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Zum Zerfall des Judentums in den USA

Einem aktuellen Artikel der WELT zufolge steht es nicht gut um das amerikanische Judentum: Die dortige jüdische Gemeinschaft werde in den nächsten Jahrzehnten hauptsächlich aus orthodoxen Gruppierungen bestehen und damit immer kleiner, frommer und ärmer werden. Die Zeiten, in denen die USA „Komiker, Schauspieler, Intellektuelle, denen ihr Judentum ein Witz ist“, also Juden vom Schlage eines Woody Allen, hervorbrachten, seien vorbei. WELT-Autor Hannes Stein befürchtet, dass in den USA in einiger Zeit nur noch 2 Millionen Juden (heute 5,3 Millionen) leben werden. Wie es dazu kommen konnte, beschreibt er in seinem Artikel.

In den USA war es im Gegensatz zum europäischen Kontext stets „leicht“, ein Jude zu sein. Während hierzulande der Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft wieder salonfähig geworden sei (siehe die ARD-Reportage „Wie judenfeindlich ist Deutschland?“), weise Amerika eine Gesellschaft auf, in denen alle Mauern gefallen seien und zwischen Juden und Nichtjuden nicht mehr unterschieden werde.

Das führe vor allem dazu, dass Juden nicht länger unter sich bleiben, sondern beispielsweise Mischehen eingehen, in denen wiederum selten – bei den unter dem Durchschnitt liegenden 1,9 Kindern pro Frau – eine jüdische Kindererziehung stattfindet. Daneben bezeichnet sich Umfragen zufolge 20 % der amerikanischen Juden als nicht religiös (wir berichteten).

Für Stein ist dieser Trend vor allem an der Gruppe der Konservativen zu beobachten, die er als gemäßigte Richuntg zwischen Reformjudentum und Orthodoxie einordnet. Dieses in den USA einst wichtige und einflussreiche konservative Judentum schrumpfe drastisch: Obwohl es mit dem Jewish Theological Seminary in Manhatten noch eine eigene Universität unterhält, bezeichnen sich laut aktuellen Studien des Pew Research Center nur noch 18 % der amerikanischen Juden als konservativ – 2000 waren es noch 26 %, 1971 sogar 41 % aller Juden. Stein zitiert den konserativen Rabbi Edward Feinstein: „Unser Haus brennt … Wir haben vielleicht noch zehn Jahre. In den nächsten zehn Jahren werden wir einen rapiden Kollaps von Synagogengemeinschaften und der Organisationen erleben, die sie unterstützen.“

Wie reagiert das amerikanische Judentum auf diese Situation? Stein weist vor allem auf zwei Entwicklungen hin: Die Vermietung von Gotteshäusern an orthodoxe Gruppierungen, die zwar arm sind, aber im Gegensatz zu den anderen – vor allem durch die Kinderquote von 4,1 Kindern pro Frau – weiterhin wachsen, sowie eine zunehmende Offenheit bei der Aufnahme nichtjüdischer Ehepartner in ihre Gemeinschaft. Während diese früher mit viel Skepsis betrachtet wurden und die Konversion zum Judentum stets Bedingung für die Zugehörigkeit zur Gemeinde war, sind sie heute ausdrücklich willkommen. Diese sei weniger theologisch bedingt als ein Handeln aus der Not heraus.

Noch ein weiteres interessantes Phänomen wird in dem WELT-Artikel thematisiert: Immer weniger Juden in den USA können das Judentum definieren und vermischen ihr Judesein mit den Eigenschaften der gehobenen amerikanischen Mittelklasse. Als Beispiel zitiert Stein den jüdischen Journalisten Gabriel Roth, der laut eigener Aussage an seiner Religion vor allem die Intellektualität, die Nächstenliebe, die psychoanalytische Einsichten, den Humor und den Räucherfisch schätze – eine Liste, die (wenn überhaupt) bis auf das kulinarische Element auch auf viele andere Weltanschauungen zutreffen würde und bei der wohl kaum einer auf die Idee käme, hier werde das Judentum beschrieben.

Hannes Stein bringt auf den Punkt: „Die nichtorthodoxen Strömungen des amerikanischen Judentums lösen sich im Mainstream der Vereinigten Staaten auf wie eine Kukident-Tablette im Wasser.“

 

(jp)

 

Quellen:
 
http://www.welt.de/debatte/kommentare/article123596054/Der-Zerfall-des-amerikanischen-Judentums.html
http://www.pewresearch.org/topics/jews-and-judaism/
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/17174

 

 

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