„Israel intensiv“ – ein persönlicher Bericht

Einleitung

Wenn man an Israel denkt, kommen einem als Erstes vielleicht der Tempelberg, der See Genezareth oder „ultraorthodoxe- Juden“ in den Sinn. Was einem aber vielleicht eher nicht in den Sinn kommt, sind gut organisierte und kostengünstige öffentliche Verkehrsmittel, Schnitzel, Temperaturen, bei denen man zu frieren beginnt, oder ein Skigebiet. Inwiefern sich mein Bild von Israel in den vergangenen sechs Wochen verändert hat, das möchte ich Ihnen im Folgenden darlegen.

Seit etwa sechs Wochen befinde ich mich hier in Israel, zwei weitere Wochen stehen mir noch bevor. Eine Woche Jerusalem, vier Wochen Ber-Sheva, eine Woche Tiberias. Mein diesjähriger Israelaufenthalt war primär geprägt durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen. Dabei lernte ich hauptsächlich eine Menge über die moderne Kultur und Gesellschaft Israels kennen.

 

Demographie & Geographie

Die Regionen des Landes, in denen ich mich aufgehalten habe, sagen schon viel über dieses besondere Land aus. Sie sind vor allem aus sozialer bzw. demographischer Perspektive bedeutungsvoll – von der Topographie sind andere Einteilungen wichtiger. Das Land wird ganz grob in drei Regionen aufgeteilt: den Norden, den Süden und das Zentrum. Das zeigt sich auch darin, dass es ein Entwicklungsministerium für Regionen im Norden und Süden gibt. Hingegen ist die Region im Zentrum sehr dicht besiedelt und sozio-ökonomisch gut entwickelt. Hier liegen die bekannten großen Städte: wie Jerusalem, Tel-Aviv oder Aschdod. Obwohl diese Region nur einen Teil der Fläche Israels abdeckt, leben hier über 2/3 der Bevölkerung.

Der Süden wird hauptsächlich durch die Wüste Negev geprägt. Sie bildet ein Dreieck zwischen dem Mittelmeer, dem Toten Meer und dem Roten Meer. Im Norden des Negevs befindet sich die größte Stadt, Beer-Sheva, in der ich auch für einige Zeit gelebt habe, und im Süden des Negevs liegt in direkter Nachbarschaft zu Ägypten und Jordanien der Urlaubsort Eilat.

In der nördlichen Region findet sich unter anderem die Region Galiläa, mit vielen aus dem Neuen Testament bekannten Städten wie Nazareth und die am See Genezareth liegenden Orte wie Kafarnaum und Tiberias.

 

Anreise

Zusammen mit einem anderen Studenten der FTH kam ich Ende Juli am Ben-Gurion-Flughafen in Tel-Aviv an.

Blick aus dem Flugzeug auf die Westküste Israels

Diese Reise und der Aufenthalt wurde uns möglich gemacht durch ein Stipendium des Instituts für Israelogie. Das Institut finanzierte uns die Flüge sowie das Programm in Beer-Scheva, auf das ich weiter unten eingehen werde. Außerdem wurde mir gewährt, den Aufenthalt zu verlängern. An dem Tag als wir ankamen war eine große Demonstration von Bürgern, die sich gegen eine aktuelle Entscheidung des Parlaments in Jerusalem richtete. Die Bahnhöfe waren überfüllt mit Menschen. Dennoch gab es immer wieder freundliche Personen, die uns mit den Koffern halfen, die uns fragten, wo wir herkamen und die uns auf der Rolltreppe den Vortritt ließen. Da sehr viele Demonstranten von Tel-Aviv nach Jerusalem fuhren, hatten wir keine Chance in den Zug zu kommen. Daher entschieden wir uns, eine Route mit über eine andere Stadt zu wählen. Auf dem Weg lernte ich interessante Zeitgenossen kennen: einen französischen Juden, der uns die andere Route vorgeschlagen hatte, eine Gruppe von jungen Frauen, die sich als Teil einer friedlichen Revolution verstanden, und einen Verein von Männern Anfang Fünfzig, die israelische Reservisten waren.

In Jerusalem angekommen, gönnten wir uns erst einmal eine herrlich wohlschmeckende Falafel-Tasche und dann eine gute Nacht mit erholsamem Schlaf.

 

Aufenthalt in Jerusalem

Eine meiner ersten Aktionen war es, mir eine israelische SIM-Karte anzuschaffen, damit ich auch unterwegs nach Wegen, Öffnungszeiten oder Buslinien Ausschau halten konnte. Auch eine Busfahrkarte, die sogenannte Raf-Kaf, durfte nicht fehlen, dazu aber später mehr.

In den kommenden Tagen wurden verschiedene Sehenswürdigkeiten in Jerusalem aufgesucht. Vor allem habe ich aber Kontakt mit Menschen gesucht, mit ihnen gesprochen und Beziehungen geknüpft. Ich glaube, dass es auf der Welt kein Land gibt, das so eine verschiedenartige Bevölkerung hat wie Israel. Meine Gespräche führte ich vor allem mit Juden, die allerdings auch keineswegs als homogene Gruppe zu verstehen sind. Unter anderem sprach ich mit sogenannten „ultra-orthodoxen“, mit nicht religiösen, orthodoxen und national-religiösen Juden sowie mit an Jesus gläubigen Juden.

Blick von der alten Jerusalemer Stadtmauer

Als besonders interessant empfand ich ein Gespräch mit einer Frau, die uns zum Mitkommen einlud, als wir keinen Bus bekommen konnten. Sie lachte, als ich sie fragte, ob sie religiös sei, da sie es durch ihren Kleidungsstil sehr offensichtlich fand, dass sie säkular eingestellt war. Sie teilte mir mit, dass sie in einer Schule TaNaK (die hebräische Bibel, in christlicher Tradition „Altes Testament“ genannt) unterrichte. Dies schien mir erst ungewöhnlich. Sie äußerte, dass es sie stört, dass „ihre heiligen Schriften“ den Religiösen vorbehalten bliebe, da diese aus ihrer Perspektive vor allem die nationale Geschichte Israels bzw. der Juden abbilde. Am nächsten Tag sprach ich dann mit einer anderen Frau, die einen starken Kontrast darstellte und doch irgendwie Ähnlichkeiten aufwies. Ich begegnete ihr auf der Stadtmauer der Jerusalemer Altstadt. Sie verbrachte dort den Nachmittag mit einigen Enkeln. Sie stellte eine nationalistische Perspektive ihrer Überzeugungen dar und argumentierte für die aktuelle Justizreform. Sie äußerte außerdem Sichtweisen über die Geschichte des modernen Staates Israel, bei denen ich mich fragte, inwiefern es sich bei dem Geschilderten tatsächlich um historische Tatsachen handle. Beide Frauen waren mir gegenüber sehr freundlich, waren bereit, jede Frage zu beantworten und halfen mir ein Stück besser, die Menschen zu verstehen.

Weitere Erfahrungen durfte ich in der Begegnung mit unterschiedlichen Menschen und Geschichten in Jerusalem machen, von denen an anderer Stelle ausführlicher berichtet werden soll.

 

Die Zeit in Ber-Sheva

Da es sehr viele Buslinien gibt, die aus dem Zentrum in alle möglichen Ecken des Landes führen, war es kein Problem für mich, mit einem Langstreckenbus in den Süden zu fahren.

Der Reisebus auf dem Weg nach Ber-Scheva

Der Bus war überfüllt. Auch der Laderaum war überfüllt, denn als der Bus anhielt, fiel Gepäck heraus. Im Gang lagen Menschen, die schliefen. Trotzdem wirkte alles sehr organisiert: pünktliche Abfahrt, angenehm klimatisiert durch die Klimaanlage und erträglich aufgrund eines angenehmen Fahrstils. Ein Großteil der Mitfahrer waren Soldaten. Aktuell gibt es ein Projekt, eine wichtige Militärbasis nach Beer-Sheva zu verlegen, unter anderem auch deshalb, um die oben genannten Entwicklungsziele zu erfüllen. Außerdem werden in der Wüste, im Negev, viele Flugzeugmanöver und sonstige militärische Übungen durchgeführt. Aus dem Fenster sah man immer wieder Beduinendörfer. Mittlerweile pflegen fast keine Beduinen mehr einen nomadischen Lebensstil. Ein großer Teil von ihnen lebt in nicht anerkannten Dörfern aus Blechhütten – der Strom kommt über Photovoltaik vom Dach.

Als ich schließlich in Beer-Sheva ankam, prallte ich gefühlt gegen eine Wand von heißer, trockener Luft. Dieser Zustand sollte sich für die kommenden Wochen nicht ändern. Doch war das ja gewissermaßen verständlich, immerhin lebte ich nun mitten in der Wüste. Auch wenn die Klimaanlage oft sehr angenehm war, wurde die Abkühlung der Innenräume dermaßen übertrieben, sodass man sich einen Pullover anziehen musste, um sich nicht zu erkälten.

Mehrere Wochen lebte ich in einer Wohngemeinschaft mit vier Zimmern, die zur Universität in Beer-Scheva gehörten, an der ich das Sommer-Programm belegt hatte. Die Mitbewohner wechselten während meines Aufenthalts. Ich erhielt einen Studentenausweis und die Karte für meine dortige Krankenversicherung.

Die Raf-Kaf (Israelische Busfahrkarte)

Mit dem Studentenausweis, einer Studienbescheinigung sowie meinem Reisepass konnte ich dann meine Raf-Kaf in die Studentenversion wechseln. Um den Ausweis zu personalisieren, wurde von mir im Bahnhof mit einer Webcam ein leicht verzerrtes Bild gemacht. Das Ganze brachte zwar ein bisschen Aufwand mit sich, es lohnte sich aber, da ich 1/3 weniger für Bus & Bahn bezahlen musste.

Wenn man an einer Imbissbude aß, gab es in der Regel die Auswahl: Falafel oder Schnitzel. Dabei war Schnitzel eine paniertes Stück Hähnchenfleisch, dessen Beliebtheit im Land mich zunächst überraschte.

Das Programm an der Universität vor Ort wechselte täglich zwischen einem Sprachkurs in modernem Hebräisch und Vorlesungen über die moderne Israelische Kultur und Gesellschaft. An einigen Tagen wurden für uns internationale Studenten Ausflüge durchgeführt. Dabei empfand ich den Ausflug an das Tote Meer besonders interessant, auch wenn ich in diesem Jahr nicht zum Baden hinein ging.

Ein Blick auf das Tote Meer

Über meine Erfahrungen in den Kursen und Ausflügen soll an anderer Stelle detaillierter berichtet werden. Es ist auf jeden Fall zu sagen, dass die Menschen in Beer-Sheva durchaus anders sind als in Jerusalem. Vor allem ist mir aufgefallen, dass viele Studenten dort leben, die das Stadtleben prägen, und die Universität als Dreh- und Angelpunkt für die gesamte Stadt, aber auch für den ganzen Süden zu verstehen ist.

 

Galiläa, See Genezareth, Tiberias

Meine Reise vom Süden in den Norden machte ich mit einem Zwischenstopp in Jerusalem. Dort traf ich spontan zwei mir vertraute Freunde, die zu diesem Zeitpunkt Videoaufnahmen für das Institut für Israelogie (Gießen) durchführten. Nach einer Übernachtung ging es für mich wieder in den Langstreckenbus – dieses Mal in den Norden. Nachdem ich aus der Wüste wieder in Jerusalem eingetroffen war, schien mir dort alles farbenfroh und grün, jetzt aber durfte ich mich trotz der Hitze des Sommers an noch mehr Grüntöne gewöhnen.

Als der Bus kurz vor Tiberias über eine Hügelkuppe fuhr, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer –  denn vor mir lag das Galiläische Meer, der See Genezareth, der Kinneret. An diesem beeindruckenden Anblick kann ich mich kaum sattsehen, er raubt mir immer wieder den Atem.

Blick auf den See Genezareth

Mittlerweile bin ich eine Woche hier, zwei stehen mir noch bevor. Ich bin dankbar für die Woche und freue mich auf die beiden kommenden. Allein meine Erlebnisse in dieser Woche sind zu viel, um sie hier zu erwähnen, wie dann erst drei Wochen. Einen kleinen Einblick versuche ich, jetzt schon zu geben.

Zuerst etwas Banales, das mir begegnete: eine Banane, aber nicht nur eine, sondern zwei, jedoch in einer Schale.

An einem Tag genoss ich einen Spaziergang am Ufer des Sees in Tiberias, in einer Griechisch Orthodoxen Kirche durfte ich dann meine Altgriechisch Fähigkeiten unter Beweis stellen und wurde von einem freundlichen Griechen in meiner Aussprachen korrigiert. Zum Sonnenuntergang noch die Füße in den See, herrlich! An einem anderen Tag besuchte ich den höchsten Berg Israels: den Hermon. Ganz im Norden, nachdem die Golanhöhen passiert waren, die von oben eher wie ein Flachland erschienen, erhob sich der über 2100 Meter hohe Hermon. Beim Weg nach oben fiel einiges an winterlicher Dekoration auf. Das letzte Stück wurde dann mit einer Gondel über die Pisten zurückgelegt, denn diese Gegend dient im Winter als Skigebiet. Dann liegt hier auch Schnee und zahlreiche Touristen machen sich auf den Weg. Mit meinen in Beer-Sheva erworbenen Sprachkenntnissen kann ich hier auch immer wieder einfache Konversationen führen. Dies und anderes mehr sind unvergessliche Erfahrungen.

 

Fazit

Zunächst dachte ich, dieser längere Aufenthalt in Israel würde das Land für mich entzaubern. Und auf eine gewisse Art und Weise ist das auch geschehen. Ich merke, dass weder die biblischen Geschichten noch die leider wenigen jüdischen Gemeinden in Deutschland ausreichen, um sich Israel in seinem Facettenreichtum auch nur annähernd vorzustellen. Aber ich habe gemerkt, dass viele paradoxe und unerwartete Dinge, verschiedene Menschen mit ihren divergierenden Kulturen, die aufeinandertreffen, meine Israel-Reise nicht weniger wertvoll machten, sondern enorm bereicherten.

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