Ägyptens Präsident wegen Antisemitismus in der Kritik

Als der damals international unbekannte Mohammed Mursi 2010 solche Äußerungen von sich gab, ahnte womöglich noch keiner, am wenigsten er selbst, dass er zwei Jahre später ägyptischer Staatspräsident sein würde: In zwei vom libanesischen Fernsehsender Al-Quds TV ausgestrahlten Interviews von März und September 2012, die erst jetzt ins Visier der Öffentlichkeit gerieten, beschimpft Mursi die „Zionisten“ als „Blutsauger“ und „Nachkommen von Affen und Schweinen“.

In dem vom Middle East Media Reserach Institute (MEMRI) übersetzten Video, das hier zu finden ist, fordert Mursi das Ende von jeglichen Friedensverhandlungen und jeder angestrebten Normalisierung der Beziehungen mit Israel, seien doch Frieden mit diesem Volk sowie die Zwei-Staaten-Lösung eine Illusion. Der einzige Weg, das Land zu befreien, d. h. vollständig den Palästinensern zu übergeben, bestehe in Widerstand und Gewalt gegenüber der jüdischen Besatzungsmacht sowie dem wirtschaftlichen Boykott Israels und seiner Unterstützer wie den USA.

Diese Aussagen stehen in einem auffälligen Widerspruch zu den jüngsten Äußerungen Mursis, mit denen er seine Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass Ägypten und die USA „echte Freunde“ würden, und zu seiner Vermittlerrolle in den Friedensverhandlungen zwischen Israel und der in Gaza regierenden Hamas im November 2012. Denn seit er an die Macht gekommen ist, hat sich Mursis außenpolitischer Ruf auch dadurch verbessert, dass er dem Friedensvertrag mit Israel bisher treu blieb. Doch Worte wie die nun bekannt gewordenen erinnern daran, warum seine Wahl im Juni 2012 von Israel mit so viel Vorbehalten und Misstrauen aufgenommen wurde. “What you believe in your heart is not the same as what you do in power,” kommentierte Shadi Hamid, der Forschungsleiter des amerikanischen Brookings Doha Center, das politische Analyse und Forschung im Nahen Osten betreibt. Und Kenneth Jacobson, stellvertretender Nationaldirektor der Antidiffamierungsliga in New York, merkte an: „Wenn der Führer eines Landes in der Vergangenheit Aussagen getroffen hat, die Juden dämonisieren und nichts unternimmt, um seine Position zu korrigieren, ist es verständlich, dass viele Israelis daraus schließen, dass demjenigen als Friedenspartner nicht zu trauen ist.“

So scheint sich Mursi, wenn er fordert, die sogenannten „Zionisten“ müssten, wo immer sie sind, „bedrängt“ und „aus unseren Ländern vertrieben werden“, eben nicht nur gegen diejenigen, die wir als Zionisten verstehen (nämlich die Anhänger einer bestimmten politischen Ideologie), zu richten, sondern gegen das gesamte jüdische Volk. Zwar versuchte der ehemalige Muslimbruder gestern in einer Stellungnahme zu erklären, dass unterschieden werden müsse „between Judaism and its adherents from (those who practise) violent actions against Palestinians“. Doch verwendet er in besagten Reden und Interviews die Worte „Juden“ und „Zionisten“ häufig synonym, bedient sich antisemitischer Stereotype (wie die aus dem Koran stammende Ausdrucksweise der „Nachkommen von Affen und Schweinen“) und meint deutlich an alle Juden, die durch die Geschichte hindurch stets, dort wo sie waren, Konflikte verursacht hätteen und „von Natur aus feindselig“ seien. Die Bezeichnung „Zionisten“ statt „Juden“ ist in arabischen Ländern keine Seltenheit und beruht oftmals auf dem Glauben an die Theorie einer jüdischen Weltverschwörung (basierend u.a. auf den „Protokollen der Weisen von Zion“) bzw. ist von dieser inspiriert.

Zwar wird der Nichtregierungsorganisation MEMRI, die besagte Videos übersetzte und veröffentlichte und die sich die Beobachtung islamischer nahöstlicher Medien zur Aufgabe gemacht hat, zum Teil mangelnde Objektivität vorgeworfen (zur Kritik siehe zum Beispiel diesen Artikel) und sollte bis zur einer Überprüfung der Übersetzungen von verschiedenen Seiten vielleicht nicht jedes von Mursis Worten und Wendungen auf die Goldwaage gelegt werden – an der Authentizität der Reden bleibt jedoch kein Zweifel, zumal es sich um keinen Einzelfall handelt. In einer anderen vehementen Hetzrede von Januar 2012 fordert Mursi beispielsweise von den Ägyptern, nicht zu vergessen, den „Kindern und Enkelkindern den Hass auf die Zionisten und die Juden“ und alle, die diese unterstützen, zu lehren. Der Hass müsse weitergehen. Das ins Englische übersetzte Video findet sich ebenfalls bei MEMRI: http://www.memritv.org/clip/en/3713.htm.

Mursi war zum Zeitpunkt dieser Interviews noch hochrangiges Mitglied der Muslimbruderschaft, der er seit 1977 angehörte und galt Mayy El Sheikh von der New York Times zufolge in deren politischen Arm, der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei, dessen Vorsitz er ab 2011 innehatte, als einer der offensten Kritiker Israels.

Zwar beendete Mursi mit seiner Wahl beide Mitgliedschaften offiziell, jedoch nicht aufgrund von ideologischen Differenzen, sondern um sich als Präsident des gesamten Volkes zu geben – somit gilt er weiterhin als erster Islamist an der Spitze des Staates. Als solcher hatte er zwar die Einhaltung des 1979 mit Israel geschlossenen Friedensvertrages zugesichert, ließ jedoch gleichzeitig seine Unterstützung der im Gazastreifen regierenden Hamas verlauten, welche das israelische Existenzrecht nicht anerkennt.

In den letzten Tagen wurde ungeduldigt eine Stellungnahme des ägyptischen Präsidenten zu seinen antisemitischen Äußerungen erwartet. Der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, forderte eine solche mit den klaren Worten: „This kind of discourse has been acceptable in the region for far too long.“ Mursi ließ auf sich warten, nutzte dann am 16. Januar ein Treffen mit dem US-Senator John McCain in Kairo, um mitzuteilen, dass seine Aussagen völlig „aus dem Zusammenhang gerissen“ wurden. Sie seien vielmehr in den Kontext der israelischen Gewalt im Gazastreifen einzuordnen. Er betonte zudem, dass er ganz hinter den Prinzip der Religionsfreiheit stehe.

Eine solche schwammige Reaktion Mursis, die in Anbetracht der Anzahl der Videos sowie der Vielfalt der dort enthaltenden diffamierenden Aussagen von Juden nur einen Bruchteil eben dieser rechtfertigen kann, stimmt nachdenklich. Sicherlich würde er einen Teil des Rückhaltes im eigenen Land verlieren, wenn er seine Aussagen widerriefe. Zudem ist kaum zu erwarten, dass er dazu in der Lage ist und innerhalb von zwei Jahren eine Kehrtwende von 180 Grad vollzogen hat. Deshalb stellt sich die Frage, wie sich das Ägypten um Mursi gerade in der Nahostfrage in Zukunft verhalten wird, vor allem falls der Zeitpunkt eintritt, wo es militärisch und finanziell weniger vom Westen abhängig sein wird und so freier in seinen Worten und Taten, als dies heute noch der Fall ist. Wünschenswert wäre eine konkretere Stellungnahme, wie sie der ägyptische TV-Satiriker Bassem Youssef vergangenen Freitag – bewusst simplifizierend – in seiner Sendung forderte: “Admit everything you said in the past was a joke, or stop bluffing.”

(jp)

Quellen:



http://www.nytimes.com/2013/01/15/world/middleeast/egypts-leader-morsi-made-anti-jewish-slurs.html?_r=1&



http://www.sueddeutsche.de/politik/aegyptens-mursi-und-der-antisemitismus-diese-nachkommen-von-affen-und-schweinen-1.1573243



http://www.jpost.com/MiddleEast/Article.aspx?id=298434

http://www.forbes.com/sites/richardbehar/2013/01/15/finally-white-house-rips-linking-of-jews-to-pigs-by-egypts-morsi-after-forbes-report/



http://www.israelnetz.com/nachrichten/detailansicht/aktuell/mursi-wegen-antisemitischer-aeusserung-in-der-kritik/#.UPe-voXR47A



http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5hCwSFKB57c98N25I0TComt7W7VxQ?docId=CNG.4f76b0613b2092274774a3101edaea59.981&index=0

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