Zehn Juden – eine Versammlung (Minjan)

Der Minjan ist im Jüdischen eine essenzielle Versammlung von mindestens zehn erwachsenen Juden. Er stellt das Quorum dar, welches benötigt wird, um einen Gottesdienst abzuhalten, aus der Tora laut vorzulesen oder das Schmone Essre (Achtzehnbittengebet) öffentlich zu sprechen. Innerhalb des Minjans gibt es stets einen Vorbeter, „Schaliach Tzibur“, welcher mit der Gemeinde zusammen betet.

Der Talmud leitet dabei die Personenzahl „zehn“ transitiv von den Spionen ab, die einen schlechten Bericht überbrachten, nachdem Mose sie nach Kanaan ausgesandt hatte (vgl. Numeri 14,27). Die Anzahl der Ausgesandten, ergibt abzüglich von Josua und Kaleb zehn und wird als schlechte Versammlung („eida“) bezeichnet (Sanhedrin 2a). „Eida“ wird ebenfalls verwendet, als sich Mose und Aaron „von der Versammlung“ („mi-toch ha-eida“) entfernen sollten, während dem Aufstand des Korach. „Toch“ wird dabei in Verbindung gebracht mit dem Wort „be-toch“ (innerhalb), welches verwendet wird, als es heißt, dass „Gott „innerhalb“ der Söhne Israels geheiligt wird“. (Berachot 6a sagt des Weiteren aus, dass wenn zehn beten, die Gegenwart Gottes (Schechina) unter ihnen weile.)

Darüber, wer zu den zehn Betenden zählt, damit ein Minjan zustande kommt, trifft der Talmud keine klare Aussage. Jedoch gibt es im orthodoxen Judentum dafür ein allgemeines halachisches Verständnis. So zählen zu den Betern lediglich freie, jüdische, Männer, welche durch die Bar Mizwa mündig sind. Im nicht-orthodoxen Judentum, zählen zum Minjan nicht nur männliche Juden, sondern ebenfalls Jüdinnen.

Dabei wird gerade für kleinere Gemeinden die benötigte Anzahl von zehn mündigen Betern immer wieder als Belastung empfunden und entsprechend der Sinn und Zweck des Minjan hinterfragt. Das Phänomen, dass in einer Gemeinde kein Minjan zustande kommt, scheint kein reines Ergebnis der jüdischen Diaspora zu sein, sondern war schon zu den Entstehungszeiten des Talmuds ein Problem. So berichtet beispielweise das Traktat Berachot 47b davon, dass man ein in der Wiege liegendes Kind als zehnten Beter zählen könnte, oder man einen Sklaven freilässt, um die Anzahl der für den Minjan benötigten freien Juden zu erreichen. Dabei sei jedoch vor allem wichtig, dass die betende Gemeinschaft „wie zehn“ erscheint, auch wenn sie schlussendlich nur neun sind. So soll nach Berachot 47b, die Minjan eher dazu anregen, mehr Menschen zum Gebet zu vereinen, als die betende Gemeinde einzuschränken.

Der Minjan fördert das Konzept der jüdischen Gemeinschaft. Die Idee, dass zehn Menschen zusammenkommen müssen, hebt die soziale Dimension des Gebets hervor. Ein einzelner Mensch kann viele Gebete allein sprechen, aber der Minjan bringt die Menschen zusammen und unterstreicht, dass das Judentum ein gemeinschaftsorientierter Glaube ist.

In der heutigen Zeit bleibt der Minjan die Voraussetzung für die öffentliche Durchführung vieler liturgischer Rituale. Besonders in Synagogen und jüdischen Gemeinden wird darauf geachtet, dass ein Minjan vorhanden ist, um zentrale Gebete würdig und vollständig auszuführen.

In progressiven jüdischen Bewegungen wird der Minjan oft den sozialen und gesellschaftlichen Umständen angepasst, um moderne gesellschaftliche Entwicklungen zu berücksichtigen. Dies betrifft die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Inklusion von Menschen, die in traditionellen Kontexten nicht berücksichtigt wurden. Dadurch werden jüdische Tradition und fortschrittliche Gesellschaft miteinander verbunden. Orthodoxe jüdische Gemeinschaften lehnen allerdings progressive Deutungen des Jüdischen ab.

Bedeutungsvoll erscheint ein oben erwähnter theologischer Kern des Minjan, der in der Vorstellung liegt, dass Gottes Gegenwart (Schechina) besonders stark spürbar ist, wenn sich eine Gemeinschaft versammelt. Diese Idee wird aus Psalm 82,1 abgeleitet: „Gott steht in der Gottesgemeinde und ist Richter unter den Göttern.“ Der Minjan verkörpert das Konzept, dass die Gemeinschaft eine höhere Ebene des Göttlichen erreicht.

Die Verpflichtung, einen Minjan zu bilden, betont außerdem die gegenseitige Verantwortung der Menschen untereinander. Kein Einzelner kann allein alle religiösen Bedürfnisse erfüllen. Dieses Konzept spiegelt eine zentrale Lehre des Judentums wider: Jeder Mensch ist für den anderen verantwortlich (Kol Jisrael arevim se l’ze).

Auch Christen können von diesen Überlegungen des Judentums profitieren, wenn auch die Zehner-Zahl keine Rolle spielt. Wenn zwei oder drei im Namen Jesu versammelt sind, ist nämlich nach der Verheißung der erhöhte Christus anwesend. Die gegenseitige Verantwortung untereinander in der Ekklesia (Gemeinde Jesu), die Bedeutung des gemeinschaftsorientierten Glaubens, die Gemeinschaft im Gebet usw sind allerdings gute Impulse, die auch Christen neu entdecken können.

 

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