„Eine Stadt ohne Juden ist wie Brot ohne Salz“

Zurück in die Vergangenheit: Jüdische Händler im christlich-muslimischen Spannungsfeld des 9.-12. Jahrhunderts

Im Vergleich zu den christlich regierten Königreichen fanden die Juden in der Welt des arabischen Großreichs ab dem 8. Jahrhundert oftmals Raum, um sich dort niederzulassen und um ein Leben zu führen, das von der übrigen Bevölkerung weitgehend geduldet wurde. Monotheistische Minderheiten, wie das Judentum, erhielten beispielsweise im arabischen Großreich Reise- und Niederlassungsfreiheit. Dieses arabische Reich erstreckte sich von Spanien aus über Nordafrika bis nach Persien, dem heutigen Iran.

In den stark wirtschaftlich geprägten Städten entstanden vergleichsweise rasch wachsende jüdische Gemeinden, welche durch ihre dazugehörigen Kaufleute einen nennenswerten Beitrag zu der ökonomischen Kraft in der jeweiligen Region leisteten. Zwar existierten in der  islamischen Welt auch politische Grenzen zwischen den Großreichen, jedoch lagen keine Hürden für den Handel vor, so dass sich die muslimische Mittelmeerwelt zu einer einzigen Freihandelszone entwickelte.

Da den Juden in der Landwirtschaft hohe Abgaben aufgezwungen wurden, waren diese den muslimischen Bauern gegenüber nicht mehr konkurrenzfähig. Sie sahen sich deshalb genötigt, sich ausschließlich in den Städten anzusiedeln. Die Juden nahmen einen von den Muslimen geforderten bescheidenen Lebensstil an und versuchten, ihren Besitz vor der Öffentlichkeit bedeckt zu halten, um keinen Neid aufkommen zu lassen. Es herrschte eine Art ökonomische Globalisierung in der arabischen Welt, da freier Handel von Spanien bis an die Grenzen des damaligen Chinas betrieben wurde.

Karawane

Im Zeitraum vom 9. bis zum 12. Jahrhundert reisten etliche jüdische Händler in diesen Gebieten als Händler umher, um ihre Waren zu verkaufen. Da sie trotz der Reisen nicht gegen den Sabbat verstoßen wollten, präferierten viele von ihnen den Seeweg, damit sie sich am Sabbat nicht zu weit über Land fortbewegten. Die Kosten, um eine Karawane in Nordafrika am Sabbat für einen Tag lang anzuhalten, konnten von den meisten schlichtweg nicht aufgebracht werden. Alte ägyptische Dokumente beweisen, dass manche Reisen, an deren Ende nicht selten auch neue Handelsposten gegründet wurden, sich bis an die Küsten des Indischen Ozeans erstreckten. Durch die oftmals an den Handelsrouten liegenden Wohnorte der jüdischen Bevölkerung entstand eine Gemeinschaft, in welcher die unterschiedlichsten Waren, Dienstleistungen, Ideen und Technologien untereinander ausgetauscht wurden. Die Anwesenheit der Juden als Händler und Reisende in den Städten wurde von der arabisch-muslimischen Bevölkerung hoch geschätzt, eine Tatsache, die auch in einem alten marokkanisches Sprichwort gut zum Ausdruck kommt: „Eine Stadt ohne Juden ist wie Brot ohne Salz.“

Marokkanische Stadt

Jüdische Schriften aus der Zeit zeigen auf, wie sehr die jüdischen Kaufleute das Leben in den Synagogen beeinflussten. In einem Brief heißt es: „Die Synagoge ist verlassen, weil die Leute aus dem Maghreb fort sind.“ Das damalige Synagogenleben in den arabischen Ländern war somit von der Anwesenheit der Händler abhängig. Zwar war der Mittelmeerraum in einen christlichen und muslimischen Teil gespalten und die jeweiligen Machthaber installierten Zollstationen. Doch waren beide Seiten auch daran interessiert, den freien Handelsraum aufrecht zu erhalten. Genau an dieser Stelle waren die jüdischen Händler von großem Nutzen. Die politischen Grenzen waren für diese nebensächlich. Sie konnten quasi als Zwischenhändler der christlichen und muslimischen Parteien agieren. Die Geschäftsbeziehungen der jüdischen Kaufmannsfamilien mit ihren jeweils christlichen und muslimischen Handelspartnern wurden als „formelle Freundschaft“ bezeichnet. Trotz der angespannten Handelsbeziehungen zwischen Christen und Moslems genossen die Juden einen gewissen ‚Status‘ als Vermittler.

Jüdische Kaufleute handelten mit vielen begehrten Produkten aus den verschiedensten Regionen, von zeitgenössischen Massenerzeugnissen bis hin zu Luxusgütern. Die Händler gehörten wohl auch zu den Ersten, welche die Wichtigkeit des Kredits und dessen Bedeutung im Fernhandel erkannten. Die sogenannten „Suftadscha“ waren innovative Kreditbriefe, welche vor allem bei der Abwicklung von Geschäften über große Entfernungen zum Einsatz kamen. Nach historischen Erkenntnissen entwarfen die jüdischen Bankiers von Bagdad dieses frühkapitalistische Instrument, das erlaubte, nicht Mengen an Edelmetall mit sich führen zu müssen, sondern lediglich einen  Kreditbrief, der am Zielort in Bargeld umgetauscht oder als Zahlungsmittel eingesetzt werden konnte.

Das arabische „Buch der Straßen und Königreiche“ (Kitab el-Masalik wa’l Mamalik) aus dem 9. Jahrhundert berichtet uns ebenfalls von bemerkenswerten Handelsaktivitäten einer international agierenden jüdischen Handelsfirma, den „Radhaniten“, deren Hauptsitz sich in Südfrankreich oder im heutigen Spanien befand. Ihre Aktivitäten erstreckten sich über Europa, Afrika und Asien, und sie besaßen ihre Handelsstationen in Form von Filialen in mehreren Häfen und bedeutenden Außenposten. Sie sprachen hauptsächlich Hebräisch, Arabisch, Persisch und Griechisch, wobei jedoch den jüdischen Kaufleuten untereinander das Hebräisch als „lingua franca“ diente, da die gebildeten Juden in der gesamten Welt des Hebräischen mächtig waren. Ebenfalls garantierte ihnen die jüdische Tugend der Gastfreundschaft für Stammesverwandte die nötige Sicherheit auf den langen Reisen in fremden Ländern.

Im 10. Jahrhundert begann sich die Situation für jüdische Händler teilweise zu ändern. Italienische Fürstentümer versuchten, in den Nahen Osten zu expandieren, um dort Fuß zu fassen. Später begannen sie, die Juden, jüdische Händler und jüdische Waren aus dem internationalen Handel auszuschließen und machten auf den Märkten Stimmung gegen sie. Diese Vorgehensweise weist in manchen Aspekten Parallelen zur heutigen israelfeindlichen Boykott-Bewegung „BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) auf.

Als ab dem 12. Jahrhundert die arabische Welt einen immer feudaleren Charakter annahm, begannen auch Muslime, die Juden aus dem Handel zu verdrängen. Muslimische Handwerkergilden, welche mit islamischen Orden in enger Verbindung standen, gewannen immer mehr Einfluss auf den Handelsplätzen und ließen es nicht zu, dass Juden als Mitglieder aufgenommen wurden. Die Situation der jüdischen Händler samt den jüdischen Gemeinden vor Ort wurde immer prekärer. Zwar war es üblich, dass die wohlhabenden Mitglieder der Synagoge für die Bedürftigen aufkamen, jedoch reduzierte sich die Anzahl der finanziell starken Mitglieder gewaltig, und immer mehr waren auf Unterstützung angewiesen. Somit waren auch in dieser Zeit die Juden auf das Wohlgefallen ihrer muslimischen oder auch christlichen Mitbürger angewiesen.

Die Betrachtung solcher historischen Begebenheiten ist das eine. Es ist dabei sehr erfreulich, zu sehen, dass es durchaus auch immer Mal wieder ein einigermaßen friedliches Zusammenleben zwischen Muslimen und Juden und teilwiese auch mit den Christen gab, auch wenn zu bedauern ist, dass die Ablehnung des Judentums unter Muslimen wie Christen oftmals nach Phasen des Friedens zunahm.

Daher ist es zum anderen so wichtig, dass die Möglichkeiten des Miteinanders im Alltäglichen, Kulturellen, Wirtschaftlichen und Religiösen zwischen Juden, Muslimen und Christen nicht übersehen werden. Es war einst möglich. Wieso sollte es nicht wieder möglich werden?

LGarcia

Literatur:        Nicholas De Lange, Illustrierte Geschichte des Judentums, Campus Verlag, Frankfurt/New York; Auflage: 1 (2000)

Zurück