Was denken Juden über Jesus?

Eine einfache Antwort zu dieser Frage scheint es nicht zu geben, da eine große Verschiedenheit  in Bezug auf Glaubensinhalte und Sichtweisen unter den Juden vorhanden ist. Zu erwähnen ist auch, dass die meisten Juden sich nicht viel Zeit nehmen, um über Jesus nachzudenken. Es sind vor allem die christlichen Festtage, wie Weihnachten, oder die Erwähnung Jesu in den Medien, die für neuen Gesprächsstoff unter den Juden sorgt. Eine weitverbreitete Antwort, die zu hören ist, wenn man von Juden erfahren möchte, was sie über Jesus denken: „Wir sind Juden, keine Christen, und Jesus ist für Christen (d.h. Heiden) da.“ Von der großen Mehrheit im Judentum wird Jesus nicht als direkt relevante religiöse Gestalt betrachtet. Zu beobachten ist zugleich aber auch, dass heute mehr Juden wahrnehmen, dass Jesus Jude war.

Ultraorthodoxe Juden assoziieren mit Jesus einen abtrünnigen Juden, einen Erzfeind des jüdischen Volkes, den Gründer einer destruktiven Religion. Dieser Jesus hat ihrer Meinung nach über Generationen hinweg unaussprechliche Not und Verfolgung über das jüdische Volk gebracht. Damit sind vor allem Kreuzzüge, Pogrome und das Dritte Reich gemeint. Manche schenken den Neutestamentlichen Schriften Vertrauen, ohne mit dem Inhalt vertraut zu sein; andere wiederum machen vor allem Nachfolger Jesu, wie z.B. Paulus, für die anti-jüdische ‚Irrlehre‘ verantwortlich. Allgemein wird Jesus als Betrüger der breiten Masse der Juden betrachtet.

Weniger religiöse Juden sehen Jesus als bedeutenden Rabbi an, der von den Nachfolgern der nächsten Generation missverstanden oder falsch dargestellt wurde. Dieses Phänomen – so meine diese – führte zur Entstehung des Christentums. Jesus wird als Weiser, als Prophet oder aber auch als mutige Persönlichkeit betrachtet, die sich gegen die Tyrannei Roms aufgelehnt hat. Andere halten ihn für einen Mystiker oder Guru. Eine dritte Gruppe hat den Eindruck, dass man nicht viel über ihn wissen kann, da sie die Zuverlässigkeit der verfügbaren Quellen in Zweifel ziehen.

Diese verschiedensten Ansichten haben eines gemeinsam: Juden glauben nicht an Jesus, den Messias, und sie sehen ihn nicht als menschgewordenen Gott an, mit Ausnahme der meisten messianischen Juden.

In den vergangenen Jahrzehnten kam immer wieder der Wunsch von jüdischen Gelehrten auf, Jesus wieder als Juden zu sehen – einige davon sind orthodoxe Gelehrte. Selbst Schulkinder lernen in Israel etwas über Jeschua. Selbstverständlich wird er den Kindern nicht als Retter und Erlöser vorgestellt.

Der Name ‚Jeschua‘ ist die Kurzfassung von ‚Jehoschua‘ (Josua). Vergleichbar hiermit wären ‚Michael‘ und der im Allgemeinen verwendete Kurzname ‚Mike‘. Im Buch Sacharja wird ‚Jeschua‘ als יהושע (Jehoschua) erwähnt und im Buch Esra wird er mit ישוע (Jeschua) bezeichnet. Der Name ‚Jeschua‘ kommt im Alten Testament, dem Tanach, 27-mal vor. Er bezieht sich häufig auf den Hohen Priester Jeschua (auch Jehoschua), den Sohn des Jozadak nach dem Babylonischen Exil ca. (515-490 v.Chr.). Schon in Sacharja 6,12-13 wurde interessanterweise dieser Hohe Priester Jehoschua/ Jeschua als ein Symbol für den „Mann, der Spross genannt wird“ dargestellt. Das gilt als messianischer Titel (vgl. Jeremia 23,5).

Jeshua (der Gesalbte) wird im Talmud und in den rabbinischen Schriften (und von der Israelischen Bevölkerung bis heute) ‚Jeschu‘ genannt. Weshalb der Vokal am Schluss nicht gesprochen wird, das hat linguistisch-geschichtliche Gründe. So ist erwiesen, dass vor fast zweitausend Jahren der Schlussvokal in der Aussprache wegfiel. Das war nicht abfällig gemeint, es ist einfach die Art und Weise, wie sie diesen damals korrekt aussprachen. Wenn jedoch heute ein gläubiger Jude ‚Jeschu‘ sagt – besonders ein ultraorthodoxer Jude -, meint er etwas sehr Negatives damit. Die hebräischen Buchstaben j-sch-w werden mit den Wörtern jimasch schmo wsikro in Verbindung gebracht und diese bedeuten: „Möge sein Name und das Gedächtnis an ihn ausgelöscht werden!“ (Vgl. Apg. 4,12)

Eine herausfordernde Studie über die Probleme der Juden mit dem christlichen Jesus werden in dem Werk von Professorin Amy-Jill Levine The Misunderstood Jew. The Church and the Scandal of the Jewish Jesus (Der missverstandene Jude: Die Kirche und der Skandal um den jüdischen Jesus) dargestellt. Ihr ökumenisches Anliegen ist es, Judentum und Christentum voll anzuerkennen. Dies ist allerdings – wie man sich gut denken kann – ein äußerst schwieriges Unterfangen, man bedenke nämlich, dass Jesus nicht als Messias Israels von den Juden anerkannt wird, obwohl dies jedoch eine grundlegende Wahrheit im Zeugnis des Neuen Testaments ist.

Der babylonische Talmud (Entstehung des babylonischen Talmuds – der Mischna ca. 2. Jhdt. n.Chr.)  berichtet in Sanhedrin 43a wie folgt von Jesus: Er wird meist nur mit „jener Mann“ beschrieben. Zudem wird er als falscher Prophet, Verführer Israels, der Zauberei trieb, der über die Weisen spottete und fünf Jünger hatte, dargestellt. Am Vorabend des Pessach sei er gehängt worden, nachdem sich nach einer vierzigtägigen Suche kein Entlastungszeuge für ihn finden ließ (Mk. 14,53-64). Die Herkunft Jesu wird als Fehltritt Marias gedeutet. Demnach habe sie sich mit einem römischen Legionär eingelassen; das dabei entstandene Kind wurde dann dem „Heiligen Geist“ zugeschrieben. Dementsprechend war Maria für die talmudischen Rabbiner eine „Hure“. Jesus sei somit durch den römischen Vater „nicht nur ein Bastard, sondern der Sohn eines Nichtjuden“ gewesen. Die im Neuen Testament erwähnte Abstammung von König David könne er demnach nicht beanspruchen. Diese Erwähnung, wie auch der „Messias“ und „Sohn-Gottes-Anspruch“, waren für die Autoren des Talmuds reiner Betrug. Jesus wird als Promisk (sexuell freizügig) dargestellt, der mit einer Prostituierten verkehrt haben soll. Dies beweise – so die Auffassung gewisser Rabbiner, dass er kein Prophet gewesen sein könne.

Es ist hilfreich, auch das Urteil über Jesus aus orthodoxer Perspektive zu kennen. Es kann hilfreich sein, die Sicht orthodoxer Juden besser verstehen zu lernen. In den Jeschiwas (Thoraschulen) werden genau solche talmudischen Texte gelesen, studiert und diskutiert.

Was die Verfasserschaft und Entstehungszeit der biblischen Schrift angeht, besteht kein Anlass, die historische Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Darstellungen des Lebens Jesu zu bezweifeln. Lesen Sie dazu einen Beitrag von Prof. Dr. Armin Baum zu „Wer hat wann die Evangelien geschrieben?

(mr)

 

Quellen:
Brown, Michael L., Handbuch Judentum. Antwort auf die wichtigsten Fragen aus christlicher Sicht, Witten 2009, S.54-57
Brown, Michael L., Handbuch Judentum. Antwort auf die wichtigsten Fragen aus christlicher Sicht, Witten 2009, S.159-164
Cohn, Chaim, Der Prozeß und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Frankfurt 1997
Schäfer, Peter, Jesus im Talmud, Tübingen 2007, S. 45ff.
 
Internet:
http://www.armin-baum.de/wp-content/uploads/2010/06/Wer-hat-wann-die-Evangelien-geschrieben-2009.pdf
http://www.hagalil.com/judentum/rabbi/090823.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Jesus_au%C3%9Ferhalb_des_Christentums
http://de.wikipedia.org/wiki/Jeschua_(Hoherpriester)
 
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