„Jacob´s Younger Brother“ – ein aktueller Beitrag zur christlich-jüdischen Verständigung

Hardcover - Jacob´s Younger Brother

Hardcover – Jacob´s Younger Brother

Am 25. November lud die Universität Gießen im Rahmen des DFG-geförderten Projekts „Seeing Antisemitism Through Law: High Promises or Indeterminacies?“1„The DFG funded project “Seeing Antisemitism Through Law” aims to unpack how law confronts antisemitism in Europe and beyond. Led by Prof. Dr. Thilo Marauhn and Dr. Reut Paz, the research team embarks on a compara-tive analysis of law combatting antisemitism in four European countries and at the international level. In particular we aim to provide insights into the extent to which court rulings are (in-) adequate to address antisemitism in Germany, Poland, France and in the United Kingdom. In this context, we organize the Abraham Bar Menachem (ABM) talks on various aspects of our research“ retrieved from https://www.uni-giessen.de/en/faculties/01/facultydep/liszt/satl/itroduction, 11.12.2022, 20:00 unter Leitung von Dr. Reut Paz2Dr. Reut Paz: israelische Wissenschaftlerin, die sich auf Völkerrecht, Europarecht, internationale Beziehungen und Rechtsgeschichte spezialisiert hat. zu einer besonderen Veranstaltung ein: Die Professorin Karma Ben-Johannan gab einen Einblick in ihr neues Buch „Jacob’s Younger Brother: Christian-Jewish Relations after Vatican II“. Dieser Titel und der Hintergrund der Veranstaltung weckten schnell mein Interesse – auch, wenn ich mich mit dem Zusammenhang zwischen dem zweiten Vatikanischen Konzil und christlich-jüdischen Beziehungen noch nicht besonders gut auskannte.

 

Die Sprecher des Vortrages, Prof. Dr. Elad Lapidot, Professor für Jüdische Studien an der Universität von Lille und Professorin Karma Ben-Johannan, Autorin des Buches und Inhaberin des Lehrstuhls für jüdisch-christliche Beziehungen an der Theologischen Fakultät der HU Berlin, waren extra für die Veranstaltung angereist.

 

Ben-Johannan leitete ihren Vortrag mit einem Bekenntnis ein: die Schwäche ihres Buches sei im Kern, dass es eher israelisch sei – sehr nüchtern und naiv – zu viele der Schwierigkeiten, Verwundbarkeiten und die Spannung im jüdisch-christlichen Dialog lägen weiterhin unter der Oberfläche. Jedoch gaben ihre Ausführungen über Struktur und Inhalt des Buches Aufschluss darüber, worum es ihr eigentlich in ihrem Werk geht.

 

In „Jacobs Younger Brother“ werden die Folgen der neu geschaffenen Verhältnisse jüdisch-christlicher Beziehungen nach dem zweiten Vatikanischen Konzil3Das Zweite Vatikanische Konzil, Oktober 1962-Dezember 1965, hatte zum Ziel, die Strukturen der Kirche zu re-formieren und den Weg für die Einheit der Christen zu ebnen, hier lag der Fokus auf dem Dialog (weniger auf Dekreten) beleuchtet, das die Juden indirekt vom Vorwurf des Gottesmordes freisprach und erklärte, das jüdische Volk sei nicht von Gott verworfen worden.

Die zeitgenössische rabbinische Literatur, die die Grundlagen der Recherchen zum Buch darstellt, zeigt, dass die jüdischen Sprecher zwar die Verurteilung des Antisemitismus von katholischer Seite begrüßten, jedoch einer erzwungenen Freundschaft durch die Kirche eher abgeneigt gegenüberstanden.

Es wurde dennoch öffentlich für den interreligiösen Dialog geworben, allerdings blieben die Zweifel an dieser Stelle in beiden Kreisen, wie Ben-Johannan schreibt, „hinter verschlossenen Türen“ bestehen. In ihrem Buch deckt die Autorin nun die verborgenen Seiten des interreligiösen Dialoges auf und beschreibt sogar Gespräche der orthodoxen Rabbiner und katholischen Amtsträger übereinander. Dabei führt sie aus, dass die jüdische Gemeinschaft die neuen Ansichten der Kirche nur widerwillig akzeptierte, da diese über Jahrhunderte hinweg die Bedingungen der jüdisch-christlichen Beziehungen festgelegt hatte.

 

Die Autorin zeigte in ihrem Vortrag die Struktur von „Jacobs Younger Brother“ auf, die sich in zwei Abschnitte teilt. Der erste behandelt die Rolle des Judentums innerhalb der katholischen Theologie im Blick auf historisch-theologische Veränderungen, auch nach dem zweiten Vatikanischen Konzil, und die Ansichten zweier Päpste: Johannes Paul II4von 1978 – 2005 Papst der römisch-katholischen Kirche und Joseph Ratzinger.5Benedikt XVI, Pabst der römisch-katholischen Kirche 2005-2013

Für Ben-Johannan soll in diesem Teil hervorgehoben werden, woraus unser Dialog heute eigentlich besteht und welche neuen Traditionen sich seit damals weiterentwickelt haben (zum Beispiel, dass das Neue Testament heute nicht mehr anti-jüdisch gelesen werden würde).

Der zweite Teil des Buches beleuchtet die Rolle des Christentums in der jüdischen Tradition und schließt mit einem Kapitel über Sichtweisen der orthodoxen Juden und dem christlich-jüdischen Dialog.

 

In ihrem Vortrag sprach Ben-Johannan davon, dass ihr besonders eine allumfassendere Analyse des jüdischen Diskurses und der jüdisch-orthodoxen Sichtweisen wichtig geworden sei. Einer ihrer Beobachtungen war, dass beide Seiten auf ihre jeweilige Art mit der Geschichte umgingen und dass ein Ablegen dieser Perspektiven kompliziert sei.

 

Nach der Vorstellung ihres Buches gab Karma Ben-Johannan das Wort weiter an Prof. Dr. Elad Lapidot, der bei der Review ihres Buches Unterstützung geleistet hatte.

Er betonte in seinen Ausführungen eine grundsätzliche Wahrnehmung: Christen forderten zwar nach dem Zweiten Weltkrieg den Dialog mit der jüdischen Religion, jedoch mussten erst der Krieg an sich, wie auch der Rückzug von den vergangenen Geschehnissen und Feindschaften verarbeitet werden. Die Juden befreiten sich damals von christlichen Machtstrukturen und gründeten ihren eigenen Staat6Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina und Ben Gurion rief den Staat Israel aus. .

An dieser Stelle stellte Lapidot zwei Reflexionsfragen, die auch im Buch behandelt werden: Welche Bedeutung hat das Christentum eigentlich genau für jüdisch-orthodoxe Menschen? Wie wird diese Gemeinschaft unter ihnen abgebildet und ist deren Bild von Christen, die Abbildung dieser Glaubensrichtung in ihren Gedanken überhaupt authentisch? Diese Fragen ließ Lapidot stehen, er verwies allerdings auf das siebte Kapitel des Buches, in dem diese Fragestellungen Platz gefunden hätten.

 

In ihren abschließenden Worten, die in die Diskussion zum Buch überleiteten, ging Ben-Johannan noch einmal auf den problematischen Ansatz ein, dass Juden in der christlichen Theologie oftmals als „theologische Figuren“ mit ihrer eigenen Funktion innerhalb christlicher Geschichte gesehen werden würden. Hier betont sie noch einmal, dass die Geschichte des Judentums nicht mit Abschluss des Neuen Testamentes ende.

 

Meine anschließende, mehr persönliche Reflexion des Vortrags machte mir deutlich, wie wichtig gerade auch theologische Schlüsselereignisse, wie das zweite Vatikanische Konzil, sind und wie Perspektiven der jüdisch-orthodoxen Tradition für unser Nachdenken über den christlich-jüdischen Dialog wegweisend sein können, natürlich auch als Herausforderung, die jedoch ein deutlich größeres Potenzial für ein neues Wahrnehmen der jeweils „anderen Seite“ besitzt.

 

Das Buch „Jacobs Younger Brother“ von Karma Ben-Johannan ist auf Harvard University Press erhältlich.

 

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    „The DFG funded project “Seeing Antisemitism Through Law” aims to unpack how law confronts antisemitism in Europe and beyond. Led by Prof. Dr. Thilo Marauhn and Dr. Reut Paz, the research team embarks on a compara-tive analysis of law combatting antisemitism in four European countries and at the international level. In particular we aim to provide insights into the extent to which court rulings are (in-) adequate to address antisemitism in Germany, Poland, France and in the United Kingdom. In this context, we organize the Abraham Bar Menachem (ABM) talks on various aspects of our research“ retrieved from https://www.uni-giessen.de/en/faculties/01/facultydep/liszt/satl/itroduction, 11.12.2022, 20:00
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    Dr. Reut Paz: israelische Wissenschaftlerin, die sich auf Völkerrecht, Europarecht, internationale Beziehungen und Rechtsgeschichte spezialisiert hat.
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    Das Zweite Vatikanische Konzil, Oktober 1962-Dezember 1965, hatte zum Ziel, die Strukturen der Kirche zu re-formieren und den Weg für die Einheit der Christen zu ebnen, hier lag der Fokus auf dem Dialog (weniger auf Dekreten)
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    von 1978 – 2005 Papst der römisch-katholischen Kirche
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    Benedikt XVI, Pabst der römisch-katholischen Kirche 2005-2013
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    Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina und Ben Gurion rief den Staat Israel aus.

 

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    „The DFG funded project “Seeing Antisemitism Through Law” aims to unpack how law confronts antisemitism in Europe and beyond. Led by Prof. Dr. Thilo Marauhn and Dr. Reut Paz, the research team embarks on a compara-tive analysis of law combatting antisemitism in four European countries and at the international level. In particular we aim to provide insights into the extent to which court rulings are (in-) adequate to address antisemitism in Germany, Poland, France and in the United Kingdom. In this context, we organize the Abraham Bar Menachem (ABM) talks on various aspects of our research“ retrieved from https://www.uni-giessen.de/en/faculties/01/facultydep/liszt/satl/itroduction, 11.12.2022, 20:00
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    Dr. Reut Paz: israelische Wissenschaftlerin, die sich auf Völkerrecht, Europarecht, internationale Beziehungen und Rechtsgeschichte spezialisiert hat.
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    Das Zweite Vatikanische Konzil, Oktober 1962-Dezember 1965, hatte zum Ziel, die Strukturen der Kirche zu re-formieren und den Weg für die Einheit der Christen zu ebnen, hier lag der Fokus auf dem Dialog (weniger auf Dekreten)
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    von 1978 – 2005 Papst der römisch-katholischen Kirche
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    Benedikt XVI, Pabst der römisch-katholischen Kirche 2005-2013
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    Am 14. Mai 1948 endete das britische Mandat über Palästina und Ben Gurion rief den Staat Israel aus.