Autofahren am Sabbat?! – Orthodoxe Juden und die Bedeutung der Sabbatgebote

orthodoxe_judenpixabayDie peniblen Sabbatgebote des orthodoxen Judentums heutiger Tage wirken auf den westlich geprägten Bürger oft etwas befremdlich. Wozu diese ganzen Regeln? In diesem Artikel soll diese Frage vor dem Hintergrund eines skurril anmutenden Gebotes beantwortet werden, nämlich des Verbotes, am Sabbat Auto fahren zu dürfen.

„Der Sabbat ist der eigentliche und im Grunde höchste Feiertag. Die Einführung eines allgemeinen Ruhetages nach jeweils sechs Werktagen stellt eine große soziale Errungenschaft dar, die durch das Judentum geschaffen wurde.“[1] Der Sabbat stellt für Juden also ein zentrales Ereignis als Ausdruck ihrer Gottesbeziehung dar, das sich wöchentlich wiederholt. Jeden Freitag wird in der Synagoge der Sabbat begrüßt, der Tag wird festlich begangen und es gibt viele Extraregeln, die an rein „profanen“ Tagen nicht gelten. Diese „Extraregeln“ haben im Judentum eine lange Tradition. Sie gehen teilweise zurück auf die zwischentestamentarische Zeit und die Ursprünge des rabbinischen Judentums. Diese starke Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem, zwischen Alltag und Ruhetag ist in Zeiten von verkaufsoffenen Sonntagen und Mitternachtshopping für den säkularisierten Europäer kaum noch verständlich, selbst dann, wenn er sich noch irgendwie religiös versteht. Warum diese starke Trennung? Kommt es nicht eigentlich vielmehr auf die innere religiöse Haltung an als auf die äußerliche Form der Unterscheidung von Heiligem und Profanem? – So oder ähnlich klingt häufig die Frage, die sich im Grunde als unverständlicher Vorwurf der westlich geprägten Christenheit gegen jüdische Gesetzesfrömmigkeit entpuppt. Doch für Juden ist diese sichtbare Unterscheidung ein wichtiges Element des Sabbats. Denn: „Nachdem der Sabbat beendet ist, also nach Einbruch der Nacht, wird sowohl in der Synagoge zum Abschluß des werktäglichen Abendgebets als auch zu Hause die Zeremonie der Hawdala (Unterscheidung) durchgeführt, die Trennung zwischen Feiertag und Werktag, zwischen Heiligem und Profanem.“[2]

orthodoxer_judenpixabayDiese religiöse Betonung des Sabbats ist für Juden durchaus biblisch fundiert: Das Sabbatgebot ist das einzige Gebot, dass seine Begründung im „Grundgesetz“ – den zehn Geboten – des Volkes Israels findet. Und darüber hinaus wird dieses Fest nicht nur als menschliche Ordnung zum rechten Zusammenleben angesehen, die von Gott geboten wurde. Nein! Gott selbst hielt den Sabbat. Gott selbst „arbeitete“ im Schöpfungsakt sechs Tage und „ruhte“ am siebten Tag. Diese schöpfungstheologische Begründung findet sich explizit in den zehn Geboten (zumindest in der Ausformulierung der zehn Gebote im Buch Exodus) und implizit in der Ursprungserzählung der Genesis. Dass die Regeln für den Sabbat für einen streng gläubigen Juden also von höchster religiöser Wichtigkeit sind, wird von diesem alttestamentlichen Blickwinkel her einsichtig. Weiterhin wird dieser Eindruck unterstützt durch rabbinische Deutungen und Auslegungen der entsprechenden Passagen, die dann im Judentum weite Verbreitung fanden.

Doch trotz dieser fundamentalen religiösen Fundierung des Sabbatgebotes wirken manche Sabbatgebote orthodoxer Juden auf den westlichen Menschen von heute, selbst wenn er sich als bibelnah versteht, befremdlich. Exemplarisch soll daher eines dieser Gebote herausgegriffen und erklärt werden. Dabei soll die folgende Frage behandelt werden: „Warum fahren streng an Traditionen gebundene Juden am Sabbat kein Auto?“

Auch das Verbot, am Sabbat Auto zu fahren, gründet in einer Bibelstelle: Exodus, 35,3. Dieser Vers steht im Kontext der wiederholten Proklamation des Sabbatgebotes durch Mose vor dem versammelten Volk. Der Textabschnitt lautet: „1Und Mose versammelte die ganze Gemeinde der Israeliten und sprach zu ihnen: Dies ist’s, was der HERR geboten hat, dass ihr es tun sollt: 2Sechs Tage sollt ihr arbeiten, den siebenten Tag aber sollt ihr heilig halten als einen Sabbat völliger Ruhe, heilig dem HERRN. Wer an diesem Tag arbeitet, soll sterben. 3Ihr sollt kein Feuer anzünden am Sabbattag in allen euren Wohnungen.“ Der Ernst des Kontextes mit der Androhung der Todesstrafe ist hier unübersehbar. Auch dabei zeigt sich wieder: Die Einhaltung der  Gebote des Sabbats muss ernstlich befolgt werden. Es dürfen hier keine Nachlässigkeiten geduldet werden. Und so falle auch der Vorgang der Zündung im Auto unter dieses Verbot, denn es sei ja streng genommen auch das Anzünden eines Feuers, wenn man das Auto startet (Zündkerze) und damit ein am Sabbat verbotener „kreativer Akt“ des Menschen.

landschaftpixabayEine weitere Begründung dieses Verbotes wird durch Exodus 26,29 geliefert: “Sehet, der HERR hat euch den Sabbat gegeben; darum gibt er euch am sechsten Tage für zwei Tage Brot. So bleibe nun ein jeder, wo er ist, und niemand verlasse seinen Wohnplatz am siebenten Tage“. Der Mensch solle am Sabbat also seinen Wohnort nicht verlassen. Auch wenn dieses Gebot sich biblisch in dem Kontext des Manna-Sammelns befindet und sicherlich ursprünglich nicht im strengen Sinne Allgemeingültigkeit beanspruchte, haben einige Rabbis im Altertum dieses Gebot genauso, nämlich in einem allgemeinen Sinn gelesen und ausgelegt. Aus diesem Grunde „ […] neigen orthodoxe Juden auch dazu, nah beieinander zu wohnen und nur einen Fußweg entfernt von der Synagoge, wo sie sich alle mit ihren Familien treffen.“[3]

Auch wenn die Begründungen dieses speziellen Verbotes nur auf den ersten Blick überzeugend wirken und beim näheren Betrachten des Kontextes, zumindest in Bezug auf Ex. 26,29, sich die Lage etwas anders darstellt, sollte einsichtig geworden sein: Der Sabbat ist der zentrale Feiertag im Judentum, und er nimmt als heiliger Tag auch im Alten Testament eine zentrale Rolle ein. Vor diesem Hintergrund ist die starke Betonung von Geboten und Verboten am Sabbat, die in ihrer Detailliertheit für den heutigen westlich geprägten Bürger eventuell als äußerst skurril erscheinen, verständlich. Denn diese Gebote sollen die Ehrfurcht vor dem einen Gott, der den Sabbat selbst hielt und in der Schöpfung und am Sinai eingesetzt hat, in irdischer Form darstellen.

[1] http://www.zentralratdjuden.de/de/topic/75.feiertage.html; Heinrich Simon: Jüdische Feiertage, Verlag Hentrich und Hentrich und Centrum Judaicum Berlin, 2003

[2] Ebd.

[3] Brown, Michael L., Handbuch Judentum – Antwort auf die wichtigsten Fragen aus christlicher Sicht, Witten 2009, 79f.

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