„Ein Christ bringt es nicht weiter als bis zum Schaf“ – Ein Teilnahmebericht zur Jubiläumskonferenz „75 Jahre Israel“
Vom 12.-14. Mai fand in Reichenbach im Vogtland, die von den Sächsischen Israelfreunden einberufene Jubiläumskonferenz, zum Anlass des Bestehens des Staates Israel seit 75 Jahren, und dem 25-jährigen Bestehen des eigenen Vereines, statt.
Ein Anlass zum Feiern
Am 14. Mai 1948 wurde das Vorhaben, den verstreuten europäischen Juden nach dem Holocaust einen eigenen Staat in ihrer ursprünglichen Heimat zur ermöglichen, Realität. Israel hat damit als einziges „echtes“ demokratisches Land im Nahen Osten, trotz vieler Anfeindungen und Kriege, bis heute nicht nur Bestand, sondern es blüht seit Jahrzehnten entgegen jedem Widerstand regelrecht auf. Dieses einem Wunder gleichenden Geschehen ist vielen Juden und Christen ein Zeugnis für Gottes Treue gegenüber seinem Volk, die er durch verschiedene biblische Propheten immer wieder betont und schon dem Stammesvater der Juden, Abraham, vor knapp 4000 Jahren, auf ewig zugesichert hatte:
„Ich werde dich überaus fruchtbar machen. Du wirst so viele Nachkommen haben, dass sie zu ganzen Völkern werden, und sogar Könige sollen von dir abstammen. Meine Zusage gilt dir und deinen Nachkommen in jeder Generation; sie ist unumstößlich für alle Zeiten: Ich bin euer Gott und werde euch das ganze Land Kanaan geben, in dem du jetzt als Fremder lebst. Für immer soll es deinen Nachkommen gehören, und ich werde ihr Gott sein.“ (1. Mose 17,6-8)
Die Sächsischen Israelfreunde bilden einen Verein, der zum fünfzigjährigen Bestehen Israels 1998 u.a. vom heutigen Vorsitzenden Lothar Klein gegründet wurde. Wilfried Gotter, ebenfalls Mitgründer und heutiger Geschäftsführer und Schatzmeister kam zu Beginn der Veranstaltung am Freitagabend in dem großen Zelt auf dem Gelände des Parkes der Generationen in Reichenbach, neben Norbert Ehmler vom Bildungs- und Begegnungszentrum begrüßend zu Wort und gaben zu Beginn einen einleitenden Überblick zur aktuellen Lage und tagesaktuellen Themen in Israel wie u.a. dem Streit um die Justizreform und der aktuell kaum ein Ende zu findenden Terrorwelle im Land. Dieser erste Abend der Konferenz wurde mit einer gemeinsamen Schabbatfeier, wie die Juden sie jeden Freitagabend, zu Beginn des Schabbats feiern, mit Brot und Wein abgeschlossen. Wladimir Pikman, Rabbiner, Theologiedozent in Dallas wie auch Gründer und Leiter der Organisation „Beit Sar Shalom“, (eine Vereinigung jüdisch-messianischer Dienste und Gemeinden, mit welcher er aus Berlin angereist war), führte uns eindrücklich durch diese Feier. Pikman brach das Brot, sprach und sang die gebräuchlichen jüdischen Shabbatgebete mit den vielen israelbegeisterten von nah und fern angereisten Gästen in dem großen, extra für die Konferenz errichteten, Zelt.
Ein Christ bringt es nicht weiter als bis zum Schaf
Das Wort zum Tag mit welchem die Konferenzgemeinschaft am Samstagmorgen in den zweiten von drei Konferenztagen startete, hielt Wilfried Gotter. In seinem sympathischen Sächsisch, das im Vogtland natürlich zum „guten Ton“ gehört, leitete er thematisch in die anschließende Bibelarbeit von Johannes Gerloff ein , die den Vormittag andauerte: „Ein Christ bringt es nicht weiter als bis zum Schaf“. Dieser auch später immer wieder von Gotter aufgegriffene Satz, blieb mir besonders im Gedächtnis und machte mir erstmalig die Demut und das dienende Herz des Vereines der Sächsischen Israelfreunde bewusst. Diese Menschen hier hatten schon viel auf die Beine gestellt, sahen es als selbstverständlich, als Christen Israel nicht nur mit Wort und Gebet, sondern auch mit überzeugter Tat und mit viel Einsatz zu unterstützen. Dabei blieben sie aber vollkommen, wie ich es auch in folgenden Begegnungen noch erlebte, auf dem Boden, und von Überheblichkeit fand ich in diesem Verein keine Spur. Menschen, die nicht so viel reden, aber einfach einmal anpacken können, waren mir schon immer die Liebsten, und ich glaube, viele Menschen und vorallem Christen dürfen sich an den Israelfreunden ein Beispiel nehmen.
„Schafe sind dumm und dreckig“, so führte Gotter verschmitzt seine Gedanken weiter aus, „aber in einer Herde und mit dem richtigen Hirten, können sie die Welt verändern! (…) Wir dürfen als Schafe Jesu unserem Hirten immer bringen, was uns drückt, und ihm ganz vertrauen. Jesus ist der gute Hirte.“
Johannes Gerloff ging in der darauffolgenden Bibelarbeit zur Römer 9-11 auf die Rolle Israels vor Gott und die Aufgabe und den Zweck der nichtjüdischen Christen ein: Gott hat sich den Heidenvölkern zugewandt, um sein Volk Israel, zur Eifersucht zu reizen. An uns soll sich Gottes Herrlichkeit zeigen, dafür müssen wir unsere Aufgabe und unsere Identität als Christen allerdings ergreifen und in der Berufung leben, die Gott uns gibt, da, wo wir grade sind. Gott hat uns Christen, ja jedem einzelnen, die Autorität gegeben, die Jesus hatte, und uns als seine Kinder, zu einem königlichen Geschlecht gemacht. Jeder Christ müsse sich dabei vor Gott fragen: Was kann ich heute für Gott tun? Was gibt Gott mir persönlich als Aufgabe? Für ein solches Leben in Hingabe und im Dienst für Gott und auch das Land Israel sei eine lebendige Beziehung mit ihm notwendig. Er sprache auch darüber, nicht aus einem mitleidigen Herzen oder einem Helfersyndrom heraus Israel z.B. zu besuchen und zu unterstützen, sondern die echten Beziehungen und Begegnung mit den Menschen im Land seien unglaublich wichtig.
Nicht die Frage zu stellen: „Gott, wo warst du?“, sondern „Mensch, wo bist du?“ war ein Kerngedanke der Bibelarbeit. Mit seinen Gedanken untermalte Gerloff einmal mehr die Verantwortung jedes einzelnen Christen und rückte diese in den Fokus. Johannes Gerloff lud dazu ein auf seiner Webseite www.gerloff.co.in mehr über seinen Dienst und verschiedene Angebote das Evangelium bekannt zu machen zu erfahren.
Thematisch, dachte ich, passten die angesprochenen Gedanken der Bibelarbeit gut zum tatkräftigen, hingegebenen Dienst der Sächsischen Israelfreunde. Gotter entließ uns nach der Bibelarbeit in seiner sympathischen und freundlichen Art mit einem abschließenden Gedanken in die Mittagspause: Jesus habe in seiner Schafherde keine „Hütehunde“ eingeplant, wie es in unseren Gemeinden so einige gäbe. Seine herzliche, direkte und überaus humorvolle Art, Wahrheiten über die Gemeinde realitätsnah an- und auszusprechen, war mir sehr sympathisch, und mit einem Lächeln verließ ich das Zelt.
Die Mittagspause ließ neben dem Essen Raum, die verschieden Stände auf dem weitläufigen Parkgelände zu erkunden und mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Einige mit Israel verbundenen oder nahegelegene Missionsorganisationen waren vor Ort, wie auch Mitarbeiter der Nachrichtenmagazine Israelnetz und IDEA. Auch der Verein Kaleb war mit einer Ausstellung zur Aufklärungsarbeit rund um die Themen Familienplanung, Schwangerschaft und Abtreibung vor Ort.
Besonders lohnend empfand ich den Besuch der Ausstellung „1948“ im Hauptgebäude des Bildungs- und Begegnungszentrum für jüdisch-christliche Geschichte und Kultur im nahegelegenen Hauptgebäude des Vereines. Die von Matthias Hampel ins Leben gerufene Ausstellung ist europaweit einmalig und vermittelt schwerpunktmäßig durch die eigenhändig und faszinierend detailgetreu gefertigten Miniaturbauten aus dem antiken Israel, den verschiedenen Tempeln, Palästen und der Stiftshütte, eine lebendige und ungekannte Vorstellung ihrer biblischen Beschreibungen. Hampels enormes Bibelwissen, welches er durch die Ausstellung und in Führungen bereits seit vielen Jahren weitergibt, macht Israels Geschichte und seine Umwelt, durch die visuelle Ebene für Jung und Alt greifbar. Die kostenlose Dauerausstellung öffnet an jedem zweiten Sonntag im Monat. Ein Vorgeschmack und Buchungsmöglichkeiten für Gruppen findet man auf der Webseite des Bildungs- und Begegnungszentrums.
Die Entstehung und das Anliegen der Sächsischen Israelfreunde
Bevor der Nachmittag mit dem Besuch verschiedener Workshops frei gestaltet werden konnte, nahm mich der stellvertretende Vorsitzende der Israelfreunde, Werner Hartstock, der selbst einige Zeit nach der Gründung, die Israelfreunde kennenlernte und sofort begeistertes Mitglied wurde, in einem Interview konkreter mit in die Anliegen, Aktionen und die Geschichte der Sächsischen Israelfreunde:
Der Wunsch der Vereinsgründung wurde schon 1993 nach einer Veranstaltung, der „Expo Exodus“ geboren worden, welche damals mit über hunderttausenden Besuchern einen ganzen Sommer lang im Chemnitz stattfand. Verschiedenste in Israelthemen involvierte Persönlichkeiten der frühen Nachwendezeit u.a. auch die ICEJ (International Christian Embassy Jerusalem) wie auch Wilfried Gotter als Mitveranstalter, waren Teil der Veranstaltung. Ausgestellt war damals neben vielen anderen Ständen zu Israelthemen eine von der Bibelschule Breckerfeld erstellte Nachbildung der Stiftshütte, die später zur Inspiration für die Ausstellung „1948“ von Matthias Hampel wurde.
Lothar Klein, wie auch Gotter, sahen die Veranstaltung damals als großen Erfolg an und planten anschließend ein eigenes Israelzentrum zu gründen. Da die Landeskirche sich dem Vorhaben nicht anschloss, wurde stattdessen später der heutige Verein gegründet, für dessen Gründung zu Beginn sieben Personen notwendig waren. Über die Jahre veranstalteten die Israelfreunde immer wieder Konferenzen oder Israeltage. Dabei ist eines ihrer Hauptarbeitsgebiete die Bildungsarbeit an Schulen und in Gemeinden. „Sich politisch mit Israelthemen rumzustreiten ist leider meistens wenig ergiebig, aber Israel an sich gehört thematisch in jede Gemeinde und jede Gemeinde müsste sich mit Israel auseinandersetzen“, so Hartstock.
Ein weiterer zentraler Schwerpunkt des Vereins ist der Handwerkerdienst. Jährlich finden sich etwa 6 bis 7 Gruppen von Mitgliedern, die schwerpunktmäßig Holocaustüberlebende in Israel besuchen und ihre Wohnungen, die sich aufgrund von Armut oft in erbärmlichen Zuständen befinden, renovieren und diese handwerklich wieder in Stand bringen. Hintergrund der gegebenen Armut ist, dass grade Holocaustüberlebende oft durch mangelnde Bildung, verlorengegangene Beziehungsfähigkeit, wenig Einbindung in einer Familie und die daraus resultierende Einsamkeit, nur mit großen Schwierigkeiten in der Lage waren oder sind, ein „normales Leben“ zu führen, erklärt Hartstock weiter. Die staatliche finanzielle Unterstützung in Israel für Holocaustüberlebende, die wie Mirjam Holmer später erzählt, in Israel zwar eine Art Heldenstatus innehaben, ist leider so gering, dass es für ein Leben „in Würde“ kaum ausreicht. Grund für dieses mangelnde Sozialsystem ist, dass der Staat Israel mit seinen Ressourcen und seiner Kraft primär auf sein Gesamtüberleben fokussiert ist, und anders als beispielsweise in Deutschland z.B., die Absicherung des Einzelnen angesichts der Gesamtsituation des Landes kaum zu bewältigen ist.
Bei dieser lebensnotwendigen Unterstützung des Handwerkerdienstes stehen für die Israelfreunde auch die persönlichen Beziehungen zu den Menschen im Mittelpunkt. Die einzelnen Menschen sollen erleben, dass sie wichtig sind. Oft erleben die Gruppen auf ihren Reisen wunderbare Geschichten mit unendlich dankbaren Menschen und auch israelische Politiker nehmen den Dienst der Sächsischen Israelfreunde als positiv und äußerst wertvoll wahr. Wilfried Hartstock betreibt zudem seit Jahren selbsständig einen Reisedienst für Israel. Mittlerweile hat er schon unzählige Reisegruppen in das Heilige Land begleitet und kennt Israel wie seine Westentasche.
Im weiteren Gesprächsverlauf erzählt mir Hartstock warum die Israelfreunde grade hier in Reichenbach stationiert sind: Das von den Israelfreunden ins Leben gerufene Bildungs- und Begegnungszentrum befindet sich auf dem Gelände des Parkes der Generationen, der vor einigen Jahren als Ort für die Landesgartenschau diente. Nachdem diese vorüber war, entstand die Gelegenheit als gemeinnütziger Verein das angebundene Gebäude, welches der Stadt gehört, zu übernehmen. Er erzählte mir, dass es damals einem Wunder glich, dass sie als Verein eine Zusage für die Nutzung des Gebäudes erhielten, da die Chancen als frommer Verein neben anderen Bewerbern privilegiert zu werden, sehr gering waren und der Stadtrat ursprünglich andere Pläne mit dem Gebäude gehabt hatte. Darin, dass die Israelfreunde mitten in Reichenbach gemeinsam mit der Dauerausstellung „1948“ seit vielen Jahren ihren festen Platz haben, sieht der Verein ganz klar Gottes Handschrift. Auch durch die Ausstellung zur interessanten Israelthematik werden in der nicht fromm geprägten Region viele Menschen erreicht.
Bis zum feierlichen Abend, mit dem es um 19:30 im großen Zelt weiterging, konnten am Nachmittag Workshops und Infoveranstaltungen wahlweise aufgesucht werden. Dabei kamen besondere Gäste und Redner wie Tobias Krämer, Leiter des CSI, Daniel Yahav der eine Gemeinde in Tiberias leitet, Mirjam Holmer, die seit über 10 Jahren in Jerusalem für Israelnetz tätig ist, Frank Clese von Zedekah und Hinrich Kaasmann vom Ebenezer Hilfsfond zu Wort.
Eine Kunstgießerei die erinnern will
Auch Künstler Rick Wienecke von Fountain of Tears aus Arad in Israel, wie auch Claus Döhler und Martin Fritsch von der Kunstgießerei Döhler waren mit einigen ihrer Ausstellungsstücke auf dem Gelände anzutreffen. Mit Claus Döhler, Geschäftsführer und Kopf der selbstgegründeten Kunstgießerei, der als Israelfreund schon oft selbst mit den Handwerkerdiensten des Vereins in Israel unterwegs war, kam ich ins Gespräch. In seiner Ausstellung sind verschiedene gegossene Davidsterne, eine Menora und sehr prägnant ein Kreuz aus Holzbalken zu sehen. Döhler erklärt mir, dass das Holz des schwarzen Kreuzes die Balken aus einer Baracke in Auschwitz sind und dass die Kunstgießerei originales Holz aus Konzentrationslagern für ihre Werke verwendet. Die Stücke sollen an die schrecklichen Geschehnisse des Holocaust erinnern, gleichzeitig aber auch Hoffnung machen und einen Blick in die Zukunft aufzeigen. Die bedeutungsträchtigen Ausstellungsstücke der Gießerei, erzählt mir der freundliche Geschäftsführer, werden von dieser meist zu besonderen Anlässen gespendet und weitergegeben.
Gott ist noch nicht fertig mit Israel
Als ersten Workshop bzw. Vortrag besuchte ich den der Islamwissenschaftlerin Mirjam Holmer, die seit über 10 Jahren in Jerusalem lebt und für das Magazin Israelnetz schreibt. Da wir im September 2022 Mirjam mit unserem Jahrgang der FTH in Jerusalem kennengelernt und ein Stück weit einen Einblick in ihre Arbeit vor Ort bekommen hatten, interessierte mich besonders, was Mirjam zu berichten hatte. Der Workshop fand großen Andrang, und während einige Besucher sich schon auf dem Boden zu lagern begannen, nahm Mirjam uns einmal mehr mit in die Entstehungsgeschichte des Staates Israel und dem 1948 beginnenden Nahostkonflikt.
Ursprünglich sollte das Land in einen arabischen und einen israelischen Teil aufgeteilt werden erklärt sie uns. Was ich nicht wusste, ist, dass die israelische Seite sich damals auf den Vorschlag der UN einlassen wollte, während die Araber sich jedoch strickt weigerten und stattdessen das ganze Land beanspruchten. Unmittelbar nach der Staatsgründung wurde Israel von drei Ländern gleichzeitig der Krieg erklärt: Syrien, Jordanien und Ägypten. Nach dem erzielten Waffenstillstand 1949 wurde Gaza ägyptisch besetzt und das Westjordanland von den Arabern annektiert. Seit der Teilung Jerusalems sind Juden im Westjordanland seidem nicht mehr willkommen und dürfen es nicht betreten. Mirjam erläuterte wie die Rückangriffe Israels gegen die Ägypter, die damals den Suezkanal besetzt hatten, um Israel zu vernichten, als Verteidigungskrieg eingeordnet werden muss, da erst 20 Jahre zuvor der Massenmord des Holocaust an Millionen von Juden stattgefunden hatte. Der Staat Israel war und ist für die Juden die einzige Zuflucht. 1967 hatte Jordanien dann die Möglichkeit der Staatsgründung, mit welcher sie auch einen Teil Jerusalems für sich legal hätte beanspruchen können, es aber nicht taten. So kam es dazu, dass Araber in Israel wohnen, aber ein Leben im eigenen Staat nicht möglich wurde. Der Fokus auf die damalige Situation, in welcher die palästinsische Seite sich oft nicht an Absprachen hielt, wird in heutigen Debatten um den Nahostkonflikt oft ausgeblendet, muss aber beachtet werden, um das Handeln und Reagieren der Israelis sachgerecht einordnen zu können. Seit den Osloer Verträgen Anfang der 1990er ist das Westjordanland in drei Gebiete aufgeteilt wurde. Aktuell werden zwei dieser drei Gebiete von israelischer wie auch palästinensischer Seite zugleich verwaltet und ein dritter ganz durch die Israelis. Grade in diesem dritten Gebiet kommt es immer wieder zu Aufruhr zwischen der Israelischen Armee und den Palästinensern und das Israelische Militär kommt in diesen Regionen immer wieder an seine Grenzen. Das Rechtssystem ist in diesen Gebieten zudem extrem kompliziert, erklärt Mirjam weiter, da dort teilweise sechs verschiedenen Systeme vorherrschen. Das israelische Militär kommt dadurch in diesen Regionen immer wieder an die Grenzen seiner Handlungsmöglichkeiten
Die aktuellen Demonstrationen zur Justizreform kamen in Mirjams Bericht ebenfalls zur Sprache, und sie zeigte einmal mehr die Komplexität der ständig wechselnden Regierungen auf, wie auch die Herausforderungen der rund zehn Parteien im Parlament, die die knapp 10 Millionen Einwohner Israels repräsentieren. Die Partnerschaft Netanyahus mit seinen erstmalig ultraorthodoxen Partnern wirft viele Fragen auf und schürt Konflikte in der Regierung. Mirjam erläuterte außerdem, dass die aktuellen Demonstrationen zwischen orthodoxen und säkularen Juden ein schwer zu begreifendes Katz- und Mausspiel darstellen, denn: Auf beiden Seiten wird teils mit den gleichen Argumentationen, z.B. „Für Demokratie“ demonstriert, allerdings weist die Terminologie teilweise komplett andere Bedeutungen und Hintergründe auf. Die enorme Spaltung der Gesellschaft im Land wird in diesen aktuellen Demos deutlicher denn je.
Mirjam sprach ebenfalls an, wie schwer es als jüdische Familie mittlerweile ist, die vorherrschenden Lebensunterhaltungskosten im teuren Israel zu decken, was fast nur mit mehreren Jobs zu bewältigen sei. Auch deswegen gingen viele Israelis auf die Straße. Gleichzeitig herrscht bei den Ultraorthodoxen ein anderes Klima und es werden ganz andere Prioritäten gesetzt: Die Kosten für viele Güter sind für sie deutlich geringer. Dennoch finden sich immer mehr orthodoxe Juden in säkularen Firmen als wertvolle Mitarbeiter. Die Gewissenhaftigkeit und Verlässlichkeit der Ultraorthodoxen ist für viele Unternehmen ein hoch geschätzter Wert, auch wenn die Bildung der strenggläubigen Juden für einen Großteil ihres Lebens auf die Thora begrenzt war.
Wenn auch vieles im Verstehen von Zusammenhängen rund um Israel viel Einarbeitung erfordert, lohnt es sich an den tagesaktuellen, aber auch langfristigen politischen Themen dranzubleiben. Mirjam ist sich sicher: „Gott ist noch nicht fertig mit Israel!“
„Ganz Israel wird gerettet werden“
Im zweiten Workshop, den ich besuchte, sprach Tobias Krämer, Theologe und engagiert beim Verein Christen an der Seite Israels, über das Thema: „Warum Israel für deinen Glauben relevant ist“. Krämer sieht als Kernproblem vieler Theologen, dass sie Israel nicht mehr für relevant ansehen, da das heilsgeschichtliche Denken in der christlichen Theologie in seiner Einschätzung oft zu kurz kommt. Er ging auf die Relevanz von Jesus grade für die Juden, dem heutigen Volk Israel ein, deren Messias Jesus sei. Wenn nun die Christen besser verstünden, dass Jesus, der Messias der Juden sei, Israel dann auch für die Christen wieder an Bedeutung gewinnen würde.
Jesus ist für uns Christen zur Identität geworden. Wir seien ja benannt nach ihm, dem Messias, (griechisch: Χριστός = dem „Gesalbten“). Zudem beginne die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen nicht erst mit Jesus, sondern schon zur Zeit Abrahams, als Gott diesen in das verheißene Land rief, und einen ewigen Bund mit ihm schloss (1. Mose 12). Gott gründete Israel, um die Welt durch Israel zu segnen. Der Mottosatz „Das Heil kommt von den Juden“ ist ihm in seinen verschiedenen Vortragspunkten von zentraler Bedeutung. Zudem beruft Krämer sich in seiner Theologie „Ganz Israel wird gerettet werden“ auf die schon in der morgigen Bibelarbeit aufgegriffene Bibelstelle in Römer 11. Diese Thematik interessiert mich sehr, und ich nehme mir vor, mich diesem schon in der frühen und mittelalterlichen Kirche theologisch umstrittenen Thema einmal intensiver zu widmen.
Zum Festgottesdienst am Sonntagmorgen, dem letzten Konferenztag und dem tag-genauen
75. Jubiläum seit der israelischen Unabhängigkeit, spricht einmal mehr Tobias Krämer zum genannten Thema und geht intensiver auf die Bedeutung Israels für die Christen und heutige Gemeinden ein und erläutert einige bereits am Vortag in seinem Workshop angesprochenen Gedanken, wiederholend für alle Teilnehmer.
Nach einer Podiumsdiskussion fand der letzte Konferenztag seinen Abschluss mit der Premiere des Filmes „#schalom75 – Gottes einzigartige Treue“ welcher durch das christliche Medienwerk Aseba und mit der Unterstützung verschiedener Missionsorganisationen und Vereine realisiert wurde.
Die Konferenz bot einen breiten Einblick in verschiedenste Themen zu Israel, gab Raum für Verbindung und Gespräche und neue Perspektiven. Ich wurde nicht nur von vielen Menschen und Projekten inspiriert und zum Nachdenken und Weiterforschen angeregt, sondern auch ermutigt durch die wertvolle Arbeit und den vorbildlichen Einsatz der mit den Sächsischen Israelfreunden verbundenen Organisationen und Menschen, die vor wie auch hinter den Kulissen, mit Hingabe und ganz viel Herzblut Gottes Auftrag ernst nehmen und ihn und seine Treue täglich erleben.
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