Die 9. Franz-Delitzsch-Preisverleihung

Büchertisch mit der institutseigenen Bücherreihe EDIS.

Die 9. Franz-Delitzsch-Preisverleihung des Instituts für Israelogie fand am 24. April d. J. im Plenarsaal der Freien Theologischen Hochschule (FTH) statt. So wie jedes Jahr wurden auch diesmal ein Franz-Delitzsch-Hauptpreis sowie Franz-Delitzsch-Förderpreise verliehen.

Die Preise prämieren Arbeiten, die in herausragender Weise sachkompetent und in Übereinstimmung mit den Forschungsschwerpunkten des Instituts eine ausgewogene biblisch-heilsgeschichtliche sowie eine zeitgeschichtlich und historisch sachgerechte Israel-Theologie fördern. Der Hauptpreis 2015 wurde an Dr. Hanna Rucks überreicht, die Forschungsförderpreise erhielten Dr. Franz Posset und Frank Clesle.

v. l.: Helge Stadelmann, Berthold Schwarz, Hanna Rucks, Frank Clesle, Fritz May

Die Preisträger sowie die Anwesenden der Preisverleihung wurden zu Beginn der Veranstaltung musikalisch begrüßt mit Franz Liszts „Un sospiro“ aus Trois Études de concert, S.144 Nr.3. Schließlich eröffnete Prof. Dr. Helge Stadelmann die Preisverleihung mit einer freundlichen Begrüßung und mit Gebet. Dr. h.c. Fritz May, der Stifter des Instituts für Israelogie, war zusammen mit seiner Gattin auch unter den Ehrengästen.

Der zuerst prämierte Förderpreisträger war der deutsch-amerikanische Historiker Dr. Franz Posset: Er wurde für seine historische Arbeit über Reuchlin ausgezeichnet. Der Titel seiner Arbeit lautet: „In Search Of An Explanation For The Suffering Of The Jews. Johann Reuchlin‘s Open Letter Of 1505“. Leider konnte Dr. Posset nicht selbst anwesend sein. Daher grüßte er mit einer Videobotschat aus den USA (kann hier[1] angesehen werden).

Frank Clesle

Frank Clesle

Frank Clesle wurde anschließend mit dem Forschungsföderpreis ausgezeichnet für seine Arbeit mit dem Titel „Der israeltheologische Neuorientierungsprozess ausgewählter Kirchen und Gemeinden in Deutschland. Einblicke, Auswirkungen, Anstöße.“ In dieser Abschlussarbeit am Bibelseminar Königsberg untersuchte Clesle den israeltheologischen Neuorientierungs-prozess, den er u.a. in Deutschland in verschiedenen Kirchen – in der katholischen, in den evangelischen, in freikirchlichen, in orthodoxen – angebrochen sieht. Clesles Eindruck ist, dass sich das deutsch-jüdische Verhältnis immer noch in einem nicht-abgeschlossenen Prozess befinde. Allerdings habe sich an der Basis von diesem Neuorientierungsprozess noch nicht sehr viel durchgesetzt. Als Beispiel führte er an, dass zwar viele „Reue“ für die Schandtaten der Deutschen an Juden empfänden, aber es kein größeres Interesse an einem neuen Miteinander gäbe.

Dr. Hanna Rucks

Dr. Hanna Rucks

Der Franz-Delitsch-Hauptpreis wurde an Dr. Hanna Rucks für ihre Dissertation an der Uni Dortmund überreicht, die den Titel trägt: „Messianische Juden. Geschichte und Theologie der Bewegung in Israel“. Während Frau Dr. Rucks noch in Israel lebte und arbeitete, lernte sie die messianisch-jüdische Bewegung in Israel von innen heraus kennen. Messianische Juden, so Rucks in Ihrem Impulsreferat, führten ein theologisches Stiefmütterchen-Dasein. Zum Beispiel werden Sie beim diesjährigen Kirchentag in Stuttgart ausgeschlossen, weil Sie unter Verdacht stehen, Juden missionieren zu wollen. Ihnen wird als Bewegung kaum eine öffentliche Möglichkeit gegeben, ihre Anliegen und ihren Glauben darzustellen. Laut Rucks hätten messianische Juden in Israel Angst, als an Jesus gläubige Juden entdeckt zu werden, was auch darin zum Ausdruck komme, dass ihre Ansichten, die z.B. in Rucks Publikation miteingeflossen sind, nur unter Pseudonym veröffentlicht wurden.

Das Referat von Dr. Rucks trug den Titel „Messianische Juden – eine theologische Herausforderung?!“ und war in die drei Punkte gegliedert: 1. Christologie, 2. Thora und 3. Ekklesiologie, von denen aus sie jeweils messianisch-jüdische Ansätze darlegte.

Unter messianisch-jüdische Christen werden laut Dr. Rucks drei christologische Positionen vertreten: Die eine Gruppe hat die „klassisch-völkerchristlichen“ Lehre der Dreieinigkeit übernommen. Anderen fällt die Rede vom dreieinigen Gott schwerer, da manche von ihnen dadurch das monotheistische Wesen Jahwes verletzt sehen. Sie plädieren dafür, die Person Jesu Christi theologisch neu zu durchdenken. Es sei sehr häufig, dass das Gottesbild von messianischen Juden binär gedacht werde, und der Heilige Geist nicht gesondert für sich betrachtet werde, und man sich nur auf Gott, den Vater, sowie auf Jesus Christus konzentriere. Wieder andere deuten Christus als die „Sefira“ (Gefäß) Gottes, in welcher er sich letztendlich und am tiefsten offenbart habe.

Als schwierig stellt sich offenbar auch das Verhältnis von messianischen Juden zur jüdischen Thora heraus: Während man im (orthodoxen) Judentum jedes einzelne Gebot der Thora zu befolgen versucht – auch u.a. die Speisegebote –, erscheint das Verhältnis eines zum Christusglauben gekommenen Juden zu den Thorageboten ambivalent, da laut Paulus „Christus des Gesetzes Ende“, also der Thoraobservanz sei (Röm 10,4). Auch hier zeichnen sich verschiedene Richtungen ab: Manche halten aus theologischen Gründen an der jüdisch-orthodoxen Thoraobservanz fest, andere sind für eine messianisch-jüdische Halacha; manche unterteilen – im Sinne der reformierten Tradition – die Thora in Zeremonial-, Judizial- und Moralgesetze und erkennen nur letzteres als für sie verbindlich einzuhalten an. Andere sind für eine Thoraobservanz aus identitätsstiftenden Gründen.

Zum Schluss nannte Dr. Rucks noch Antwortmöglichkeiten auf die Frage, die sie an messianisch-jüdische Christen gestellt hatte: Worin besteht ein Jude-Sein, das mit dem Jesusglauben kombiniert werden kann? Die Antworten fallen auch hier wieder unterschiedlich aus: Eine Auffassung betont, dass das Jude-Sein im Praktizieren der jüdischen Religion bestehe, so dass das Jude-Sein nach seiner Konversion zum Christentum nicht mehr vorhanden sein könne. Eine andere Ansicht hebe hervor, dass das Wesen des Jude-Seins gerade im Messiasglauben liege und der messianische Jude durch den Christusglauben gerade zur ‚Vollkommenheit‘ seines Jude-Seins gelangen würde. Ein völlig anderer Ansatz ist dagegen, wenn man das Jude-Sein prinzipiell als ethnische Zugehörigkeit definiert, ggf. mit einer gewissen religiösen Konnotation, sodass sich dadurch keine theologischen Schwierigkeiten mit dem Christ-Sein ergeben würden.

Frau Dr. Rucks empfahl den anwesenden Studierenden, sich mit den von ihr genannten Themenfeldern näher zu beschäftigen. So manche interessante Forschungsarbeit ließe sich damit beginnen.

Die Musiker (v.l.): J. Igler, D. Ludwig, S. You

Die Musiker (v.l.): J. Igler, D. Ludwig, S. You

Nach der Preisverleihung wurde auch der diesjährige Stipendiat für die Sommer-Uni in Beer Sheva bekannt gegeben: Markus Rehberg darf diesen Sommer das Voll-Stipendium des Instituts für einen sechswöchigen Aufenthalt an der Ben-Gurion Universität in Anspruch nehmen, dabei einen Ivrit-Kurs belegen, theologische Vorlesungen besuchen sowie Land und Leute vertieft kennenlernen.

Nach einer intensiven und interessanten Stunde im Plenarsaal der FTH konnte man anschließend in der Cafeteria bei Kaffee & Kuchen über das Gehörte und Erlebte ins Gespräch kommen. Die hervorragenden, abwechslungsreichen musikalischen Beiträge der FTH-Studenten S. You, J. Igler und D. Ludwig haben die Preisverleihung großartig unterstützt.

(ts)

[1] http://drfranzposset.com/acceptance/

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