Hightech-Wunder Israel
Der morgendliche Weg zur Arbeit kann zum Alptraum werden, wenn hinter jeder Straßenkreuzung eine neue, unangenehme Überraschung wartet: ein Unfall, eine Baustelle oder starker Verkehr, weil sich auch andere Autofahrer für diese Ausweichstrecke entschieden haben. Nach dem Motto „Gemeinsam schlauer als der Stau“ hat ein israelisches Unternehmen eine Navigationssoftware entwickelt, um genau für solche Situationen eine Lösung zu schaffen.
Waze, so der Name der kostenlosen Smartphone-Software (App), reichert Straßenkarten mit vielen Daten von Nutzern an. Einmal nutzt Waze die GPS-Daten der Nutzer, um das Verkehrsaufkommen zu berechnen und kann so zu jedem Zeitpunkt die schnellste Strecke zum Ziel ermitteln – deutlich genauer als andere Systeme, die höchstens Erfahrungswerte vom generellen Verkehrsaufkommen einfließen lassen. Das System berechnet dazu die Geschwindigkeit, mit der sich das Fahrzeug fortbewegt, anhand der regelmäßigen Updates in Sekundenabständen. Liegt die Fahrgeschwindigkeit unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, so befindet sich der Fahrer im Stau. Eine clevere Idee aus Israel, denn ein Israeli würde nie aus anderen Gründen als einem Verkehrsstau langsamer fahren als erlaubt.
Die wahre Innovation liegt aber darin, dass alle App-Nutzer per Knopfdruck melden können, wenn sich ein Hindernis auf der Straße befindet, diese gar völlig blockiert ist oder sich ein Stau bildet. Über die GPS-Daten werden die Meldungen dann auch allen anderen Nutzern angezeigt. Aber, was noch besser ist, das Navigationssystem ändert auf Grund solcher Daten auch die berechnete Route, sodass jederzeit die optimale Streckenführung ausgewählt wird. 50 Millionen Menschen weltweit erfreuen sich schon an dem smarten Produkt aus Israel.
Es ist eine der vielen Erfolgsgeschichten von Unternehmensgründungen in der Hightech-Branche aus dem kleinen Staat im Nahen Osten. Sogar Bill Gates bestätigt: “Israel ist, nach mehreren Messweisen, das Land, das im Vergleich zu seiner Einwohneranzahl am meisten zur technischen Revolution beigetragen hat“. So findet sich etwa die weltweit höchste Dichte an Hightech-Start-Ups in Israel und das Land zieht pro Kopf 30 Mal mehr Direktinvestoren an als Europa.
Auch an das 2008 gegründete Unternehmen Waze glaubten einige finanzkräftige Investoren. Zu ihnen gehörten der weltweit größte Softwarehersteller Microsoft, der sich 2011 mit 25 Millionen US-Dollar beteiligte, sowie im gleichen Jahr Milliardär Li Ka-Shing, der reichste Mann Chinas. Er investierte 30 Millionen Dollar in das junge Unternehmen.
In ihrem Buch „Start-up Nation Israel: Was wir vom innovativsten Land der Welt lernen können“ fragen Dan Senor und Saul Singer nach Gründen für die Erfolgsgeschichte des Landes. „Die Staatsgründung selbst kann als Existenzgründungsprojekt gesehen werden, die Pioniere, die in das Land kamen […] haben ein großes Risiko auf sich genommen. Sie kamen an einen Ort, der nicht viele natürliche Ressourcen hat, wo starke Bedrohungen von Außen existieren, aber sie hatten eine große Vision: Ein erfolgreiches Land aufzubauen. Das bedeutet, dass die Menschen von der Staatsgründung an große Erfahrung darin hatten, Risiken einzugehen“, resümiert Meir Brand, regionaler Direktor von Google Israel, Griechenland und Südafrika.
Ergänzt wird diese für Unternehmensgründungen so entscheidende Risikobereitschaft durch die Erfahrungen, die jeder Israeli (drei Jahre) und jede Israelin (zwei Jahre) im Militär sammle. Dort lerne man zum einen, Verantwortung zu übernehmen, mit unvollständigen Informationen schnell und gleichzeitig gewissenhaft Entscheidungen zu übernehmen, so der Autor Dan Senor. Zudem besitzen die meisten der 20- bis 21-Jährigen nach ihrer Militärzeit bereits Führungserfahrung und werden deshalb nach einem Universitätsabschluss auch gerne von ausländischen Unternehmen eingestellt.
Der Staat unterstützt Innovationen ebenfalls auf vielfältige Weise. Israel investiert mit 4,7% mehr von seinem Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung, als jedes anderes Land der Welt, berichtet Dan Senor weiter. Zudem gibt es Programme, wie das viermonatige Mentorenprogramm IDC Elevator, das junge Unternehmer auf ihrem Karriereweg begleitet. Büroräume werden während der Zeit des Mentorings genauso zur Verfügung gestellt, wie eine Flug nach Amerika plus ein Training, wie man dort Investoren gewinnen kann. Und die Innovationskraft der jungen Israelis zieht wiederum die großen Unternehmen der IT-Branche an. Microsoft, Google, Intel, Cisco Systems, sowie der deutsche Softwarehersteller SAP haben bereits Forschungszentren zur Entwicklung neuer Software in Israel. Besonders im Großraum Tel Aviv siedeln sich IT-Unternehmen an und werden neue Firmen gegründet.
63 israelische Unternehmen sind bereits an der amerikanischen Technologie-Börse Nasdaq gelistet. Das sind mehr als aus Europa, Japan, China, Korea und Indien zusammen. Und die Zahl der Unternehmensgründungen nimmt stetig zu. Laut einer Studie von Telefónica Digital und Startup Genome 2012, bietet nur das US-amerikanische Silicon Valley eine bessere Umgebung für ein IT Start-Up als Tel Aviv. Mit ihren bereits 600 Start-Ups liegt die innovative Stadt am Mittelmeer dicht dahinter und bietet neben den durchdachten Förderungen für Jungunternehmer ein kreatives Arbeitsumfeld, sowie viele Austauschmöglichkeiten mit Gleichgesinnten. „In Tel Aviv lacht dich keiner aus“, titelte dazu der Karriere-Spiegel im Februar diesen Jahres.
Die Treffen der Garage Geeks zählen zu solch informellen Austauschmöglichkeiten, aber auch große, internationale Konferenzen wie Digital Life Design bieten Chancen zum Networking. Mit der Kampagne Global City Tel Aviv möchte die Stadt nun ihre Förderungsmöglichkeiten noch einmal erweitern und besonders jungen Talenten aus dem Ausland den Einstieg in Tel Aviv erleichtern. Dafür wurde ein eigenes Visum für Unternehmensgründer eingeführt. Da vielen Gründern noch das Kapital für eigene Büroräume fehlt, bietet die Stadt auch Gemeinschaftsarbeitsräume („Co-Working-Space“) für vier Monate an. In der sogenannten „Library“ im Shalom Tower stehen für bis zu zehn Start-Ups Arbeitsplätze für etwa 150 € pro Person und Monat zur Verfügung.
Avner Warner, Wirtschaftsdirektor der Kampagne Global City Tel Aviv, erklärt das Innovationspotential seines Landes so: „Israel ist ein sehr junges Land. Wir haben keine alteingesessene Industrie wie die Autoindustrie. Israel hat die neuen Chancen genutzt.“ Viele Hightech-Unternehmen in Tel Aviv haben es bereits geschafft und Produkte entwickelt, die aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken sind. Dazu gehören der ICQ-Messenger, WLAN-Technologien sowie der USB-Stick.
Auch das Unternehmen Waze dürfte den Durchbruch geschafft haben. Ende Mai 2013 wurde bekannt, dass Facebook plante, die Software für eine Millarde zu kaufen. Das wäre der größte Zukauf geworden, den Facebook bisher getätigt hat. Zudem verdeutlichte das Interesse von Google und Apple an dem israelischen Unternehmen seinen Marktwert. Anfang des Jahres sei eine Übernahme durch Apple, dessen eigene Navigationssoftware große Schwierigkeiten aufwies, an der gebotenen Summe gescheitert. Google und Facebook sollen sich nun sogar gegenseitig überboten haben, um das Unternehmen zu kaufen. Aber im Mai lehnte Waze die von Facebook gebotene Summe genauso ab, wie das nur halb so hohe Angebot von Apple im Januar. Begründung: Das Waze-Team war gegen einen Umzug in die kalifornische Zentrale von Facebook. Sie wollten lieber in Israel bleiben.
(wr)
Quellen:
http://www.heise.de/tr/artikel/Navigation-im-Schwarm-1183752.html
http://www.haaretz.com/business/israeli-start-up-waze-draws-investment-from-chinese-billionaire-1.390885
http://www.spiegel.de/karriere/ausland/gruenderboom-in-tel-aviv-die-junge-kreative-szene-beweist-mut-a-882653.html
http://mappedinisrael.com/
http://www.n-tv.de/wirtschaft/Facebook-scheitert-mit-Mega-Deal-article10731186.html
http://www.cio.de/news/wirtschaftsnachrichten/2908876/
http://allthingsd.com/20130529/facebook-acquisition-talks-with-waze-fall-apart