Der 3. Israelkongress des Christlichen Forums für Israel (CFFI)

Gute und kontrovers-theologische Impulse aus Berlin

Während zur gleichen Zeit an der FTH die Israelwoche durchgeführt wurde, besuchten wir den dritten Israel-Gemeinde-Kongress in Berlin, welcher vom 8. bis zum 10. November statt-fand. Der Veranstalter war das Christliche Forum für Israel (CFFI) Deutschland. Durch die Vorträge der Konferenz sollten besonders zwei prägnante Fragen beantwortet werden: „Was bedeutet es für Christen, dass Israel und die Gemeinde Gottes Licht in die Welt reflektieren sollen und welche Konsequenzen zieht das nach sich?“. Zur Klärung dieser breit gefächerten Fragen wurden die verschiedensten Redner zum Kongress geladen. Darunter waren bei-spielsweise der Theologe und Journalist Johannes Gerloff, der Knessetabgeordnete Yehuda Glick und der Leiter eines Lehr- und Missionsdienstes in Israel Peter Tsukahira.

Am ersten Tag wurde nachmittags zunächst mit viel Lobpreis begonnen und einem Grußwort von Gottfried Bühler, welcher der Leiter von ICEJ Deutschland ist, und von Harald Eckert, dem Leiter von „Christen an der Seite Israels“ in Deutschland. Beide machten direkt auf unmissverständliche Weise deutlich, dass das heutige Israel ein zentraler Teil des Heilsplans Gottes sei und sich durch dessen Staatsgründung im Jahre 1948 und sein Fortbestehen viele Prophetien des Alten Testament erfüllt hätten. Diese Tatsache müssten die Christen verstehen und aus diesem Grund müssten sie mit allen Bestrebungen diesen Staat, diesen Plan Gottes, unterstützen.


Am späten Nachmittag sprach dann nun Yehuda Glick, ein Abgeordneter der Likud-Partei im israelischen Parlament und orthodoxer Rabbiner. Zunächst drückte er seine Freude über die Tatsache aus, dass das heutige Problem für das jüdische Volk lediglich eine „Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung“ darstelle und nicht wie vor 75 Jahren die „Endlösung“. Während des Kongresses werde die Liebe für die Juden tausend Mal stärker verkörpert, als der damalige Hass gegen sie. Er merkte an, dass heutzutage ein Problem beim Bibellesen bestehe (aus unserer Perspektive kann er nur das Alte Testament gemeint haben). Der in der Bibel beschriebene Exodus stelle lediglich nur „Peanuts“ dar, im Vergleich zum heutigen Exodus, der Rückkehr der Juden nach fast 2000 Jahren aus der ganzen Welt nach Israel. Solch eine Aussage ist je-doch mit Vorsicht zu genießen, denn sie relativiert die Größe des Exodus in der Bibel und es ist schwer zu beurteilen, ob beide Ereignisse gegeneinander gewichtet werden können.

Zusätzlich merkte er an, dass die Zahl 70 in der Bibel immer über die Beziehung zwischen Juden und Heiden spreche. Somit sei es kein Wunder, dass 70 Jahre nach der Staatsgründung Israels die Welt beginne, Jerusalem als die Hauptstadt des jüdischen Staates anzuerkennen. Mit „der Welt“ kann er neben den USA nur noch einige wenige andere Staaten gemeint haben. Zudem hatte Russland bereits im Jahr 2017 West-Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt. Jerusalem sei der „Heilige Palast“ Gottes, es sei somit nichts Politisches, sondern eher offensichtlich, dass die Welt diese Stadt, als das Zentrum Israels anerkenne. Gott habe gesagt, dass auf dem Tempelberg immer seine Gegenwart sein werde.

Den heutigen Tourismus nach Jerusalem bezeichnete er als die Erfüllung von Jesaja 2,2-3, und Jerusalem gehöre nicht lediglich einer Person oder einer Religion, sondern dem Gott aller Nationen. Gott sei nicht exklusiv, sondern inklusiv, und er beinhalte alles (an dieser Stelle verzichten wir darauf dies theologisch zu kommentieren). Als etwas ebenfalls Besonderes betrachtete er die „Tatsache“, dass Netanjahu heutzutage das einzige Staatsoberhaut der Welt sei, welcher mit allen anderen Staatsoberhäuptern sprechen könne, selbst mit den Führern von Saudi Arabien oder dem Oman. Diese Aussage ist bei näherem Hinsehen ungenau oder zu pauschal. Es ist zwar so, dass Netanjahu mit den Oberhäuptern von dem Oman und Saudi-Arabien Gespräche führen kann, jedoch nicht mit Assad in Syrien oder beispielsweise den Führern der islamischen Republik Iran und vielen anderen arabischen Staaten. Zugleich führte er an, dass der israelische Präsident der Einzige auf der Welt sei, welcher gleichzeitig mit dem russischen Präsidenten und dem amerikanischen Präsidenten sprechen könne und diese treffen könne. Auch das ist nicht ganz richtig. Beispielsweise pflegen der türkische Präsident Erdogan oder der chinesische Präsident Xi Jinping ebenfalls regelmäßige Beziehungen mit Washington D. C und Moskau. Im Vortrag erzählte er immer wieder über den Anschlag, welcher vor etwa vier Jahren in Jerusalem auf ihn verübt wurde.

Yehuda Glick schloss seinen Vortrag damit, dass er den Kongress als einen Beweis betrachte, dass Gott ein Gott der Harmonie sei, wenn Juden und Heiden 80 Jahre nach der Reichskristallnacht in Berlin zusammen kommen könnten, um Gott zu loben.


Am Abend sprach Peter Tsukahira. Er ist ein japanisch-stämmiger US-Amerikaner, welcher seit sehr langer Zeit in Israel lebt und dort der Gründer und Leiter des Missionswerkes „Or HaCarmel Ministry Center“ ist. Der Titel seines Vortrags war „Gottes Tsunami – Prinzipien der Ausbreitung des Reiches Gottes“. Was diese Begrifflichkeit mit dem Inhalt seiner Rede zu tun hatte, war nach seinem Vortrag nicht ganz ersichtlich, hatte es wohl mit einem von ihm verfassten Buch zu tun.

Er sei oft in Asien auf Reisen. Dort wüssten die Christen wenig von der Substitutionslehre und dies sei auch gut so. Zu tun habe das aber damit, dass sie leider zu wenig Kenntnis über die Kirchengeschichte besäßen. Hauptsächlich sei er in Israel tätig. Dort würden die offiziellen Führungskräfte des Landes immer wieder hervorheben, dass evangelikale Christen die größten Unterstützer Israels seien. Tsukahira meinte, dass dabei Jesus für die Evangelikalen nie ein ungewollter Gast sein dürfte. Diesbezüglich dürften sie nicht einfach nur an der Seite Israels stehen, sondern insbesondere an der Seite des Messias. Das ist wahrscheinlich nicht als eine Kritik an einem ‚Israelfanatismus‘ unter Christen zu verstehen, sondern lediglich als ein „Aufmerksammachen“ im Hinblick auf die jüdisch-messianische Identität Jesu.

Er sprach ebenfalls über die Kontextualisierung des Evangeliums. Diese sei notwendig gewesen, als das Evangelium aus Israel hinaus an die Nationen ging. Nun jedoch komme das Evangelium wieder nach Israel wieder zurück und das in seiner ‚ursprünglichen‘ Form. Das ‚originale‘ Evangelium komme zum Vorschein, wenn es für Juden kontextualisiert wird. Diese Aussage ist ein wenig widersprüchlich und sollte mit Vorsicht betrachtet werden. Es stimmt zwar, dass in der Mission immer auf irgendeine Weise das Evangelium kontextualisiert wird. Wenn jedoch von einer originalen Form des Evangeliums im Judentum gesprochen wird und davon, dass es nicht mehr seine Grundform besitzt, wenn es unter den Nationen verkündigt wird, dann werden theologische Weichen gestellt, die nicht der Intention der neutestamentlichen Schriften entsprechen dürften. Denn es gibt nur ein einziges, wahres und originales Evangelium. Dieses Evangelium gilt im gleichen Maße für die Juden, als auch für alle anderen Völker. Qualitativ und inhaltlich darf und kann nicht zwischen zwei Varianten unterschieden werden. Die Größe dieser einen Heilsbotschaft Gottes ist doch vor allem diese, dass sie nicht nur den Juden gilt, sondern allen Menschen, aus allen Nationen und dies im gleichen Maße.

Tsukahira sprach weiter darüber, dass das Reich Gottes nicht erst mit Jesus im NT anfange. Es beginne nicht erst im Matthäusevangelium in Kapitel 4, sondern es beginne mit dem Volk Israel. Das Reich Gottes habe seinen Anfang gefunden, als das Volk Israel aus Abraham er-schaffen wurde. Diese These allerdings gilt theologisch als weithin umstritten oder sogar als Irrtum bzw. als eine unscharfe Verwendung dessen, was denn – je nach biblischem Kontext – „Reich Gottes“ sein soll. In der Kirchengeschichte sei das Reich Gottes entweder „vergeistlicht“ oder auf religiöse Motive minimiert worden. Das Paradigma für das Reich Gottes sei jedoch Israel. Dabei meint Tsukahira aber nicht einfach nur ein geistliches Israel, sondern die Nation und das jüdische Volk auf der Erde.

Eine ähnliche Ansichtsweise vertrat Johannes Gerloff in seinem Vortrag am 10. November. Wie diese Ansichtsweise aber mit dem Kapitel Neun aus dem Hebräerbrief zusammenpasst ist fraglich. Die theologische Begründung blieb in beiden Fällen oberflächlich und nicht wirklich überzeugend. In der gesamten Kirchengeschichte hätten die Kirchenväter und die Reformatoren diese Tatsache nicht begriffen, nämlich, dass nicht die Kirche das Reich Gottes sei, sondern die Nation und das Volk Israel. Mit der Staatsgründung Israels vor 70 Jahre sei das Reich Gottes auf der Erde wieder vorhanden. Diese Tatsache sei größer als die Reformation und sie müsse die heutige Kirche verändern.

Es ist theologisch anstößig, dass das Reich Gottes lediglich auf den irdischen Staat Israel reduziert werde und somit wohl annähernd 2000 Jahre auf der Erde nicht vorhanden gewesen sei. Solche Thesen sind von der Bibel her exegetisch und theologisch schlichtweg nicht halt-bar. Darin überzeugten die Beiträge nicht.

Am zweiten Tag des Kongresses wurden mehrere Organisation vorgestellt, welche Juden in Israel selbst oder in anderen Teilen der Erde unterstützen oder zum Ziel haben, ihnen das Evangelium Jesu zu bezeugen. Stephan Lehnert, ein Leiter von ICEJ-Deutschland, sprach über Zusammenhänge der heutigen Alija-Bewegung (Rückkehr der Juden nach Israel). Es wurde erneut unterstrichen, dass Gott eine große Liebe zu Israel habe und dass das, was heute passiere, größer sei, als der Exodus des jüdischen Volkes aus Ägypten. Der Sprecher wollte klar stellen, dass die Worte aus Jesaja 11:11,12 und Hesekiel 28:25,26 nicht bereits mit der Rück-kehr des jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft erfüllt worden seien. Er fügte weitere Stellen an, welche die heutige Alija-Rückkehrbewegung vorhersagen würden, wie zum Beispiel Jeremia 23:7,8 und Jesaja 60:4,5. Das Ermutigende daran sei, dass wir als Christen heutzutage darüber nicht nur staunen dürften, sondern wir auch aktiv, beispielsweise durch praktische finanzielle Unterstützung für die zurückkehrenden Juden, daran beteiligt sein könnten. Auch im Neuen Testament könne von einer Unterstützung der Christen für die Juden gelesen werden, wie beispielsweise 2. Korinther 8:9 eine Geldsammlung für Juden in Jerusalem beschreiben soll. Auf gleiche Weise stünden die heutigen Christen auf der ganzen Welt in der Pflicht, Gottes Plan der Rückführung der Juden nach Israel zu unterstützen. Die These ist allerdings nicht wirklich überzeugend, ja, sogar insgesamt theologisch fragwürdig, da ihr der sachgerechte exegetische Unterbau zur Begründung fehlt.

Es wurden während des Kongresses christliche Dienste vorgestellt, welche verarmte Holocaust-Überlebende im Ausland unterstützen. Juden würden zudem auch mithilfe der ‚Jewish Agency‘ nach Israel gebracht werden. Dort werde von einigen Organisationen Integrationsunterstützung betrieben, denn die Integration sei nach der Alija-Rückführung eine der größten Schwierigkeiten für die in Israel fremden Juden. Dabei definiere der israelische Staat die Integration mit den folgenden drei Parameter: Sprache, kulturelle Zugehörigkeit und Arbeitsplatzperspektive.

Am Abend des 9. Novembers wurde ein öffentlicher Gedenkabend zu dem Anlass ‚80 Jahre Reichspogromnacht‘ veranstaltet, wozu einige Holocaustüberlebende eingeladen wurden. Dieser Abend wurde andächtig gestaltet. Er kann mit Recht als ein Höhepunkt der Konferenz bezeichnet werden. Siegbert Aron und Franz Michalski, zwei Holocaustüberlebende, wurden über den Abend hinweg näher zu ihrem Leben interviewt. Den Zuhörern bot sich ein äußerst wertvoller Einblick in ihr Leben. Insbesondere ihre Kindheitserinnerungen an die Zeit des Dritten Reichs waren eindrücklich. Ihre Erzählungen vergegenwärtigten die schreckliche Realität des damaligen Judenhasses und die daraus resultierende Judenverfolgung unter den anwesenden Gästen. Franz Michalski wurde mit seiner gesamten Familie während des Holocausts von verschiedenen deutschen Bürgern versteckt, und alle Angehörigen seines engeren Familienkreises konnten auf diese Weise überleben. Siegbert Aron und sein Vater wollten zunächst in die USA flüchten. Dort wurde jedoch der Asylantrag abgelehnt mit der Begründung, der Vater sei ein polnischer Bürger und es seien bereits genügend Polen in diesem Jahr in die Vereinigten Staaten emigriert. Dass der Vater jedoch kein Wort polnisch sprach, blieb damals unberücksichtigt. Alsdann flüchteten sie nach China, in die Stadt Shanghai. Nachdem der Krieg vorüber war, lebte er eine kurze Zeit in den USA, und bevor der jüdische Staat ausgerufen wurde, zog es ihn nach Israel. Dort musste er unmittelbar in der israelischen Luftwaffe dienen, als 1948 der israelische Unabhängigkeitskrieg ausbrach.


Die Erzählungen aus den Leben dieser beiden Zeitzeugen waren äußerst erschütternd und zugleich auch aufrüttelnd. Das Plädoyer bleibt: Nie wieder! Heutzutage muss deshalb jeglicher Form von Antisemitismus entschieden entgegen getreten und auf das Schärfste verurteilt werden. Angesichts dieser Berichte und antisemitischer Vorkommnissen, auch über die deutschen Grenzen hinaus, ist es nicht verwunderlich, dass Juden aus der ganzen Welt nach Israel emigrieren mussten und sie das noch immer tun. Für Juden gab es während der Zeit des Dritten Reiches kaum sichere Zufluchtsorte, geschweige denn ein eigenes sicheres Land. Daher ist es unser aller Pflicht keine Formen von Judenhass in unserem Land und auch anderswo zu dulden, sowie eine sich nach Israel (als Heimat) sehnende Haltung von Juden vorbehaltlos anzuerkennen. Es mag nicht alles im Verhalten und Reagieren des israelischen Staates vorbildlich sein, allerdings ist der „Judenstaat Israel“ auch ein Ergebnis jahrhundert-langer Verfolgungen (Pogrome) von Juden auf der ganzen Welt und besonders in Russland, Polen und in Deutschland. Diese Tatsache darf bei den Diskussionen nicht übersehen werden.

Am 10. November, dem letzten Tag der Konferenz, hielt unter anderem Johannes Gerloff einen Vortrag mit dem Titel „Das Reich für Israel – Bibelarbeit zu Apg. 1:6-8“. In der vorliegenden Bibelstelle (Apg. 1:6-8) wurde Jesus von den Jüngern gefragt, ob Jesus in dieser Zeit das Reich für Israel wieder aufrichte. Calvin habe diese Stelle mit den Worten kommentiert, dass in der Frage der Jünger mehr Irrtümer vorhanden seien, als Worte. Laut Gerloff habe Calvin mit diesem Kommentar die Worte Jesu verunehrt. Dies begründete er damit, dass Calvin mit seiner Aussage behaupten würde, dass Jesus Menschen ausgewählt habe, die keine Ahnung über den wahren Zustands Israels gehabt hätten. Das jedoch sei nicht vorstellbar, so Gerloff. Er erläuterte, was diese Frage zur Zeit der Jünger bedeutet habe. Zur Klärung konzentrierte er sich auf das griechische Wort „ἀποκαθιστάνεις“, welches an dieser Stelle „wiederherstellen“ bedeute. Es sei dasselbe Wort, welches Petrus in Apg. 3,21 benutze. In den Bibelstellen Jer. 16:15,16 / 23:8 / 24:6 würde dieser Begriff ebenfalls auftauchen. Bei diesem Wort handele es sich um einen sogenannten „Terminus technicus“, welcher die „Wiedereinführung des jüdischen Volkes in das jüdische Land“ beschreibe. Daher sei es im ersten Kapitel der Apostelgeschichte ein für die Jünger bekannter Kontext gewesen. Solch eine „Blindheit“ für die Tatsache der Wiederherstellung Israels, so Gerloff, ziehe sich durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch, und auch alle Reformatoren hätten sie vertreten.


Im Matthäusevangelium verbiete Jesus die Heidenmission, und Gerloff stellte klar, dass Jesus nur der König von Israel sei und nicht die so wörtlich: „Problemmutter der gesamten Welt“. Jesus sei zunächst nur der König Israels. Auf die Frage, weshalb er die Jünger beauftragte, hinaus in die Welt zu gehen, antwortete der Redner, dass die Jünger zunächst nicht wissen sollten, was mit Israel sei, sondern zuerst den Nationen das Evangelium verkündigen mussten. Gott habe ihnen, den Juden, die Augen und Ohren verschlossen. Dies sei der Grund weshalb Paulus während seiner Mission immer zunächst mit den Juden geredet habe, und nachdem diese das Evangelium abgelehnt hätten, er dann erst zu den Heiden gegangen sei.

In Jesaja 49:1-6 werde darüber gesprochen, dass Israel, das jüdische Volk, nicht gesammelt werde. Es sei eine inkorrekte Übersetzung, dass dort in den heutigen Übersetzungen stehe, dass Israel zu Gott hin gesammelt werde. Diese Sammlung geschehe nämlich zunächst nicht, damit die anderen Nationen Gottes Heilsbotschaft glauben könnten. Wenn wir diese Stelle heutzutage nicht korrekt übersetzen würden, nämlich dass Israel zunächst nicht gesammelt werde, dann verstünden wir das Kreuz nicht. Als weitere Begründung zog Gerloff Römer 11:11 heran. Dies sei der Grund, weshalb Jesus im ersten Kapitel der Apostelgeschichte den Jüngern antwortete, dass es in diesem Moment nicht an der Zeit sei, zu wissen, wann Gott Israel wieder aufrichte, sondern dass zunächst den Heiden das Evangelium verkündigt wer-den müsse.

Gerloff schloss damit ab, dass Jesus im Lukasevangelium 19:41-44 tatsächlich darüber weinen würde, dass die Kirche über die Juden in ihrer gesamten Geschichte spotten werde. Ebenfalls behauptete er, dass die Bibel keine platte Dogmatik hergebe, so wie es die Mehrheit der Kirche glaube und dass wir Christen nicht zum Vorrausschauen und zum Sinnen über Dogmatik berufen seien, sondern zur Nachfolge.

Die heutige Theologie erkläre ebenfalls die Verbindung zwischen dem Land und dem Volk Gottes als unbedeutend. Diese Theologien würden dadurch den Namen Gottes entehren. Wieso das so sein soll, wurde nicht stichhaltig begründet. Das Referat wurde mit den Worten geschlossen, dass nun endlich nach etwa zwei-ein-halb Tausend Jahren die meisten Juden auf der Welt wieder in Israel leben würden. In der Zwischenzeit, als das „Volk Gottes“ sich nicht in seinem Land befand, sei Gott entheiligt worden: „Jeder Jude, der nicht im Land Israel wohnt, entheiligt Gott“. Diese Aussage empfand ich als Zuhörer erstaunlich überstürzt, da doch am Abend zuvor zwei Holocaustüberlebende über ihre Schreckenserlebnisse gesprochen haben und diese Überlebenden heute in Deutschland leben, eben nicht in Israel. Mit solchen Worten indirekt zu behaupten, dass diese Holocaustüberlebenden mit ihrer Entscheidung, ein Leben in Deutschland zu führen, Gott entehren würden, ist in meinen Augen als mehr als gewagt zu bezeichnen.

In Berlin-Mitte wurde am letzten Tag der Kongress mit einer öffentlichen Kundgebung gegen Antisemitismus und für ein Israel mit Jerusalem als Hauptstadt abgeschlossen. Nach den antisemitischen Vorkommnissen in Berlin, von welchen in letzter Zeit immer wieder zu hören war, setzte diese Aktion ein wichtiges Zeichen. Dieses Aufmerksam-Machen auf die heutige Israel- und Judenfeindlichkeit war ein sehr positiv zu bewertender Bestandteil des Kongresses. In der heutigen Christenheit scheint eine solch entschiedene Haltung gegen Formen des Anti-Israelismus und Anti-Semitismus in Vergessenheit geraten. Das muss sich ändern.


Leider waren nach meiner Einschätzung nicht alle theologischen Aussagen in den Vorträgen des Kongresses überzeugend oder objektiv nachvollziehbar. Die Bedeutung des Bundesvolkes Israels wie auch die Verknüpfung mit dem Staat Israel bilden für die christliche Theologie besonders wichtige Bausteine. Wenn diese Bausteine jedoch auf der anderen Seite zu sehr überbewertet werden, man sie zum Zentrum der Theologie hochstilisiert, so dass sie beinahe wichtiger erscheinen, als das Evangelium selbst, dann verklärt man die Bedeutung dieser theologischen Bausteine. Dadurch wird das gesamte Bild einer biblisch gegründeten Heilsgeschichte Gottes verzerrt. Dieser Gefahr sollte man sich stets bewusst sein, wenn es darum geht, die Bedeutung Israels wieder weiter in das Blickfeld der heute betriebenen christlichen Theologie zu rücken.

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