Koschere Begierde: Das besondere der jüdischen Ehe

In einem provokativen Artikel in der Jüdischen Allgemeinen erläuterte vor kurzem Rabbi Shmuley Boteach, warum dem Judentum zufolge „Lust und nicht Liebe der Schlüssel zu einer erfolgreichen Ehe“ sei. Der Artikel beruht auf Auszügen aus Boteachs Buch „Kosher Lust: Love is not the Answer“, das der prominente Rabbi nach Büchern wie „Kosher Sex: A Recipe for Passion and Intimacy“ (1999), „Kosher Adultery: Seduce and Sin with your Spouse“ (2002) und „Kosher Jesus“ (2012) in diesem Jahr veröffentlichte.

Bei seiner These von der „koscheren Begierde“ unterscheidet der 47-jährige Rabbi aus den USA strikt zwischen der hebräischen Bibel, dem Alten Testament, und dem Neuen Testament. Während seiner Ansicht nach letztgenanntes die Rolle der Liebe beim Gelingen einer Ehe betone, stehe im Judentum das Gebot der gegenseitigen Begierde an erster Stelle. Boteach begründet dies mit den Zehn Geboten: Ihm zufolge impliziere das Verbot der Begierde fremder Frauen (2. Mose 20,17) im Umkehrschluss das Gebot, die eigene Frau sexuell zu begehren. Auch wenn die Betonung der Rolle der Sexualität in der Ehe sicher inhaltlich richtig ist, ist diese Herleitung des orthodoxen Rabbis angreifbar: Schließlich kann man aus dem Verbot, das Vieh des Nächsten zu begehren, auch nicht einfach schließen, dass das eigene Vieh begehrt werden soll. Vielmehr finden wir hier den Aufruf mit dem zufrieden zu sein, was man hat, sich und seine Errungenschaften nicht zu vergleichen und dem Neid zu verfallen.

Einen weiteren Beleg für seine These sieht Shmuley Boteach, der über die Vereinigten Staaten durch seine zahlreichen Bücher, seine TV-Shows sowie so manche provokative Aussage Berühmtheit erlangt hat, in dem Buch des Hohenlied. Der Talmud bezeichnet dieses erotische Liebesgedicht als das heiligste Buch der jüdischen Bibel. Boteach widersetzt sich jener rein allegorischen jüdischen Auslegung, beispielsweise von Maimonides im 12. Jahrhundert, der zufolge hier die innige Liebe zwischen der gläubigen Seele und Gott besungen werde. Auch in der christlichen Auslegungsgeschichte war die Deutung dieser von Salomo beschriebenen Liebesbeziehung auf Christus und die Gemeinde lange Zeit vorherrschend. Für den einflussreichen Fernsehrabbi liegt der Schlüssel zur Interpretation dieses biblischen Buches im Charakter Jahwes selbst: Seine Erscheinung im Dornbuch sowie als Feuersäule zeigen ihn als „einen Flächenbrand, ein tobendes Inferno, die Erschütterung selbst“, weswegen für den Menschen das Wichtigste sei, in seiner Beziehung zum Allerhöchsten die Leidenschaft zu finden. Dies gelte ebenso für jede andere Beziehung, in der der Mensch stünde.

Aus diesem etwas konstruiert erscheinenden Gedankengang schließt Boteach, dass nun das Hohelied uns zeige, wie die Leidenschaft neu entfacht werden könne: Seiner Meinung nach werde in diesem Buch nämlich stets nur der „Status des Hungers“ beschrieben, in dem die zwei Liebenden sich befinden. Weil sie einander ständig vermissen, sich aber gegenseitig nie zur Verfügung stehen und ihre Lust somit nicht vollzogen wird, verzehren sie sich in Leidenschaft füreinander. Andere (christliche) Deutungen widersprechen dieser Ansicht allerdings und arbeiten heraus, dass in Hld 3,6-5,1 mit Hilfe zahlreicher Bilder die Hochzeit des Paares beschrieben wird. Die Verse vorher sind demnach von besagter Zurückhaltung geprägt, während die anschließenden Formulierungen darauf hinweisen, dass die Ehe nun vollzogen wurde (vgl. 4,16 und 5,1: „Mein Freund komm in seinen Garten“ und „Ich bin gekommen in meinen Garten“).

Bleibt man bei der Auslegung des Rabbis, würde im Hohenlied die sündige und verbotene Lust beschrieben, die genau deshalb von einer solchen Leidenschaft gezeichnet ist. Dieses sündige Element ist für Boteach nun der Schlüssel für gelingende Ehen, die laut ihm oft deshalb langweilig würden, weil sie so legal seien. Er stellt deshalb die Frage: „Wie also kann die Ehe, die auf einem Vertrag und auf Exklusivität beruht, gleichzeitig von den Freuden der Sünde und des Eros profitieren?“ Und gibt selbst die Antwort, nämlich: indem „das Leben im Allgemeinen und die Ehe im Besonderen sündiger werden“.

Als frommer Jude, für den die eheliche Treue indiskutabel ist, meint der Rabbi mit dem „sündigen Unterboden“, dessen die Ehe bedarf, nicht etwa außereheliche Affären oder ähnliche im Widerspruch zur Heiligen Schrift stehenden sexuell-erotische Aktivitäten. Vielmehr propagiert er den Wandel von einer „kuscheligen Freundschaftsehe“ hin zu einer „Lustehe“. Es reiche nicht und werde deshalb im Alten Testament auch nirgendwo propagiert, dass Ehepartner als beste Freunde eine „kollegiale, freundschaftliche und ruhige Ehe“ führen. Boteach schreibt: „Was machen Sie mit Ihrem »besten Freund« – schauen Sie zusammen Fußball? Sind Sie keine Liebenden, sondern wohnen Sie in einer gemeinsamen WG? Wenn Sie über den Begriff »bester Freund« nachdenken, dann geht es dabei um eine sehr familiäre Beziehung, die nicht auf tiefer Begierde beruht. Und ich verspreche Ihnen: Sie werden Ihren besten Freund nicht heiraten.“

Ehe, so der progressiv denkende Rabbi, sei zwar auch Freundschaft, gehe jedoch darüber hinaus. Denn seiner Erfahrung nach liegt der Grund für Ehebruch bei Männern oftmals in dem Gefühl, von der Ehefrau nur noch für das geliebt zu werden, was sie – „als Brötchengeber, als verlässlicher Partner und guter Vater“ – liefern und nicht dafür, wer sie sind. Gleichermaßen sehnen sich ihm zufolge Frauen nach Männern, die als Liebhaber bis in ihr Innerestes vordringen und ihr Geheimnis enthüllen.

Shmuley Boteach sieht dieses Prinzip auch im Leben der Erzväter Awraham, Jizchak und Jakow begründet: Der Archetyp der Ehe in der Tora beruhe auch deshalb auf „glühender Leidenschaft“, weil zu eine Lustehe eine gewisse Distanz gehöre. Deshalb liege in dem kurzen Dialog aus 1. Mose 8,9 zwischen Abraham und den drei Besuchern eine große Aussagekraft: Auf die Frage, wo sich seine Frau Sara befinde, antwortete der Patriarch „Dort, in dem Zelt.“ Dies deutet für Rabbi Boteach darauf hin, dass das Paar getrennte Aktivitäten und Interesseren verfolgte. So könne ein Ehepaar „einander mehr geben, wenn es wieder danach zusammenkommt. Die Trennung macht die Gemeinschaft noch besser.“

Bei diesem Prinzip einer notwendigen guten Mischung zwischen gemeinsamen Interessen, aber eben auch unabhängien Aktivitäten würde dem prominenten Rabbi sicherlich so mancher Ehetherapeut vollstens zustimmen. Ob seine simplifizierte Gegenüberstellung zwischen dem Alten Testament, das die Lust betone, und dem Neuen Testament, das die Liebe betone, so stimmt, ist sicherlich anzuzweifeln. Denn neben der Tatsache, dass auch Christen das Alte Testament als richtungsweisend und Wort Gottes betrachten, spielen bei eventuellen Unterschieden immer auch kulturelle Gegebenheiten eine Rolle. Zudem propagiert allen voran der Apostel Paulus eindeutig die essentielle Rolle der Sexualität für das Eheleben (1Kor 7,3-5).

Dennoch können auch Christen, die zum Teil in Milieus aufgewachsen sind, in denen die Sexualität relativiert bis hin zu tabuisiert wurde, von Boteachs Ausführungen so manches lernen – und so sei dem orthodoxen Rabbi auch das Schlusswort dieses Artikels überlassen: „Ohne Eros zu leben, in Ignoranz zu existieren, ohne das Verlangen nach tiefer Erkenntnis: Das ist ein Leben in Finsternis. Mit »Dvekut« zu leben, mit starker Anhaftung an Gott und an den eigenen Ehepartner – das ist ein Leben voller Leidenschaft, Aufregung und Erschütterung: ein Leben, das sich zu leben lohnt!“

(jp)

 
Quellen:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/19359
http://www.shmuley.com/
http://en.wikipedia.org/wiki/Shmuley_Boteach
 
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