Die Palästinenser – Volk im Brennpunkt der Geschichte

Johannes Gerloff bei der Buchvorstellung von "Die Palästinenser"

Johannes Gerloff bei der Buchvorstellung von „Die Palästinenser“

Heute möchte ich ein Buch vorstellen, das zwar schon seit einiger Zeit auf dem Markt ist, seitdem aber nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat: „Die Palästinenser“ von Johannes Gerloff.

Das Buch ist 2011 im Verlag SCM Hänssler erschienen. Sein Ziel ist, wie Gerloff im Vorwort schreibt, „Denkanstöße zu vermitteln, die dabei helfen mögen, die Situation im Nahen Osten besser zu verstehen“ (Seite 13). Der Weg zu diesem Ziel ist in diesem Buch nicht nur in der Weitergabe von Sachinformationen zu finden, sondern auch in persönlichen Erfahrungen und Berichten aus Gerloffs Arbeit in Israel und den umliegenden Ländern.

Der Autor

 Johannes Gerloff (geb. 1963) ist ein christlicher Journalist und Theologe, der seit Jahrzehnten in Israel lebt und arbeitet. Als Auslandskorrespondent des christlichen Medienverbundes KEP hat er die Nachrichtenagentur Israelnetz gegründet und aufgebaut – heute ist Israelnetz ein international renommiertes Portal für News aus Israel und dem Nahen Osten. Gerloff ist Mitglied einer messianisch-jüdischen Gemeinde in Jerusalem, er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Als Insider der israelischen Gesellschaft hat er einen sehr persönlichen Zugang zum Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern.

Der Inhalt

Das Buch „Die Palästinenser“ handelt von einer Menschengruppe, die mit dem modernen Israel so eng verbunden ist wie kaum eine andere. Wer auch immer sich für Israel interessiert – egal, welche politische oder religiöse Meinung er vertritt –, der muss sich auch für das Phänomen „Palästinenser“ interessieren.

Gerloff stellt und beantwortet in seinem Buch spannende und spannungsvolle Fragen: Wer sind eigentlich „die“ Palästinenser? Woher stammt der Name und was sagt er aus? Welche Rolle spielte Jasser Arafat, der „Vater des palästinensischen Volkes“, beim Prozess der Volkswerdung? Woher kommen die Palästinenser? Was kann man über ihre Mentalität sagen, ihre politischen Einstellungen, ihr Verhältnis zur Hamas und zur Fatah, über die angeblichen „Massaker“ israelischer Truppen in Sabra und Schatila, über palästinensische Selbstmordattentäter, Waffenhändler und Terroristen? Wie sieht der Alltag im Gazastreifen aus, wie kam es zur Al-Aqsa-Intifada und welche Rolle spielen palästinensische Christen im Konflikt zwischen Muslimen und Juden?

Johannes Gerloff klärt diese und andere Fragen sehr gelungen; fair, kompetent, oftmals wertend, aber immer gut begründet. Bei einem Thema, das politisch und religiös so aufgeladen ist wie die „Palästinenserfrage“, ist es unmöglich, nicht wertend zu sein. Gerloffs Blick auf die Palästinenser ist der eines bewussten Christen, eines westlichen Journalisten und eines bekennenden Israelfreundes. Dennoch bleibt Gerloff den Palästinensern gegenüber freundlich gesonnen (bei weitem keine Selbstverständlichkeit!) und versucht, den Sachverhalten objektiv, möglichst vorurteilsfrei, detailliert und sachlich argumentierend auf den Grund zu gehen. Das Ergebnis ist ein spannendes, manchmal herausforderndes, aber stets unterhaltsames und informatives Buch.

Die enge persönliche Beziehung zwischen Gerloff und seinem Thema prägt auch die Herangehensweise des Buches. Die Kapitel beginnen – in typisch journalistischer Manier – mit Anekdoten und Berichten Gerloffs. Immer wieder sind persönliche Sichtweisen und passende Geschichten aus dem Alltag in die Sachberichte eingestreut. Das macht das Buch praxisnah und lebendig. Gleichzeitig ist „Die Palästinenser“ auch ein ausgewiesenes Sachbuch, das bewusst sachlich bleiben möchte: Gerloff zeichnet sich durch einen umfangreichen Sachverstand aus und schenkt auch den kleinen und oftmals so wichtigen Details seines Themas die nötige Aufmerksamkeit. Was das Wissen um die Situation im Nahen Osten und die Insider-Kenntnisse über palästinensisches Alltagsleben angeht, ist Gerloff sicherlich einer der kenntnisreichsten Experten, die es momentan im deutschsprachigen Raum gibt.

Sein Buch ist weitgehend wissenschaftlich aufgebaut, alle Informationen sind gründlich recherchiert, die Schlussfolgerungen gut fundiert. Um seine Quellen aufzuzeigen, verwendet der Autor 279 Fußnoten. Dennoch wirkt das Buch nicht wie eine theoretische Abhandlung oder ein Lehrbuch: Die Anekdoten und Geschichten, die frische, lebendige Sprache, die narrative Herangehensweise und nicht zuletzt die 73 Abbildungen lassen es eher wie einen spannenden Roman oder eine Biografie erscheinen. Gerloff gelingt mühelos der Spagat zwischen Unterhaltsamkeit und Sachlichkeit. „Die Palästinenser“ nimmt den Leser mit hinein in die reale Welt des Nahen Ostens und zeigt das Leben dort, wie es (natürlich in ausgewählten Ausschnitten) wirklich ist – ohne Schönfärberei, ohne Nostalgie, aber auch ohne Schwarzmalerei und Pessimismus. Eine Welt, die geprägt ist von Hamas-Propaganda, Judenhass und Fanatismus, geprägt aber auch vom brennenden Wunsch nach Frieden und Freiheit – Gerloff zeichnet ein so umfassendes Bild der Palästinenser, wie es vor ihm noch niemand im deutschen Sprachraum getan hat, durchaus vergleichbar mit Peter Scholl-Latour.

Am Schluss seines Buches geht Gerloff ausführlich auf den biblischen Befund ein: „Was sagt die Bibel zur Palästinenserfrage?“ Detailliert und tiefgründig beschreibt er den wechselvollen Weg der biblischen Israeliten mit den Nachbarvölkern und den in Israel lebenden Fremden, die „negativen“ wie die „positiven“ Seiten. Dabei betont er stets,

„dass die Bibel ganz offensichtlich keine wie auch immer geartete ‚Blut-und-Boden-Theologie‘ vertritt. Rassismus lässt sich von der Heiligen Schrift her nicht begründen.“ (Seite 366)

Gerloff kommt zu dem Schluss, dass die Bibel in Bezug auf das Land Israel sehr eindeutig sei: Gott habe dem Volk Israel das Land, das die Grenzen des heutigen Staates Israel umfasst, anvertraut. Gleichzeitig aber sei „die Vision des Schöpfers ein Miteinander von Israel und seinen nichtjüdischen Nachbarn im Heiligen Land“ (S. 374), eine Sichtweise, die das Alte Testament eindeutig betone. „Fremdlinge“, so Gerloff, „haben zwar kein Recht auf das Land, wohl aber ein von Gott verliehenes Recht im Land. Entscheidend ist dabei nicht die Abstammung oder ethnische Zugehörigkeit, sondern die Einstellung zu dem einen lebendigen Gott“ (S. 374). Diese – politisch schwerwiegende und religiös heftig umstrittene – Konsequenz kann Gerloff erstaunlich gut anhand der Bibel begründen.

Je nachdem, welche Ideologie und vorgefasste Meinung der Leser mitbringt, wird sich „Die Palästinenser“ als ein harter Brocken – oder eine wohltuende Horizonterweiterung – erweisen. Seit seinem Erscheinen vor vier Jahren hat dieses Buch enormen Widerspruch und Ärger hervorgerufen, jedoch auch große Zustimmung und Lob erfahren. Natürlich kann kein Autor der Welt einem so vielschichtigen Phänomen wie der politischen Palästinenserbewegung in einem einzigen Buch gerecht werden. Natürlich ist es bereits eine grobe Verallgemeinerung, wenn Gerloff von „den“ Palästinensern spricht – betont er doch selbst, dass die Ethnien, Sprachen, Einstellungen, Religionen und Kulturen, die in diesem Begriff zusammengefasst werden, äußerst unterschiedlich sind. Natürlich pauschalisiert er, vereinfacht er, fasst er zusammen – weil der Stoff kaum anders literarisch zu bewältigen wäre, zumindest nicht auf 378 Seiten. Und natürlich lässt Gerloff auch dezidiert seine eigene Meinung in Darstellung und Bewertung der Sachverhalte einfließen, seine generelle Israelfreundlichkeit, seine Kritik am Islam, seine entschiedene Abscheu gegen den Terrorismus. Dennoch gelingt ihm das scheinbar Unmögliche, kein Feindbild aufzubauen und keine pauschale „Palästinenserkritik“ zu propagieren; Gerloff liegen die Menschen in seiner Wahlheimat am Herzen, auch und gerade die Palästinenser. Das wird bei der Lektüre immer wieder ersichtlich. Das Buch sorgt für Diskussionsstoff; man kann es interessiert, neugierig, freundlich, aber auch ablehnend und hinterfragend lesen. Die Darlegung aller schriftlichen Quellen, die Gerloff benutzt hat, lässt es zu, sich durchaus kritisch mit dem Buch auseinanderzusetzen, wenn man das will. Diese Quellentransparenz ist vorbildlich.

IMG_2712Insgesamt ist dieses Buch ein Muss für jeden, der über die Situation im Nahen Osten Bescheid wissen möchte, ein Muss für jeden, der sich eine begründete Meinung bilden will und ein Muss für jeden, der sich für Israels aktuelle Lage in der Weltpolitik interessiert. Unterhaltsam, spannend und plastisch schildert der Autor sperrige, schwierige und heiß umstrittene Themen, immer gewürzt mit persönlichen Erinnerungen und eigenen Kommentaren. „Die Palästinenser“ behandelt kein einfaches Thema, aber ein wichtiges; und das Buch lässt sich besser lesen als so mancher Roman. Ich empfehle jedem, es zu lesen und sich seine eigene Meinung zu bilden!

„Die Palästinenser“ von Johannes Gerloff ist 2011 im Verlag SCM Hänssler erschienen und kostet 19,95 € (gebundene Ausgabe, 378 Seiten).

(sg)

Titelbild: sg@privat

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