Kurz erklärt: Wer waren die Pharisäer?

Wenn wir an die jüdische Gruppierung der Antike denken, die Pharisäer genannt wird, was geht uns dabei durch den Kopf? Alte Männer mit Bärten und religiöser Kleidung? Eine heftige theologische Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern im Tempel? Denken wir an Nikodemus der nachts ein Geheimtreffen mit Jesus hat? Oder denken wir gar an heutige ultra-orthodoxe Juden mit Gebetsriemen und Schläfenlocken an der Westmauer in Jerusalem?

Um solchen Fragen auf den Grund zu gehen, möchte ich im Folgenden die Begrifflichkeit, Entstehung und Entwicklung des Pharisäertums betrachten sowie das theologische Denken der biblischen Pharisäer analysieren. Schlussendlich möchte ich abwägen, inwiefern der “Jesus-Film-Pharisäer” eine realitätsnahe Darstellung abbildet.

 

Zur Bezeichnung der jüdischen Gruppe der Pharisäer (Begriffserklärung)

Zunächst möchte ich einen Blick darauf werfen, woher der Begriff kommt. Das deutsche Wort Pharisäer ist eine Ableitung des altgriechischen Worts Φαρισαῖος (Pharisaios), welches wiederum zurückgeht auf den hebräischen Wortstamm פרשׂ (prš). Dieser bedeutet so viel wie “abgesondert”. Da dieser Begriff eher zum polemischen Beschreiben einer separatistischen Gruppe benutzt wurde handelt es sich vermutliche um eine Fremdbezeichnung durch nicht pharisäische Juden. Die meisten Quellen geben nur eine Beschreibung von außen, Paulus jedoch beschriebt sich selber wie folgt: „der ich am achten Tag beschnitten bin, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, nach dem Gesetz ein Pharisäer“ (Philipper 3,5). Es wäre auch denkbar, dass die Wortbedeutung eine Sache “deutlich aussprechen” meint, also sich auf ein genaues erklären der Torah bezieht und somit vom Selbstverständnis der pharisäischen Rechtgläubigkeit zeugt. Da Pharisäer sich gegenseitig als z.B. „Genossen“ bezeichneten, ist die Wortherkunft eher auf einen streng torah-observanten, separatistischen Lebensstil als gottesfürchtige Juden zurückzuführen.

 

Symbolbild

Entstehung der jüdischen Fraktion der Pharisäer

Die beschriebene Absonderung ist ein besonders relevanter Aspekt, vor allem dann, wenn man die Entstehungsgeschichte der Pharisäer in den Blick nimmt. Ganz trennscharf lässt sich die historische Entstehung leider nicht abbilden. Es lässt sich aber sagen, aus welchen Vorläuferbewegungen die Pharisäer kommen.

Durch das Babylonische Exil gewannen bestimmte jüdische Traditionen an Relevantz, um die jüdische Identität nach der Katastrophe des Exils zu erhalten, so z.B. die Beschneidung, das Halten des Sabbats oder die Speisegebote. Nachdem einige Juden, aus dem Babylonischen Exil zurückgekehrt waren, etablierte sich eine bewusste Absonderung von den anderen im Land lebenden Völkern. Unter der Führung von Esra, der als Prototyp für einen jüdischen Schriftgelehrten gilt, wurde beispielsweise eine Scheidung von heidnischen Frauen angeordnet, um das Volk in eine  streng gottesfürchtige, abgesonderte Stellung gegenüber den Heiden zu bringen: “So lasst uns nun einen Bund schließen mit unserm Gott, dass wir all die Frauen und die von ihnen geboren sind fortschicken…” (Esra 10,3a). Seit dem 5. Jh. v.Chr.  sind also markante Vorläuferbewegungen der Pharisäer zu erkennen, die sich „Weise“ oder „Schriftgelehrte“ nannten. Im 3. Jh. v.Chr. entstand durch zunehmende Hellenisierung der jüdischen Oberschicht und im 2. Jh. v.Chr. durch stärkere Machtansprüche und Hellenisierungsbemühungen von Antiochus IV. Epiphanes, ein innerjüdischer Konflikt, der in den apokryphen Makkabäer Büchern beschrieben wird. Es bildete sich eine torah-orientierte Bewegung, die nicht nur die Absonderung gegenüber den Heiden, sondern auch gegenüber anderen Juden praktizierte. Es entstand also eine religiös-politische Parteiung, die gegen die den griechischen Einflüssen entgegenstand. In dieser Entstehungsbeschreibung sind allerdings die Pharisäer von den Qumran-Essenern zu unterscheiden, die wiederum ihre streng an der Tora orientierte Absonderung durch völlige Abschottung in klosterähnlichen Anlagen vollzogen, einen Schritt, den die Pharisäer nicht praktizierten.

 

Denken und Handeln

Konkret spiegelte sich die pharisäische Frömmigkeit in der Bemühung, das Land selbstständig zu religiös zu führen und das jüdische Volk vor und für Gott zu heiligen. Grundlage der pharisäischen Theologie ist das akribische Auslegen der Torah-Gebote und mündlich tradierte Gesetzte nach der “Überlieferung der Alten” sowie das Hinzufügen nicht explizit formulierter Gebote, um dadurch sicher zu gehen, keine göttliche Anweisung zu missachten oder zu übersehen. Dabei dominierte der Leitgedanke, dass Gott zu Israel spricht: “Und ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein” (2.Mose 19,6). Aus diesem Grund werden dementsprechend alle priesterlichen Gebote auf das alltägliche Leben des einzelnen Israeliten übertragen. Es wird von jedem Juden eine kultische Reinheit bezüglich der Speise- und Reinheitsgeboten erwartet und somit der Anspruch gestellt, wie er auch für Priester galt. Dadurch wird die Relevanz von Priestern und des Tempels in den Hintergrund gedrängt, was besonders nach der Zerstörung des zweiten Tempels für das rabbinische Judentum wegweisend werden wird.

 

Bearded Man Reading a Book

Sind die Pharisäer die Vorläuferbewegung zum rabbinischen Judentum?

Rabbinisches Judentum

Die Annahme, dass es einen nahtlosen Übergang zwischen Pharisäertum und Rabbinertum im 1. Jh. n.Chr. gegeben habe, ist weiterhin fragwürdig, da Schriftgelehrte des Vorrabinertums nicht wirklich in der Rabbinischen Tradition zu finden sind. Es ist also von einer gewissen Abgrenzung auszugehen. Allerdings ist klar, dass das grundlegende Gedankengut in sukkzessiver Überlieferung fragmentarisch erhalten geblieben ist. Dadurch, dass der Tempel und das Priestertum im pharisäischen Judentum an Bedeutung verloren haben war die Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n.Chr. auch für das danach übrig gebliebene Judentum nicht das Ende, sondern eine Neuorientierung mit einem Fokus auf Gebet, Torahstudium und Synagogenbesuch als eine Basis für das Judentum ohne Tempel und Opfergesetzgebung.

 

Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Pharisäer zur Zeit Jesu in erster Linie als jüdisch-theologische Gegenspieler der hellenistisch geprägten Sadduzäer zu verstehen sind und eher „kleinbürgerlicher“ Herkunft waren, nicht aber die Oberschicht repräsentierten. Ihre Identität bildete sich aus dem Judentum heraus, das ohne Land, König, Tempel, Opfer usw. religiös, spirituell und kultisch funktionieren musste, wodurch zwangsläufig ein besonderer Fokus auf das akribische Studieren und Auslegen der Fünf Bücher Mose (Torah) gelegt wurde mit dem Ziel, Gott ein heiliges, gehorsames und wohlgefälliges  Volk darzustellen.

 

Quellen

N.N., Die Pharisäer, https://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-nt/religioese-parteien/pharisaeer/   (Stand 26.01.2023)

Weiß, Hans-Friedrich, Pharisäer, in: TRE Band 26, 1. Aufl., S.473- 482.

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