Ein neues Herz und ein neuer Geist – Hes 36,26 im gesamtbiblischen Kontext

Ein Gastbeitrag von Tobias Krämer

 

Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz

und lege einen neuen Geist in euch.

(Hes 36,26)

Hesekiel ist ein „harter Brocken“. Sowohl die Person, als auch das biblische Buch. Mit 48 Kapiteln gehört Hesekiel zu den großen Schriftpropheten. In Kap 1-39 finden sich nicht enden wollende Gerichtsansagen, in Kap 40-48 die detailgetreue Schilderung einer großen Tempelanlage. Das ist nicht gerade das, was man „erbaulich“ nennt. Doch mitten drin findet sich auch die Verheißung aus Hes 36,26. Das überrascht.

 

Der düstere Hintergrund: Gerichtsankündigungen

Hesekiel wirkt an der Schwelle zum babylonischen Exil. Vermutlich ist er der letzte Mahner jener Zeit. Hesekiel versucht zu retten, was zu retten ist (Kap. 7), doch das Gericht wird kommen. Alle Fürbitte ist vergeblich, nichts und niemand kann Gott von seinem Entschluss abbringen (Kap. 9 und 14). Hesekiel kritisiert Juda, das „Haus des Widerspruchs“, frontal. Und er unterstreicht seine Botschaft mit drastischen Mitteln:

  • Hesekiel muss 390 Tage in aller Öffentlichkeit auf einer Seite liegen, um zeichenhaft „die Schuld des Hauses Israel zu tragen“, und dabei in Mist gebackenes Brot essen. Anschließend erfolgt ähnliches im Blick auf Juda. Das ist scheußlich, eklig und schindet den Körper – und wird gerade so zum Zeichen der Mahnung. (Kap. 4)[1]
  • Hesekiel sieht in einer Vision, wie die Herrlichkeit Gottes, Jahwes kabod (כְּבֹוד־יְהוָה֙) den Tempel verlässt (Kap. 10). Damit hat Gott seinen Wohnort aufgegeben und zieht mit seinem Volk ins Exil, während die Babylonier kommen und Jerusalem zerstören. 586 v. Chr. ist dies denn auch geschehen.
  • Hesekiel vergleicht Israel und Juda mit zwei Schwestern, die Hurerei betreiben. Hurerei ist ein Bild für den Abfall von Gott („sie huren von ihrem Gott weg“). Die Geschichte dieser Hurerei erzählt Hesekiel so realistisch, dass man die Texte kaum im Gottesdienst verlesen kann. Bewusst will er Juda die Schamröte ins Gesicht treiben. (Kap. 23)
  • Hesekiel wird seine Frau genommen und er darf nicht einmal trauern. Denn die kommenden Zeiten werden für Juda so schlimm sein, dass keine Kraft zum Trauern mehr bleiben wird. Hesekiel nimmt dies vorweg – und wird so „zum Wahrzeichen“ für Israel. (Kap. 24)

Der salomonische Tempel wurde 586 v.Chr. von den Babyloniern zerstört. Der zweite Tempel reichte in seiner Erscheinung nicht an den ersten heran und auch er wurde 70 n.Chr. von den Römern zerstört. (Bild: Gavin Kadey auf pixabay.com)

All das liest sich hart und das ist es auch. Doch nicht nur Juda ist im Fokus des Gerichts Gottes. Auch Ammon, Moab, Edom, die Philister, Tyrus, Sidon und Ägypten hat Gott im Visier (Kap. 25-32). Die ganze Welt ist offenbar tief in Schuld verstrickt. Die Folge: Gericht „soweit das Auge reicht“. Das ist bedrückend, das ist schlimm. Dabei geht es jedoch nicht darum, dass Gott „Dampf ablässt“ oder gar Rache übt. Gottes Ziel ist ein positives: Leben! Dies unterstreicht Hes 18,23:

Sollte ich wirklich Gefallen haben am Tod des Gottlosen, spricht der Herr, HERR,

nicht vielmehr daran, dass er von seinen Wegen umkehrt und lebt?

 

Licht am Ende des Tunnels: Heilsperspektiven

Gott ist ein Gott des Lebens. Deshalb gibt er Israel seine Tora – Anweisung zu einem gelingenden Leben. Nicht umsonst sagt der Psalmist: „Du tust mir kund den Weg zum Leben“ (Ps 16,11). Wo Israel von diesem Weg abweicht, reagiert Gott mit dem Ruf zur Umkehr, ja mit Gericht. Denn Gott will das Leben. Leben ist das Ziel, Umkehr ist der Weg dorthin, Gericht ist Gottes Hilfsmittel dazu. Das aber heißt im Umkehrschluss: Gottes Gericht über Israel hat nicht das letzte Wort. Es ist nur Mittel zum Zweck. Am Ende steht Heil für Israel!

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Der Gott Israels ist ein Gott des Lebens!

In diesen Zusammenhang gehört Hes 36,26. Nach der wechselhaften Geschichte Israels kündigt Gott etwas grundsätzlich Neues an: eine umfassende Wiederherstellung Israels. Gott wird sein Volk aus der ganzen Welt zurückholen (äußere, nationale Wiederherstellung), und er wird es von innen heraus erneuern (innere Wiederherstellung). Beides verheißt Gott. Es wird seinWerk an und mit Israel sein. So sagt es die Hes 36,26 in seinem Kontext (Hes 36,24-28). Der Text:

24 Ich will euch aus den Völkern herausholen und euch aus allen Ländern sammeln und wieder in euer Land bringen,25 und ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet; von all eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. 26 Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. 27 Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun. 28 Und ihr sollt wohnen im Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, und werdet mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.[2]

Der Text läuft stringent vom Status quo Israels (Zerstreuung) auf Gottes Ziel mit Israel (Wiederherstellung) zu. Dies geschieht in drei Schritten:

  1. Gott sammelt sein Volk aus aller Welt und führt es zurück nach Israel. Verheißen wird eine weltweite Alija-Bewegung, wie sie in heutiger Zeit vor unseren Augen geschieht. (24)
  2. Gott reinigt sein Volk. Er gibt Israel seinen Geist, der die Herzen erneuert, so dass Israel von innen heraus Gottes Weisungen folgen wird. (25-27. In diesem Kontext steht Vers 26)
  3. Als Ergebnis wird Israel in seinem Land wohnen und Gott von Herzen dienen. Im Originalton Gottes: „Ihr werdet mein Volk sein und ich will euer Gott sein“. Diese Formel kommt bei den Propheten öfters vor und zeigt an: Das Ziel Gottes mit Israel ist erreicht! (28)

 

Hes 36,26 – ein Wort für Christen?

Spätestens an dieser Stelle kann man fragen, was Hes 36,26 mit uns Christen zu tun hat. Auf den ersten Blick rein gar nichts. Dennoch wird dieses Wort zu Recht von christlichen Kreisen gehört. Denn just an dieser Stelle, die von der Erneuerung der Herzen durch den Heiligen Geist spricht, hat Gott auch den Nichtjudenden (Heiden) Zugang zu seinem Heilswirken eröffnet. Das war damals eine Sensation!

Vom Garten Gethsemane aus kann man auf das sog. Goldene Tor blicken, durch das nach jüdischer Tradition der Messias in die Stadt einziehen wird. Nach christlicher Überlieferung soll Jesus durch dieses Tor ich Jerusalem eingezogen sein, was an Palmsonntag gefeiert wird. (Bild: privat)

Wir erinnern uns: Nachdem an Pfingsten der Heilige Geist ausgegossen worden war, haben die frühen Jesusgläubigen (allesamt Juden) die Erfahrung gemacht, dass der Heilige Geist für alle da ist. Auch für Nichtjuden. Anfänglich erschien ihnen dies gewöhnungsbedürftig, ja fragwürdig, doch zuletzt lobten sie Gott darüber und waren begeistert (Apg 10f). Daran knüpft später Paulus an und lehrt die Jesusgläubigen systematisch, aus dem Heiligen Geist heraus zu leben (Röm 8; Gal 5). Was für ein Geschenk!

Doch schon bald entstanden Missverständnisse. Manche verwechselten die Freiheit im Heiligen Geist mit Beliebigkeit. Ihnen ruft Paulus zu: „Wandelt im Geist und ihr werdet das fleischliche Begehren nicht erfüllen!“ (Gal 5,16) Für Paulus war klar, dass der Geist gegeben worden war, um nach Gottes Weisungen zu leben, denn das bedeutet Leben. Geist und Tora widersprechen sich nicht. Sie weisen nach Paulus in dieselbe Richtung, sie stimmen überein (Gal 5,14.23).

Doch damit nicht genug. Wer heute als Christ das Wirken des Geistes, wie es Hes 36,26 beschreibt, an sich erleben darf, der hat allen Anlass, die Erfüllung dieser Verheißung auch für ihre Adressaten (also für Israel!) zu erwarten. Das sollte selbstverständlich sein. Dies ist vom Text her aber nur möglich, wenn man sich die Gesamtperspektive von Hes 36 zu eigen macht: Die umfassende Wiederherstellung Israels. Sie ist in der Bibel verheißen und gehört somit zum Glaubensgut der Gemeinde Jesu. Sie sollte in den Herzen und Gebeten von Christen lebendig sein.

 

Tobias Krämer,

Christen an der Seite Israels

 

[1] Hesekiel ist nicht nur ein Prophet für das Südreich Juda, in dem er wirkt. Auch das längst vergangene Nordreich Israel ist im Blick. So wird Hesekiel zu einem Propheten für Gesamt-Israel.

[2] Illustriert wird die Wiederherstellung Israels anschließend durch die bekannte Vision von einem „Knochenfeld“, das lebendig wird (Hes 37).

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