien noch einmal unsere sieben Sachen und reisten zurück nach Israel, diesmal für sieben Wochen,  arbeiteten wieder in dem Gästehaus mit und erkundeten das Land.

An einem freien Tag nahmen wir den Bus nach Haifa und nach einem Spaziergang am Strand, Abkühlen in einem klimatisierten Einkaufszentrum, machten wir uns auf den Weg zur Deutschen Kolonie, die am Fuße der bekannten Bahai-Gärten liegt.

Die deutsche Kolonie in Haifa[1]

Die Deutsche Kolonie in Haifa wurde 1869 von den Templern gegründet. Die Templer gingen aus der pietistischen Bewegung hervor, hielten wenig von Dogmen und Bekenntnissen und wollten als lebendiger „Tempel“ ein Wohnraum für Gott sein. Die Bewegung erwartete den baldigen Weltuntergang und wollte daher für diese letzte Zeit nach Israel ziehen. Die Kolonie in Haifa war der erste Siedlungsstandort der Templer, dort bauten sie eine breite Straße außerhalb der Stadtmauern, an der sie ihre Häuser errichteten. Zu Beginn waren sie in der Landwirtschaft tätig, später eröffneten sie Gästehäuser für Pilger, arbeiteten als Handwerker, bauten Straßen aus und erweiterten das Transport- und Handelswesen. Beim Schlendern durch die Kolonie fallen die deutschen Bibelverse über den Haustüren auf und heute lassen die Restaurants und Cafés die deutsche Kolonie wieder aufleben.

Und genau dort standen wir mit Kamera in der Hand vor einem der halb zerfallenen Häuser, als uns von dem Balkon oben ein Mann irgendetwas zurief. Irgendetwas, war das Englisch oder Hebräisch, wir verstanden ihn nicht auf Anhieb. Er sprach uns erneut an, da stellten wir überrascht fest: das war ja Deutsch. Und genau darauf sprach er uns an, kaum mit Akzent fragte er: „Sprechen Sie Deutsch?“, „… können Sie lesen was da auf dem Haus steht?“. Bevor wir viel antworten konnten, verschwand er durch die Balkonöffnung im Haus und kurz danach stand er vor uns: „Wollt ihr reinkommen? Ich würd‘ eh grad‘ Pause machen“ – KLAR! Diese Gelegenheit wollten wir uns nicht entgehen lassen.

Zum Kaffee im Kolonialhaus

Kurz danach fanden wir uns im Inneren des Hauses wieder und der Mann führte uns in ein Zimmer mit Plänen an den Wänden, einem großen Kühlschrank und einem massiven Tisch mit drei Lederstühlen. Dort saßen wir dann für die nächste Stunde, unterhielten uns über Gott und die Welt, während er buntes Gemüse zerstückelte, eine Thunfisch-Dose öffnete und alles mit Mayonnaise mischte.

Jetzt konnten wir ihm ein paar Fragen stellen „Woher können Sie so gut deutsch?“ – und da zeigte sich wieder wie klein unsere Welt ist. Er erzählte von einem kleinen bayerischen Ort, in dem er seine Ausbildung gemacht hat und von einem Gasthaus, über dem er gewohnt hatte. Und ja, beides kannten wir sehr gut, in dem Gasthaus waren wir erst vor ein paar Jahren auf einer Hochzeitsfeier. Mit einem Augenzwinkern erzählte er von den älteren Stammgästen des Gasthauses, nannte ihre Namen und kritzelte ihre Namen auf einen Zettel, damit wir ihnen Grüße ausrichten sollen.

Er selbst ist Israeli, wuchs in Israel auf und würde sich eher als säkularen Juden bezeichnen – aber gleichzeitig kennt er die deutsche Kultur, arbeitet in Israel oft für deutsche Arbeitgeber, meist für Kirchen.

Er war sehr direkt und brachte Dinge auf den Punkt, wir waren für seinen Geschmack eher zu höflich. Am Anfang sagten wir öfter: „Wir wollen Sie nicht aufhalten“, er entgegnete daraufhin „wenn ich weiter machen muss, schmeiß ich euch schon raus“. Wir erzählten, dass wir Israel und die Leute hier so toll finden. Er war davon nicht sonderlich beeindruckt und sagte, dass es auch hier Blödmänner gibt. Wir bestaunten sein gesundes Mittagessen und fragten, ob alle Israelis so gesund essen. Er entgegnete, dass er sich gesund ernährt (nicht unbedingt alle Israelis), dass er aber während seiner Zeit in Deutschland ziemlich schnell zugenommen hatte. Für uns war es sehr erfrischend einen so ehrlichen Gesprächspartner zu haben, der nicht einfach unsere Pauschal-Aussagen bestätigte, sondern mit seiner Prise Realismus das Gespräch würzte.

Während dem Gespräch teilte er mit uns – wie mit altbekannten Freunden – seine Brotzeit, brühte starken türkischen Kaffee für uns und bot uns frische Pfirsiche an. Diese unkomplizierte Gastfreundschaft begeisterte uns und die Unterhaltung gab uns noch weitere Gedankenanstöße.

Dann kam doch der Punkt, an dem er uns offen sagte, dass er jetzt seine Pause beenden würde. Davor gab er uns aber noch eine Führung durch das Haus. Er führte uns auf den Balkon und erklärte uns dort seinen Arbeitsplatz, bei dem wir auch Bosch-Maschinen entdeckten. Als Steinmetz arbeitet er sehr detailliert und ersetzt die einzelnen kaputte Mauersteine – er erklärt, dass sein Pluspunkt seine Genauigkeit ist, die von seinen Arbeitgebern geschätzt wird.

Wir machten noch ein Selfie mit dem Steinmetz auf dem besagten Balkon, tauschten die Handynummern aus und er brachte uns zur Hintertür raus. Kurz darauf standen wir wieder auf der Hauptstraße der Deutschen Kolonie und schlenderten weiter. Aber jetzt irgendwie anders. Manchmal besucht man Orte einfach als Tourist, sieht Sehenswürdigkeiten, aber dann geht man wieder – oft nicht unbedingt anders als man gekommen ist. Aber Begegnungen mit den Leuten, die dort wohnen und arbeiten, verändern das eigene Denken und schaffen wirkliche Erinnerungen.

Kaffee Teil zwei, ab nach Jerusalem

„Wenn ihr Zeit habt, kommt doch mal in der Dormitio Kirche in Jerusalem vorbei, da arbeite ich in den nächsten Wochen“ – diesen Satz hatte der Steinmetz noch kurz vor der Verabschiedung gesagt. Ein paar Wochen später schrieben wir ihn an, ob wir ihn spontan besuchen könnten. Er sagte zu, mit dem Vorbehalt, dass zurzeit viel zu tun sei, weil es Missverständnisse gab und er seine Arbeit für zwei Wochen nun in einer Woche schaffen müsse.

Einen Tag später, nach 15 Minuten Stau im Bus vor der Altstadt und 20 Minuten zu Fuß, drängelten wir uns zusammen mit spanischen Reisegruppen zum Eingang der Dormitio Abtei. Als wir dem Steinmetz schrieben: „Wir sind jetzt da“, kam zurück „Stehe noch auf dem Kran, komm gleich runter“.

Schon kam er um die Ecke, mit Arbeitsanzug, staubigen Händen und außer Atem: „Gehen wir“. Er steuerte auf das Cafe neben der Kirche zu, sprach die Bedienung auf Deutsch an und bestellte Cappuccino für uns drei – bevor wir etwas sagen konnten, wurden wir also wieder eingeladen :-).

Hinterhof der Dormitio-Kirche (Arbeitsplatz des Steinmetzes)

Wir setzten uns auf die stoffüberzogenen Stühle und schlürften unseren Kaffee. Diesmal drehte sich unser Gespräch um Kirchen. Er arbeitet hier an der Außenwand der Kirche um Einschusslöcher aus den letzten Kriegen auszubessern. An dem Punkt erklärt er uns das Denken der Christen: „Eigentlich sieht ja keiner diese Seite der Kirche, aber Christen wollen jedes kleine Detail der Kirche für Gott schön machen, weil er ja jede Stelle sieht“. Spannend, das hätte ich gar nicht gewusst. Dann spricht er uns auf die Unterschiede von katholischen und evangelischen Kirchen an und bemerkt, dass er es schade findet, wenn Kirchen zu viel Wert auf die Kirchen-Gebäude legen. Er schätzt hier den Ansatz der evangelischen Kirche, die auch öfter moderne und schlichte Gebäude hat, weil es ja mehr um die Menschen in der Kirche geht. Danach stellte er noch Fragen wie: „Bei euch gab es doch die Reformation, oder?“ – für uns war es eine besondere Erfahrung, Christsein aus Sicht eines säkularen Juden beschrieben zu bekommen.

Jerusalem ist – krass

Am Ende kamen wir auf das Thema Jerusalem zu sprechen. Wir als begeisterte Israel-Erkunder erklärten wie faszinierend wir diese Stadt finden, übersät mit Sehenswürdigkeiten und voller spannender Orte. Er entgegnete: „Ja, diese Stadt ist krass.“, wir fragten nach, wie er das meint. Er entgegnete: „Krass im negativen Sinn, hier ist Krieg.“ Mit der Antwort hätten wir nicht gerechnet. Aber es lohnt sich, über seine Sicht nachzudenken: Jerusalem nicht nur als spannenden Ort für Gläubige wahrzunehmen, sondern auch als Ort mit größten Spannungen der Menschen untereinander, Spannungen die schon Jahrhunderte andauern.

Irgendwann war das zweite Treffen aber auch vorbei und der Steinmetz musste wieder an seine Arbeit. Wir verabschieden uns: „Bis bald – vielleicht hier oder in Deutschland“.

Ein Steinmetz, zwei Treffen und ganz schön viele Gedankenanstöße. Für uns war die Begegnung mit dem Steinmetz wirklich ein Highlight unserer Israel-Zeit.

 

JB

(Bilder privat)

 

 

 

 

[1] vgl. https://www.philhist.uni-augsburg.de/lehrstuehle/volkskunde/Exkursionen/Israel/Haifa-Templer/

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