Einen Sommer Israel – Rückblick auf 50 Tage im Land der Bibel

Die einzige Demokratie im Nahen Osten, das Heilige Land, eine Startup-Nation – auf jeden Fall ist Israel interessant. Dieser Meinung waren die diesjährigen Gewinner der Sommeruniversität Colin Bergen und Philipp Wiens (wir berichteten) zusammen mit insgesamt rund 45 Teilnehmern in Be’er Sheva.

Rückblick von Philipp Wiens auf 50 Tage im Land der Bibel

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Tel Aviv

Es ist der zweite August und bald das Ende einer langen Reise: Frankfurt, Amman, Tel Aviv. Übermorgen soll das Sommeruni-Programm in Be’er Sheva, Israels Wüstenstadt, beginnen. Hierhin wollte ich unbedingt, jetzt ist es soweit. Dieses Jahr war meine Bewerbung erfolgreich, jetzt finanziert mir das Institut für Israelogie aus Gießen meinen Aufenthalt hier. Wir sind eigentlich zu zweit, aber durch Probleme bei der Flugbuchung reisen Colin und ich getrennt. Es ist Samstagnacht, Schabbat, das öffentliche Leben ist zum Erliegen gekommen. Trotzdem ist die Wartehalle im Ben-Gurion-Flughafen voller Leben.

Ich wechsle etwas Geld, ein Euro ist rund fünf israelische Schekel wert, und frage, ob es hier Internet-Empfang gibt. Klar, sagt der Mann am Schalter, und das ist einer meiner ersten überaus positiven Eindrücke, es gibt kostenloses Drahtlos-Netz im ganzen Flughafen. Ich habe keine Ahnung, wo ich die nächsten beiden Nächte schlafen werde, alle vorher aktivierten Beziehungen hatten nichts ergeben. Ist vielleicht auch ein Stück Abenteuerlust, auf Gott vertrauen zu können, auch wenn nicht alle Details geklärt sind.

Ich fühle mich jedenfalls auf Anhieb fast wie zu Hause, es ist geradezu seltsam. Das jüdische Volk lebt leichter als wir Deutschen, trotz der ständig angespannten Situation.

Im Internet finde ich die Telefonnummer einer altbekannten Jerusalemer Altstadt-Herberge. Als ich dort anrufe, ist es wohl ein Uhr nachts. Ja, ich kann kommen, auch um zwei oder drei Uhr. Ich warte schließlich auf eines der Sammeltaxis, das mich für umgerechnet 13 Euro nach Jerusalem bringen wird. Es ist sehr warm und schwül in Tel Aviv. Ein anderer Reisender und ich verwickeln uns in ein Gespräch. Ein sehr angenehmer Typ, er ist Palästinenser, lebt aber in Europa und hat die dänische Staatsbürgerschaft. Er ist Atheist, sagt er, Religion könne schnell gefährlich werden und Menschen gegeneinander aufbringen, so wie hier im Nahostkonflikt. Ganz unrecht hat er nicht, denke ich. Den Gaza-Streifen hält er für eine Tragödie.

Jerusalem

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Felsendom und Klagemauer in Jerusalem

Es ist Schabbat, ruft hinter mir eine Stimme auf Hebräisch. Ich bin inzwischen in Jerusalem angekommen und habe die Nacht im New Swedish Hostel verbracht. Schon beim letzten Mal hatte ich mich gefragt, was an dieser Jugendherberge neu sein soll und was schwedisch. Es ist jedenfalls günstig und sauber. Ich war um etwa drei Uhr nachts dort angekommen und hatte mich mit meinem Koffer über die von fahlem Licht beleuchteten und menschenleeren Altstadtgassen mit ihren vielen Stufen gekämpft.

Es ist Schabbat, ruft also jemand hinter mir. Ich befinde mich an der so genannten Klagemauer. Es handelt sich um das einzige übrig gebliebene Relikt des Tempels, den Herodes der Große um die Zeitenwende aufwändig renovieren ließ. Um 68 n. Chr. waren die Erweiterungsarbeiten endlich abgeschlossen, nur damit der Komplex zwei Jahre später von römischen Truppen niedergebrannt werden sollte. Mit dem Entstehen des Islam im siebten Jahrhundert entstanden hier der das Stadtbild prägende Felsendom und die Al-Aksa-Moschee.

Altstadtmarkt in Jerusalem

Altstadtmarkt in Jerusalem

Es ist Schabbat – mir ist sofort klar, dass damit der Mann vor mir gemeint ist, der hier mit seinem Smartphone fotografiert. Das ist an der Westmauer am Schabbat verboten. Ich fühle mich ein bisschen in biblische Zeiten versetzt. Muss wohl ähnlich gewesen sein, als Jesus am Schabbat den Gelähmten heilte und dieser sich rechtfertigen musste, weil er seine Liegematte trug.

Vor den Altstadtmauern der ewigen Stadt

Vor den Altstadtmauern der ewigen Stadt

Es ist Schabbat und die archäologische Anlage rund um die Reste der alten Davidsstadt hat leider geschlossen, wie ich eine halbe Stunde später merke. Ich treffe dort aber drei Amerikaner, Evangelikale, aus Dallas, Texas, und wir verstehen uns auf Anhieb ziemlich gut. Wir fahren zusammen zum Ölberg. Knorrige Ölbäume erwarten uns im Garten Getsemane, eingerahmt von einer großen Anlage, nebenan eine wuchtige Kirche.

Wie es hier wohl früher war? Schwer vorstellbar. Diese Stadt ist übersät von Kirchen, Moscheen, Synagogen, heiligen Stätten, eingerahmt von einem blühenden Religions-Tourismus, faszinierend und abstoßend zugleich, verwinkelt, kompliziert, bedeutungs- und konfliktgeladen.

Be’er Sheva

„Richtiges Verhalten bei Raketen- oder Granatenbeschuss oder Erdbeben“: Wer ein Dokument mit diesem Titel zur Begrüßung vorgelegt bekommt, möchte vielleicht am liebsten wieder abreisen. Trotzdem verliefen die rund 40 Tage in der Nähe von Gaza-Streifen und Sinai-Halbinsel für uns rund 45 Teilnehmer der Sommer-Uni vollständig ereignislos. Natürlich nur, was das Thema Sicherheit angeht.

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Universitätscampus in Be’er Sheva

Sicherheitsvorkehrungen sind fast allgegenwärtig: Auf den Uni-Campus zum Beispiel kommt man nur durch einen gesicherten Eingang, an dem man seinen Ausweis vorzeigen, seine Tasche durchsuchen lassen und einen Metalldetektor passieren muss. Das Studentenwohnheim, in dem wir untergebracht sind, gleicht einer Festung, das Tor ist elektronisch gesichert.

Be’er Sheva ist, im Gegensatz zu Jerusalem, keine alte Stadt. Zugegeben: Der Name, „Siebenbrunnen“, oder „Schwurbrunnen“, geht auf Abraham zurück, der hier mit dem Philisterkönig Abimelech einen Friedensvertrag schloss (1Mose 21). Bis auf einen kleinen Bahnhof aus osmanischer Zeit und einem Soldaten-Friedhof aus britischer Mandatszeit birgt die sechstgrößte Stadt Israels aber kaum Historisches. Als Wüstenstadt ist sie geprägt vom Pioniergeist David Ben-Gurions, des ersten Ministerpräsidenten. Ben-Gurion träumte davon, die Negev-Wüste Südisraels zu einer einzigen Oase zu machen.

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Die Oase Ein-Ovdat
 in der Negev-Wüste

Das Ergebnis ist mehr als erstaunlich. Die „Hauptstadt des Negev“ zählt über 200.000 Einwohner, die Universität hier über 18.000 Studenten. Auf den Straßen-Mittelstreifen wachsen Palmen und Kakteen, es gibt viel Industrie, Shopping-Malls, Spielplätze, Schulen. Aber auch Armut: Manche Stadtteile sind in desolatem Zustand, baufällige Plattenbauten säumen eine der Hauptstraßen auf einer Seite.

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Der Weg zu Felsenfestung Massada

Unser Programm beinhaltet hauptsächlich einen Hebräisch-Sprachkurs. Von Sonntag bis Donnerstag, jeweils von neun bis halb eins am Vormittag. Wir sind entsprechend unseren Vorkenntnissen in Gruppen von rund zehn Personen aufgeteilt. Unsere Hausaufgaben reichen für zwei Stunden am Nachmittag. Der Rest des Tages ist zunächst für einen Vortrag zu einem einschlägigen Thema reserviert und dann für einen geselligen Abend. Die Freitage sind für Exkursionen verplant: durch Be’er Sheva und die Negev-Wüste, nach Jerusalem, ans Tote Meer.

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Blick von Massada auf das Tote Meer

Eindrücklich waren für mich die Vorträge über die Siedlerbewegung und über die Wasserversorgung in Israel. Sehr bewegend war es auch, als wir – noch einmal zu Besuch in Jerusalem – die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchten. Eine kleine Gruppe von uns Teilnehmern besuchte auch jeden Freitagabend eine lebendige christliche Gemeinde in Be’er Sheva.

Auch, wenn es hier eigentlich viel zu erzählen gibt: Die Zeit verging wie im Flug und schließlich hielten wir am Abschlussabend bei gutem Essen und selbstgemachter Unterhaltung zufrieden unsere Sprachzertifikate in der Hand, die uns bescheinigten, 120 Stunden Hebräisch gelernt zu haben.

Haifa

Schließlich verbrachten Colin und ich noch einige Tage bei einer befreundeten Familie in Haifa, im Norden von Israel. Israelis sind gastfreundlich und unkompliziert, merkten wir. In Haifa leben Juden und Araber zu gleichen Teilen friedlich zusammen. Erstaunlich war hier, wie auch sonst in Israel, wie viel Russisch man hört. In Haifa erlebten wir Yom Kippur, den Versöhnungstag, an dem viele Juden fasten und in den Synagogen eine intensive Bußliturgie gebetet wird. Noch ein Besuch in Tel Aviv und der Israel-Sommer neigte sich dem Ende zu.

Sonnenuntergang am Strand von Tel Aviv

Sonnenuntergang in Tel Aviv

Was bleibt? Viele Erinnerungen an ein Volk wie jedes andere, das doch so herausragt, ein Volk mit einem unbeugsamen Ja zum Leben, gespalten und auf der Suche nach seiner Identität. Erinnerungen an ein Land mit einer schroffen Natur, einer alten Sprache, viel Brainpower und großen Problemen. Das Volk der Bibel wie in biblischer Zeit: menschlich.

(Philipp Wiens)

Fotos: © privat

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