Neue Funde in Qumran – Was ist drin und was ist dran?

In den berühmten Qumranhölen sind Archäologen auf eine neue Höhle gestoßen, die wohl als Aufbewahrungsort antiker Texte fungierte. Welche Schlussfolgerungen aus diesem Fund gezogen werden können, ist jedoch noch unklar. Kann der Fund neues Licht auf die Sensationsfunde der 1950er Jahre werfen? Oder findet sich hier nur ein schwaches Indiz, das lediglich zukünftige Ausgrabungen befeuern soll?

In den 1950er Jahren machten die sensationellen Qumranfunde medial die Runde. In den Qumranhöhlen verbargen sich damals 15.000 Textfragmente, die ca. 850 verschiedenen (biblischen und biblenahen) Texten zugeordnet werden konnten.[1] Dies hat nicht nur Archäologen und Textwissenschaftler gefreut – deren Job nun erstmal wieder gesichert war –,  sondern sorgte auch in der christlichen Theologie für mächtigen Aufruhr.  Zuerst natürlich in der Textkritik des Alten Testaments, die von nun an mit der Auswertung und Bearbeitung dieses erfrischenden Wirbelsturms von Textfragmenten einer neuen Mammutaufgabe gegenüber stand. Darüber hinaus beschäftigte sich jedoch auch der Rest der Bibelwissenschaftler mit den Sensationsfunden. Was sagen diese Texte über das Judentum des ersten Jahrhunderts aus? Und was können daraus für Schlussfolgerungen über das Verhältnis der neutestamentlichen Schriften zum Judentum gezogen werden? Die New Persepctive on Paul und die neuere Leben-Jesuforschung zehren je auf eigene Weise von den Sensationsfunden im Qumran.

Was verbirgt sich also hinter den neuen Funden in den Qumranhöhlen, von denen die Hebrew University of Jerusalem[2] berichtet?

Zuerst einmal: Was wurde überhaupt gefunden?

Es wurde eine Höhle gefunden, die mit ziemlich großer Sicherheit einmal antike Schriftrollen enthalten hat. Darauf weisen zahlreiche zertrümmerte Aufbewahrungsgefäße und einige Leder- und Pergamentreste hin. Des Weiteren wurde eine Spitzhacke gefunden, die wohl aus den 1950er Jahren stammt und darauf hinweist, dass die Schriftrollen in etwa zu diesem Zeitpunkt aus der Höhle gestohlen wurden.

Zusammenfassend kann also gesagt werden: Es wurde nach den 11 bisher bekannten Qumranhöhlen[3] die 12. Höhle gefunden, in der wohl antike (biblische oder bibelnahe) Texte gelagert wurden. Es wurden jedoch – um das noch einmal hervorzuheben – keine Texte gefunden, sondern nur Hinweise auf die Lagerung von Texten.

Keine Texte, keine Bedeutung?

Da keine weiteren Textfragmente in der neuen Höhle gefunden wurden, mag der eine oder andere sich vielleicht darüber wundern, dass so ein Hype um den neuen Fund gemacht wird. Immerhin kommentierte der Archäologe Dr. Oren Gutfeld von der Hebrew University den Fund folgendermaßen:

„This is one of the most exciting archaeological discoveries, and the most important in the last 60 years, in the caves of Qumran.“[4]

Was ist also so besonders an diesem Fund? Und was kann aus ihm geschlossen werden?

Nun, zuerst einmal ist der Fund etwas Besonderes, weil – wie Gutfeld zugesteht – in den 60 Jahren seit dem Sensationsfund kein Fund dieser Größenordnung stattfand. Es wurden eben seitdem keine weiteren Höhlen entdeckt. Von daher ist der Fund einer neuen Höhle ein positives Indiz dafür, dass die Qumranhöhlen als Lagerungsstätten von antiken Schriftrollen und Texten noch nicht in Gänze erforscht wurden. Es gibt also vielleicht noch weitere Höhlen und vielleicht auch weitere Texte zu entdecken.

Ähnlich prospektiv und optimistisch formuliert Israel Hasson[5]: “The important discovery of another scroll cave attests to the fact that a lot of work remains to be done in the Judean Desert and finds of huge importance are still waiting to be discovered.”[6]

Neben diesem Hoffnung machenden Element, das die neue Höhle als ein Licht am Ende des archäologischen Tunnels deutet und somit dem Archäologen neuen Mut schenken kann, ist der Fund auch mit einer Forderung verbunden. Nämlich der Forderung nach mehr Geldmitteln und einer Intensivierung der Suche, die dann apokalyptisch verdichtet in dem Horrorszenario mündet, das folgendermaßen läuft: Wenn wir die Höhlen nicht ausgraben werden, dann werden uns die Diebe zuvorkommen, die sich mit dem Verkauf antiker Texte zu bereichern suchen.[7]

Die Funktion der Höhlen und der Aufbau der Qumrangemeinschaft

Doch neben diesen ideenpolitisch geladenen Motiven der positiven Wertung des Fundes in Qumran gibt es auch einige sachliche Gründe den Fund als einen Fortschritt in der Forschung zu sehen. Denn auch wenn die neue Höhle keine neuen Texte hervorgebracht hat, kann sie doch ein neues Licht auf die Qumrangemeinschaft an sich und die spezielle Funktion der Höhlen in der Qumrangemeinschaft werfen. Die verschiedenen Theorien über die Qumrangemeinschaft können an dieser Stelle erneut auf den Prüfstand gestellt werden.[8]

Natürlich sind dies nur einige ausgewählte Felder, auf denen der neue Fund der Höhle relevant werden kann. Der Fund muss also noch weiter untersucht und schlussendlich publiziert werden, bevor die Forschung die Konsequenzen des Fundes sachgerecht ein- und abschätzen kann. Bis dahin macht der Fund jedoch weiter Hoffnung, dass die Erforschung von Qumran und des Judentums des ersten Jahrhunderts durch diesen frischen Wind neu entflammt wird und somit dieser wichtige Forschungszweig der Archäologie und der Bibelwissenschaft nicht vernachlässigt wird.

(tf)

[1] https://www.welt.de/geschichte/article161950488/Neues-Schriftrollen-Versteck-in-Qumran-entdeckt.html
[2] http://new.huji.ac.il/en/article/33424
[3] von denen Höhle 8 auch ‚nur‘ Hinweise auf Texte und keine Schriftrollen enthielt.
[4] http://new.huji.ac.il/en/article/33424
[5] Director-General of the Israel Antiquities Authority
[6] http://new.huji.ac.il/en/article/33424
[7] So mahnt Israel Hasson wörtlich an: “We are in a race against time as antiquities thieves steal heritage assets worldwide for financial gain. The State of Israel needs to mobilize and allocate the necessary resources in order to launch a historic operation, together with the public, to carry out a systematic excavation of all the caves of the Judean Desert.” (http://new.huji.ac.il/en/article/33424)
[8] Wie dies andeutungsweise geschehen kann siehe: https://www.welt.de/geschichte/article161950488/Neues-Schriftrollen-Versteck-in-Qumran-entdeckt.html

 

Fotos:
Qumran © privat

 

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