Das bewegende Schicksal eines Juden – eine Filmrezension zum Klassiker „Hitlerjunge Salomon“ (1990) von Agnieszka Holland

Nach über 40 Jahren des Schweigens gibt der Jude Sally Perel (1925*), eigentlich Salomon Perel, das Geheimnis seiner doppelten Identität preis: Er entkam dem Holocaust in der Uniform der Nazis und überlebte als Hitlerjunge Jupp Perjell. Der Film-Klassiker „Hitlerjunge Salomon“ (1990) von der polnischen Filmregisseurin Agnieszka Holland erzählt auf eindrucksvolle Weise die schier unglaubliche Geschichte eines Doppellebens während der NS-Zeit.

Eine normale jüdische Familie in Not

Geboren wird Salomon Perel (Marco Hofschneider) – von Freunden auch Sally genannt – 1925 als Sohn eines polnisch-jüdischen Schuhverkäufers in Peine (Niedersachsen). In guten Verhältnissen wächst er mit drei Geschwistern auf und verlebt eine glückliche Kindheit. Das friedliche Alltagsleben wurde jedoch bald durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 durchbrochen. Sally wurde zum Direktor seiner Schule bestellt, der ihm einen Zettel in die Hand drückt und den Jungen danach hinauswirft: „Juden haben an unserer Schule nichts mehr zu suchen“. Angesichts der Pogrome und Diskriminierung entschließen sich die Eltern, nach Łódź zurückzukehren. Als die deutsche Armee am 1. September 1939 auch Polen überfällt, müssen Sallys Eltern den Jungen und seinen Bruder Isaak in Richtung Russland schicken und hoffen, dass die Brüder dort in Sicherheit gebracht werden können. In den Wirren der Besatzung werden Sally und Isaak jedoch getrennt, und Sally landet in einem Waisenhaus in Grodno (heute Weißrussland).

Der Beginn eines Doppellebens

Schnell arrangiert sich Sally mit der neuen Situation und lernt nicht nur Russisch, sondern auch den stalinistischen Drill. Aus dem Brief seiner Eltern erfährt er, dass Łódź in „Litzmannstadt“ umbenannt und dort ein Ghetto errichtet wurde. Als das nationalsozialistische Deutschland einen Angriff auf Russland startet, muss er wieder fliehen. Er schlägt sich alleine nach Russland durch, wo er von einer deutschen Patrouille aufgegriffen wird. Geistesgegenwärtig rettet er sein Leben mit der Behauptung, ein von den Bolschewiken verschleppter „Volksdeutscher“ zu sein; er heiße Josef Peters. Mit seiner russischen Sprachekompetenz tritt er in den Dienst der Wehrmacht ein, wo er schon bald zum Günstling der Vorgesetzten und zum Musterschüler der Hitler-Jugend-Akademie avanciert.

Die ständige Gefahr des „Auffliegens“ und die tiefe Verzweiflung

Aufgrund seiner Beliebtheit nimmt ein Hauptmann sich schließlich seiner an, um den vermeintlich Heimatlosen zu adoptieren. In der folgenden Zeit begegnen ihm unzählige brenzlige Situationen, die ständig drohen, ihn (vor allem wegen seiner Beschneidung) zu verraten und auffliegen zu lassen – wie der Besuch vom Schularzt oder als später die junge Leni (July Delpy), eine fanatische Anhängerin der nationalsozialistischen Ideologie, von ihm Geschlechtsverkehr verlangt. Der grausame Tod des Soldaten Robert, mit dem Sally sich angefreundet hat und der seine geheime Herkunft kennt, treibt ihn weiter in tiefe Verzweiflung. Den psychischen Belastungen nicht mehr gewachsen, beschließt er schließlich, Unterschlupf bei der sowjetischen Armee zu suchen. Unfreiwillig löst er jedoch einen erfolgreichen Schlag der Deutschen gegen die Russen aus und wird zum Helden. So landet er – gemäß der Ironie des Schicksal – gar auf einer NS-Eliteschule (real die Akademie für Jugendführung) in Braunschweig.

Das tragische Ende mit einem Funken Hoffnung

Mit großer Mühe schafft Sally trotz der inneren Zerrissenheit, seine Rolle weiter zu spielen. Zwischenzeitlich macht er sich in Łódź auf der Suche nach seiner Familie, die erfolglos bleibt. In einem Gespräch mit Lenis Mutter bestätigt er ihren Verdacht, dass er in Wirklichkeit Jude ist. Sally ist dabei erleichtert; endlich kann er mit jemandem über seine wahre Identität sprechen. Er hält das Versteckspiel bis Ende durch. Gegen Ende des Krieges im Volkssturm eingesetzt, ergibt er sich sowjetischen Soldaten. In der Gefangenschaft trifft er seinen Bruder Isaak wieder, der gesundheitlich sehr angeschlagen ist. Später erfuhr er, dass seine Mutter, sein Vater und seine Schwester Bertha durch den Holocaust umgekommen sind. Seine Brüder Isaak und David wie auch Sally selbst überleben – und können von ihrer Familiengeschichte berichten.

Fazit

Auf eindrucksvolle und eindringliche Weise erzählt der Film Salomon Perels abenteuerliche Odyssee während der NS-Zeit. Der dramatisch inszenierte Film ist sehr abwechslungsreich, packend und oft spannend und hat viele unbekannte Insight-Views zu bieten. Etwa die Szene, wie der junge Sally sich heimlich in der Straßenbahn Eindrücke vom Ghetto von Łódź verschafft, bleibt den Zuschauern sicherlich noch lang in Erinnerung. Authentisch werden Sallys aberwitzige Erlebnisse und zugleich seine innere Zerrissenheit eines lebensbedrohenden Doppellebens dargestellt, das ihn sowohl in die Rolle des Opfers wie auch in die des Täters zwang. Auch wenn die große Resonanz in Deutschland ausbleibt, wurde der Film zurecht mit einem „Golden Globe“ und einer Oscarnominierung in der Kategorie „Bestes adaptiertes Drehbuch“ gewürdigt. Schließlich ist die Verfilmung des turbulenten Schicksals Perels ein Plädoyer für das Recht des Menschen auf Leben jenseits aller Ideologien und Glaubensformen und eine Warnung gegen jede Form der Geschichtsvergessenheit.

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