Israel und seine Nachbarn – die Philister Teil I

Wer an die Philister denkt, dem fällt zuallerst die berühmte Erzählung von “David und dem Philister Goliath” ein. Dieser Goliath ist der namentlich wohl bekannteste Vertreter dieses kriegerischen Nachbarvolkes Israels vor über 3000 Jahren.

Woher die Philister stammten und seit wann sie die Süd-West-Küste Kanaans am Mittelmeer bevölkerten, darüber wird jedoch bis heute gerätselt. Die Rekonstruktion der Geschichte dieses Volkes ist nicht leicht, eher undurchsichtig und verworren. Es folgt der Versuch die groben Zusammenhänge aufzuzeigen.

 

Laut biblischem Zeugnis beginnt die Geschichte der Philister nach der Sintflut. In 1Mose 10,13f ist zu lesen, welche Völker von Mizrajim, dem Zweitgeborenen von Noahs Sohn Ham, ausgingen. Darunter werden auch die Philister genannt. Nach 1Mose 50,11 ist Mizrajim mit Ägypten gleichzusetzen – eine Tradition, der die hebräische Sprache bis heute folgt. Kamen die Philister also aus Ägypten? Amos 9,7 deutet jedoch etwas anderes an. Denn dort heißt es, die Philister wären von Kaftor heraufgezogen. Wo aber lag Kaftor?

Hier hilft zunächst das Buch des Propheten Jeremia weiter, nach welchem Kaftor als Küste bzw. Insel identifiziert wird (Jer 47,4). Noch konkreter wird Zefanja 2,5. Dort werden die Philister als „Volk der Kreter“ bezeichnet. Demnach wären sie von Kreta gekommen. Wie aber würde diese kretische Herkunft mit Ägypten zusammenpassen? Haben beide Völker in Mizrajim einfach nur den selben Stammvater? Oder gibt es andere plausible Erklärungen?

Einige außerbiblische Quellen bieten zumindest weitere Querverbindungen zwischen Philistern und Ägyptern an. So wird Ramses III. auf ägyptischen Reliefs im Tempel von Medinet Habu (Titelbild) als Sieger einer Seeschlacht im Jahr 1180 v. Chr. gegen ein Bündnis von mehreren Feind-Völkern mit unterschiedlichen Kopfbedeckungen beschrieben. Eine dieser Kopfbedeckungen – ein „federbesetzter Kamm“ – findet sich sowohl auf einer auf Kreta gefundenen Tonscheibe – dem Diskus von Phaistos[1] – als auch in der Beschreibung ägäischer Seeleute durch den griechischen Historiker Strabon[2]. Die Hieroglyphen-Inschriften der Ägypter benennen als eines ihrer Gegnervölker die Peleset, welche oftmals als Philister identifiziert werden.[3] Müssen wir demnach von einer kretischen Seeinvasion auf Ägypten, durch die “Stammväter” der Philister ausgehen? Die Darstellung der dazugehörigen Landschlacht, welche neben Infanterie und Kriegswagen auch Ochsenkarren mit Frau und Kind darstellt, erweckt eher den Eindruck einer Völkerwanderung anstatt eines Raubzuges.[4] Welche Völker aber wanderten da nach Ägypten und woher kamen sie?

Darüber gibt es eine Vielzahl von Hypothesen.[5] Manche sehen den Auslöser jener Bevölkerungswanderungen in Naturereignissen wie Erdbeben oder Missernten. Andere sehen mögliche Zusammenhänge mit dem um 1184 v. Chr vermuteten Trojanischen Krieg und den damit verbundenen Flüchtlingsströmen von der westanatolischen Küste aus. Diese würden demnach die “Seevölker” von den Inseln der Ägäis verdrängt haben, darunter auch die Philister auf Kreta. Nach deren Niederlage gegen Ramses III. hätten sie sich dann sehr viel erfolgreicher an der südlichen Küste Kanaans niedergelassen[6], vielleicht sogar zunächst als ägyptische Vasallen[7]. Jüngste Thesen sehen dagegen in den westanatolischen Völkern selbst jene “Seevölker”, die laut der ägyptischen Darstellung nicht nur das Reich am Nil, sondern das gesamte Gebiet des östlichen Mittelmeeres verheerten, und verstehen die Philister als Trittbrettfahrer der Umwälzungen ihrer Zeit. Wahrscheinlich gab es sogar mehrere Ursachen die zu den großen Bevölkerungsbewegungen jener Tage führten, die im weiteren Verlauf das Ende der bronzezeitlichen Hochkulturen einläuteten.[8]

In jedem Fall weisen neuste Analysen bronzezeitlichen Erbguts aus der Philister-Stadt Ashkelon auf einen Zuwachs an europäischen Genkomponenten in diesem Zeitraum hin[9].

Diese historischen “Kreta-Ägypten-Bezüge” dienen damit also wenigstens als eine denkbare Erklärung im Blick auf die “Herkunft” der Philister und ihre Verbindung zum Reich der Pharaonen.

Während die Altertumsforschung aber über die kretische Herkunft der Philister und die Ursachen ihrer Völkerwanderung noch keinen finalen Konsens gefunden hat, scheint in einem Punkt Klarheit zu herrschen: Die Landung der Philister an den Küsten Kanaans um das 12. Jh. v.Chr.

Doch mag sich der aufmerksame Bibelleser an den Bericht aus 1Mose 26,1 erinnert sehen, wo Abimelech, der Philisterkönig von Gerar, Isaak und dessen vermeintliche “Schwester” Rebekka beim “Kosen” erwischte – wie es die Elberfelder Bibelübersetzung ausdrückt. Wer daraufhin die Zeittafel seiner Bibel zu Rate zieht, der wird feststellen, dass Isaak laut biblischer Chronologie um das 18. Jh. v.Chr. lebte. Die Lage von Gerar wird dabei durch 1Mose 10,19 bestimmt: Im üblichen Siedlungsgebiet der Philister, in der Nähe von Gaza. Nach biblischem Zeugnis also viele Jahrhunderte vor Ramses III. und seiner Seeschlacht mit den Seevölkern. Und dies ist weder die erste, noch letzte Erwähnung der Philister vor dem 12. Jh. v.Chr. Auch schon Abraham lebte laut 1Mose 21,32ff eine lange Zeit als Fremdling im Lande der Philister, nachdem er zuvor den gleichen Fehler gemacht hatte, wie später sein Sohn (vgl. 1Mose 20). Auch führte Gott sein Volk Israel nach 2Mose 13,17 bei dessen Auszug aus Ägypten am Land der Philister vorbei. Ein Ereignis, welches nach Chronologie der Bibel ebenfalls über zwei Jahrhunderte vor den in Medinet Habu dargestellten Schlachten einzuordnenden ist. Demzufolge müssten die Philister auch schon weit früher im östlichen Mittelmeerraum gesiedelt haben.

Für die meisten Forscher gelten diese Bibelstellen allerdings schlichtweg als anachronistisch.[10] Doch vielleicht gab es ja schon frühere Siedlungsperioden der Philister und sie entstanden als einstige “Kolonie” der legendären kretisch‐minoische Hochkultur der Bronzezeit mit ihrem mythischen König Minos?[11] Bedenkt man die vielen kolonialen Querverbindungen verschiedener antiker Kulturen im gesamten Mittelmeerraum mit ihren z.T. recht weit voneinander entfernten Siedlungen (Phönizier, Punier, Griechen), wäre dies jedenfalls sehr gut vorstellbar.

Wenn man also das biblische Zeugnis nicht einfach dem momentanen Stand archäologischer Funde und deren Interpretationen nachordnen will, scheinen die Philister nicht erst nach ihrer möglichen Vertreibung von Kreta an der Mittelmeerküste des Nahen Ostens gesiedelt zu haben.[12] Vielleicht aber seitdem in letzter Konsequenz nicht mehr auf Kreta.

 

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[1] Vgl. Lawrence, S. 60

[2] Vgl. Dothan, S. 33

[3] Vgl. Ebd., S. 26

[4] Vgl. Ebd., S. 34

[5] Vgl. Luwian Studies

[6] Vgl. Lawrence, S. 60

[7] Vgl. Dothan, S. 35

[8] Vgl. Schulz

[9] Vgl. Max-Planck-Gesellschaft

[10] Vgl. Ehrlich, 2.1.

[11] Vgl. Dothan, S. 41

[12] Vgl. Ebd., S. 43

 

 

Quellen:

Dothan, Trude u. Moshe, Die Philister. Zivilisation und Kultur eines Seevolkes, München 1995

Ehrlich, Carl, Philister, in: WiBiLex, https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/philister-2/ch/cd77f0f88720e1449492bb2f7219b745/#h2, Zugriff vom 15.11.2020

Eissfeldt, Otto, Philister und Phönizier, in: Der Alte Orient. Gemeindeverständliche Darstellungen, Vorderasiatisch-Ägyptische Gesellschaft, Bd. 34, Heft 3, Leipzig 1936

Elkovicz, Dominik, Tempel und Kultplätze der Philister und der Völker des Ostjordanlandes. Eine Untersuchung zur Bau- und Kulturgeschichte während der Eisenzeit I-II, in: Alter Orient und Altes Testament, Bd. 378, Münster 2012

Lawrence, Paul, Die Bedrohung durch die Philister, in: Der grosse Atlas zur Welt der Bibel, 2. Auflage, Gießen 2017, 60-61

Luwian Studies, Hypothesen zu den Seevölkern, https://luwianstudies.org/de/hypothesen-zu-den-seevoelker-invasionen/, Zugriff vom 15.11.2020

Max-Planck-Gesellschaft, Goliaths Vorfahren kamen aus Europa, https://www.mpg.de/13665132/herkunft-philister, Zugriff vom 15.11.2020

Rienecker, Fritz (Hg.)/Gerhard Maier (Hg.) u.a., Philister, in: Lexikon zur Bibel, 2. Auflage Stuttgart 2015, 916-918

Schulz, Matthias, Inferno in der Bronzezeit, der Nullte Weltkrieg, in DER SPIEGEL, https://www.spiegel.de/spiegel/archaeologie-woher-kamen-die-seevoelker-am-mittelmeer-a-1102612.html, Zugriff vom 15.11.2020

Urquhart, John, Vom Auszug aus Ägypten bis zur Philisterzeit, in: Die neueren Entdeckungen und die Bibel, Bd. 3, Stuttgart 1905

Urquhart, John, Von der Philisterzeit bis zur babylonischen Gefangenschaft, in: Die neueren Entdeckungen und die Bibel, Bd. 4, Stuttgart 1903

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